Montag, 5. März 2012
Friedhofsbummel 2 – ein Nachtrag
Wie angedroht, schiebe ich nun die Bilder vom Äußeren Friedhof Briesnitz dem Bericht über den Inneren Friedhof meines Kollegen Octapolis auf Channel666.blogspot.com nach.
Aber ich dachte mir, den Octa mit seinen morbiden Photos, so voller in Sandstein gehauener Todesnähe, kannst du eh nicht toppen, da schmetterst du dem Frühling ein lautes »JA!« entgegen und machst einen auf bunte Bilder voller Enthusiasmus und Lebensfreude. Solange man einen Friedhof alleine wieder verlassen kann, sollte dies nicht schwerfallen und wenn nicht, ist es doch eh egal. Das Schöne am Todsein ist, daß man davon nichts mehr mitbekommt und es weder bedauern noch sich darüber aufregen kann. Und da ich mit der Zeit flexibler umzugehen vermag als andere Zeitgenossen, gibt’s ein paar Bilder, auf denen es schon wärmer und grüner ist.
Von außen sieht der Todesacker aus wie ein normaler Friedhof, obwohl nichts explizit darauf hinweist. Es könnte sich auch um eine Baumschule, eine rumänische Kaserne oder eine Abdeckerei handeln, aber auf die Idee kommt man gar nicht, wenn man den Eingang so sieht. In unmittelbarer Nähe befindet sich auch eine Bushaltestelle. Warum auch immer.
Die Alarmanlage deutet eher auf ein Ladengeschäft in einem von Braunkohlentagebau bedrohten Dorfes hin als auf einen Totenhain. Man könnte einen EDEKA oder einen Getränkehandel vermuten. Was der Knaller wäre, verspüre ich doch ein Verlangen nach etwas Erfrischung.
Das Schild unmittelbar links nach dem Tor, passend zum Zaun, läßt keine Zweifel aufkommen. Ich befinde mich tatsächlich auf dem Äußeren Friedhof. Aber alles, was ich bis jetzt sah, verströmte einen Hauch der zweiten Moderne und den eines nationalen Aufbauwerkes. Erbaut oder eingerichtet wurde der Gottesacker um 1880, weil die Kapazität des Inneren Friedhofes, der sich in unmittelbarer Nähe, an der alten Briesnitzer Kirche, befindet, zu wünschen übrig ließ. Der besteht vermutlich seit 1270 und ist demzufolge auch hoffnungslos veraltet. Schon alleine seine Toiletten müßten inzwischen zum Himmel stinken.
Hier haben die Toiletten sogar einen eigenen Warteraum. Herrlich. Sind alle Boxen besetzt, muß man trotzdem nicht in der Schlange stehen, sondern man setzt sich in das Wartezimmer und kann derweil in der Apothekenrundschau oder in der Bibel schmökern. Gut, dabei einen Kaffee trinken, wäre nicht die beste Idee, aber vielleicht hinterher? Wenn man noch auf jemanden warten muß? Wer geht schon auf einem Friedhof alleine aufs Klo? Na, also.
Die Solaranlage verrät, daß die Friedhofsverwaltung im Hier und Heute angekommen ist. Damit läßt sich der schnelle Rubel machen, den man scheinbar in den Erhalt der Außenanlage wieder investiert. Weit gekommen bin ich im Gelände zwar noch nicht, aber der erste Eindruck überzeugt mich schon. Alles wirkt gepflegt und mit Liebe erhalten, wie man es sich von einem Familienbetrieb wünschen würde. Sogar auf das übliche Kirchentrallala wird weitestgehend verzichtet, so daß man sich als Atheist auch nicht belästigt fühlt. Daß hier keine Katholiken am Werk sind, muß ich nicht extra betonen. Die hätten hier alles ausgemerzt und getilgt, was einem am Leben erhalten kann und man sähe vor lauter Todesengeln und ans Kreuz Geschlagenen den Friedhof nicht mehr. Warum die erst auf die Welt kommen, wenn sie sich in ihr sowieso nicht zu recht finden können und so sehr am Tod hängen, daß sie paradoxerweise ohne seine ständige Nähe gar nicht lebensfähig sind, konnte mir bis jetzt auch noch keiner schlüssig erklären.
