Untergehen ist das Eine, unter der Oberfläche bleiben das Andere. ;-)

Dienstag, 23. März 2010

Jubilierende Altenpflege

Dunkle verschneite Häuserschluchten mit dem Charme eines betongrauen Neubaugebietes. In den Fenstern schwibben bunte Lichter, die sich stumpf auf dem Straßenmatsch spiegeln. An der Straßenecke steht ein Fremdkörper in Form einer noch neuer erbauten Seniorenresidenz. Deren Fenster sind dunkel und ihr Inhalt schon im Bett.
Im Foyer des Altersheim stehen Glasvitrinen mit gehäkelten Traumfängern, die man für ein paar Euro und für einen guten Zweck tagsüber erwerben kann. Vermutlich hat jeder Insasse schon seinen eigenen.
Das Licht ist kalt, an den Wänden hängen, von Kindern des Patenkindergartens gemalte, bunte Bilder und die ellenlange Hausordnung mit unzähligen Reglementierungen. Die Wandzeitung lädt sehr kindgerecht zum Tanztee ein und hat den Essenplan parat. Noch ein paar Plasteblumen, der Hauch eines Krankenhauses und das Grauen ist perfekt. Die Tür vom Speisesaal geht auf.

»Da bist du ja endlich! Es sind schon alle da.«

Na Klasse! Seit einer Stunde irre ich hier durch die Gegend! Damit rechnet doch keiner, daß sie ihren 30. Geburtstag in einem Altersheim feiert! Hätte ich sie jetzt nicht angefunkt, wäre ich wieder nach Hause gefahren. Wieso feiert sie überhaupt hier?

»Na bei meiner kleinen Wohnung! Bevor ich da noch aufräume – den Speisesaal kann man billig mieten!«

Der Saal ist klinisch tot. Genau wie das Foyer. Dazu gibt es noch Papiergirlanden, häßliche Faschingshüte stapeln sich auf abwaschbaren Schränken und die kleinen Sprelacarttische bilden, militärisch exakt, eine Linie. Toll. Nur ein Kopfschuß kann schöner sein.

Nur verhalten einladend wirkt der Fresstisch auf mich. Er sieht aus, als hätte sich die Internetadresse www.chefkoch.de hier materialisiert. Zusammengewürfelte kulinarische Experimente mit nicht absehbaren Ausgang. Dem werde ich mich später stellen müssen.

Der Gabentisch enthält genau das, was man sich zum 30. Geburtstag so wünscht: Die Krücke als Wanderpokal mit Unterschriften darauf, die Nutelladose mit dem längst abgelaufenen Haltbarkeitsdatum, der fingierte Rentenbescheid, 5 Flaschen Doppelherz, eine Wäscheleine mit Henkerschlinge, Rattengift, Lederfett und eine Tube Vaseline. Dazu noch diverse hochprozentige Alkoholika.
Da die Jubilarin immer noch keinen gefunden hat, der sich von ihr dauerhaft an den Marterpfahl binden läßt, gibt es auch die obligatorische Mannbackmischung plus Metallform. Witzigerweise ist dem ganzen eine Kombizange zum persönlichen Backform-Mann-verbiegen beigelegt. Der gebogene Metallring selbst zeigt frische Kratzspuren und ist merkwürdig verformt. Der Oberkörper ist im Schulterbereich nach innen verbogen und der Hals zweimal verdreht.

Die Gäste sind mir fast alle unbekannt. Nur mit einer Zwanzigjährigen hatte ich auf einem befreundeten Balkon ein Intermezzo bei einer umzugsbedingten Zigarettenpause. Das war auch im Winter und so bot sich als Gesprächsstoff unser Sexualverhalten auf Zeltplätzen an. Da sie mit dem Ausleben des selben ihre Probleme hatte, erklärte ich ihr ein paar Tricks im Umgang mit Luftmatratzen, Reisetaschen und das schallschluckende Geheimnis männlicher Handkanten. Für mich unvergessen bleibt dabei die Mimik ihres danebenstehenden Freundes, der nur unwesentlich älter als sie ist.

Die Gäste verhalten sich auch merkwürdig. Sie erinnern mich an die Geburtstage meiner Großeltern, als ich ein Kind war. Sie trinken kaum etwas, erzählen aus früheren Zeiten, tauschen sich über Krankheiten aus und reichen Urlaubsbilder herum. Dabei liegt ihr Altersdurchschnitt gerade mal bei 25 bis 27 Jahren! In diesem Alter und zu dieser Uhrzeit ist es jetzt eigentlich, erfahrungsgemäß, Zeit für alkohol- und libidobedingte Peinlichkeiten. Aber der Saal muß verzaubert sein oder die, von 40 über ihm schlafenden Rentnern ausgestrahlte Energie, zeigt diese Wirkung.

Wider Erwarten ist das Essen ganz lecker, auch wenn ich nicht weiß, was ich gegessen habe. Es wird nun Zeit für die Zigarette danach. Zum Rauchen muß man natürlich vor die Tür. Auf dem Weg zu dieser fällt mir ein Pärchen auf: Sie kurz über dreißig, er ein paar Jahre älter. Beide alternativ aber edel-sportiv gekleidet. Über ihren Nobelstrickjacken schwebt ein heftig angestrebter intellektueller Hauch, der durch ihre Brillen geradezu beschworen wird. Sie hat sich fest an ihm angedockt und seine Körpersprache erzählt mir, daß es ihm egal ist. Er ist ein typischer Blender. Der hat keinen Plan. Er weiß nicht, wie er sich verhalten soll, versucht aber Sicherheit und Überlegenheit auszustrahlen. Wenn ich ihn ansehe, schaut er sofort weg. Unser erster Augenkontakt hat ihm völlig gereicht. Seine Freundin schaut mich verstohlen aber interessiert an. Sie kommt mir bekannt vor.

Vor der Tür herrscht das große Frieren. Es ist einfach nur kalt und keiner hat sich zum Rauchen eine Jacke angezogen. Daß man die Eingangstür ab 22.00 Uhr von außen nur mit einer Chipkarte öffnen kann, und ab da die Klingel abgestellt wird, ist uns völlig neu. Glücklicherweise hat ein Gast sein Handy dabei, um einen anderen Gast im Saal anrufen zu können. Nur ist dort die Musik laut und es dauert 20 min, bis er jemanden gefunden hat, der sein klingelndes Funkgerät auch hört.
Gefühlte 3h später öffnet sich die Tür und ich muß aufpassen, daß ich im Sog der zurückströmenden Raucher nicht stolpere um totgetrampelt zu werden.
Zurück im Saal beschlägt meine Brille, so daß ich sie abnehmen muß. Die mich sonst verstohlen aber interessiert Anschauende klappt ihren Oberkörper blitzartig nach