Neben dem Warteraum und der Kapelle, ich gehe mal davon aus, daß das eine ist, hat man noch etwas Freiraum gelassen. Hier könnte so ein Bierwagen mit Bockwurst und Limo für Zerstreuung und Sättigung sorgen. Vom Friedhof aus wäre er auch nicht zu sehen und könnte so kaum irgendeine Pietät stören. Ich weiß, daß der Gedanke daran etwas gewöhnungsbedürftig ist, aber ich bin mir sicher, daß man irgendwann auf die Idee kommt, daß so ein schöner Park, mit den vielen schönen Steinen, belebt werden muß, um sich neue Einnahmequellen zu erschließen. Totenruhe hin, Totenruhe her. Hat die jemals einer gefragt, was sie von einer Cafeteria hier halten würden? Nein. Die sind tot, die haben die Klappe zu halten. Schöne Demokratie. Bei den Amis sind sie mal wieder weiter. Auf dem Friedhof in Hollywood gibt’s in der Sommersaison abends Freilichtkino und die angesagtesten DJs legen am Wochenende auf. Da wird auf den Gräbern getanzt, Bierbecher umgeschmissen und in weniger frequentierten Ecken Kinder gezeugt. Letzteres natürlich nicht einfach so, als Spaß an der Freude – man guckt vorher schon, wer beim Akt unter einem liegt. Da gibt’s genug Prominente, denen das schon zu Lebzeiten gefallen hätte. Was ist dagegen einzuwenden? Jeder hat seinen Spaß, die Friedhofskasse klingelt und von den dort Beerdigten hat sich auch noch keiner beschwert.
So aber nun weiter, sonst wird’s dunkel und ich will hier nicht als Geist mit einer Kerze herumirren. Die Gerätewand läßt fast keine Wünsche offen. Harken, Hacken und Spaten warten griffbereit und gut sortiert auf ihren Einsatz am jeweiligen Grab. Nur eine Feuerwehraxt zur Selbstverteidigung fehlt.
Gießkannen gibt’s in Zink und grünem Plaste, also werden beide Parteien, die jeweils auf ein Material bei der Grabbewässerung schwören, bedient. Nur keinen Streit. Die Wasserentnahmestellen sind großzügig bemessen ...
... und auch selbst reichlich vorhanden. Ich bin kurz versucht, darin ein Bad zu nehmen, so warm ist es heute geworden. Gleich so, wie Gott mich von der Leine, von der Nabelschnur gelassen hat. Ein frisch gewaschenes Handtuch habe ich ja immer mit dabei (Anmerk. d. Abt. Satz: Hinweis auf weiterführende Literatur). Nach kurzem Überlegen verweigere ich mir aber diese Wohltat. Wer weiß, wer da alles in den letzten 100 Jahren schon seine Füße drin gewaschen hat. Aus diesem Grund würde ich auch von Kindstaufen in den Natursteinbecken hier abraten. Es sei denn, man schmeißt vorher ein paar Chlortabletten zum desinfizieren in die grüne Suppe. 10 Stück müßten es schon sein. Meiner Schwester reicht eine für ihren Swimmingpool im Garten, da ist das Wasser aber auch wesentlich sauberer. Aber das läßt sich schwer mutmaßen, sie führt ja keine Taufen durch und da fehlt es schlicht an Erfahrungswerten. Außerdem weiß ich nicht einmal genau, ob die Evangeliken hier ihre Kinder nach der Geburt auch unters Wasser halten müssen, wie die Katholiken.
Womit wir beim Abfall wären. Ein ganz wichtiger Punkt. Umsonst heißt es ja nicht: Zeige mir deinen Abfall, und ich sage dir, was du wegschmeißt. Aber hier bin ich etwas irritiert: Was ist der Unterschied zwischen Laub, Blumen und Pflanzenresten? Gut, ich sehe die Welt wieder viel zu düster. Das »usw.« nach verrottbaren Abfällen interpretiere ich mal so: Einwickelpapier, Stullenreste, Kaffeesatz und leere Eierverpackungen. Für alles andere haben die ja die Gräber hier.
Was mir auch auffällt, sind die vielen Bänke am Wegesrand. Aller 15m kann man zusammenbrechen und sich ausruhen. Als wäre eine riesige Lagerhalle voll mit Parkbänken über das Areal geflogen und hätte sich hier über Bombenschächte genußvoll entleert. Oder ein edler Stifter hat vor hundert Jahren seine Goldminen in Südafrika via Testament instruiert, vom erwirtschafteten Gewinn 20 Parkbänke dem Briesnitzer Friedhof zu spenden. Was als Einmalwohltat gedacht war, wiederholt sich nun jedes Jahr, weil in der Verfügung die Jahreszahl schwer zu lesen ist und die Erben nichts falsch machen wollen.
Der Fels vor der Bank bietet sich geradezu als Opferstein an. Ob er momentan in Gebrauch ist, weiß ich nicht. Für schwarze Messen ist der Friedhof allerdings nicht gruftig genug. Ich glaube nicht, daß das Ambiente hier ausreicht, um Satan zu beschwören. Der würde sich einen Ast lachen und höchstens Erich Mielke nach oben schicken. Bestenfalls. Aber bestimmt käme nur Pittiplatsch oder Schnatterinchen durch die Grasnarbe geschossen.
Für eine Frau müßte der Fels reichen. Abends, wenn er ganz heiß strahlt, weil er von der Sonne aufgeladen wurde, seine Wärme ihren Rücken entspannt, und ihr die Nackenhaare willig vor Lust nach oben stehen ...
Überhaupt wäre der Friedhof gerade für Studentinnen eine Entdeckung. Hier sind sie an der frischen Luft, könnten sich sonnen, dabei fleißig lernen, sie hätten hier ihre Ruhe und wären doch nicht allein.
Ein Vögelchen würde ihnen Gesellschaft leisten und sie an die schönen Dinge im Leben erinnern.
Ganz hinten am Friedhof befindet sich noch eine schattige Wiese. Hier habe ich übrigens damals die Mauer durchbrochen und meine Bahn der Verwüstung durch die Gräberfelder gezogen. Aber das ist verjährt und der Friedhof ist von seinen Wunden genesen.
Gerüchten zu Folge ruhen hier Gorbitzer Kinder, die der Pest zum Opfer gefallen sind. Das muß aber gewesen sein, bevor der Friedhof entstand. Meines Wissens gab es 1680 das letzte große Pestjahr in Dresden. Wie dem auch sei. Hier jedenfalls will man es bei der Wiese belassen. Der Brennholzstapel ist nur eine Attrappe oder er wird woanders abgefackelt.
So, da sind wir schon am Ende der Exkursion angelangt. Abschließend möchte ich noch auf die hier oft verbauten Grabstelen hinweisen. Irgendwie faszinieren sie mich. Nicht, weil sie sicher nur ein Drittel kosten, als ein herkömmlicher Grabklotz, sondern, weil sie so außerirdisch wirken. Eher wie ein Andenkmal als ein Denkmal. »Wir waren hier, es war schön, bis zum nächstenmal! Seid gegrüßt!« Irgend so etwas.
Naja, wollen wir es dabei bewenden lassen. Wie immer nach so einem Friedhofsbesuch, überdenke ich meine letzte Ruhestatt. Was aus meinen Atomen so werden wird. Ein Teil davon wird sich beim Einäschern im Rauch und in der Luft davonmachen und ich hoffe, daß niemand, oder nur die eine oder andere auserwählte Person, daran erstickt und der Rest von mir sehnt sich dann nach einem verwilderten Garten. Einfach ausgekippt und breitgelatscht könnten sich meine Atome anderweitig zusammenkuscheln und als Dünger dienen. So stelle ich mir ein »nach Hause gehen« vor. Man möge mich mit einem Friedhof verschonen, zumindest, wenn es dort noch keine Kinovorstellungen gibt.
P.S. Ich haue die Fälle und Zeitformen nicht durcheinander. Ich gehe nur flexibler und genauer damit um. ☺
P.P.S. vom 6.3.: Kollege Octapolis hat es sich nicht nehmen lassen, zum Thema noch mal multimedial nachzulegen: Hier gucken!
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was großstadtmenschen immer mit den friedhöfen haben, keine ahnung? wenn der landmensch sich sonntags den schweinebraten vertritt geht er über die äcker und durch den hexenwald und wenn er ganz fit ist, läuft er bis zur burg. ansonsten ruhet die gräberstätte meist in frieden. trotz sensationeller bildhauerkunst auf weltniveau...
AntwortenLöschenwas hat der großstadtmensch immer mit friedhöfen? ruhe, schatten und den dialog mit kompost. praktisch alles das, was der landmensch schon zu lebzeiten im überfluss genießt. ;o)
LöschenWahrscheinlich, weil sich uns hier nur wenig Auslauf im Grünen bietet. Meist hat man nur einen Randstreifen zur Fahrbahn, Friedhöfe oder Kleingartensparten zur Auswahl. Letzteres ist der Vorhof zur Hölle und der Grünstreifen ist für die Hunde reserviert. Bleibt der Gottesacker.
AntwortenLöschenbin noch am ackern... zeit knapp... ich schick dir ne mail, morgen bilder und multimedia, hüstel... und weg
AntwortenLöschenDas ist Einsatz: Das Tageswerk kurz unterbrechen, um zu schauen, was die Kollegen so verzapfen.
AntwortenLöschenBin gucken ...
nun aber. hab also auch noch was beitragen können. die letzte analyse des scheiterhaufenbildes ergibt klar: hier ist dir ein spektakulärer ghostbustersweürdiger schnappschuss gelungen! glückwunsch!
AntwortenLöschenStimmt. Das muß die Schlüsselwächterin zur Anderwelt sein. Gruslig. Ich hatte schon an der Gießkannenworkstation das Gefühl, daß mir jemand vor den Beinen rumlatscht.
AntwortenLöschenAlter! DU bist nicht nur Deutschland, DU bist ein Medium!
AntwortenLöschenScheint so. Da soll noch mal jemand behaupten, aus mir wäre nix geworden. *g*
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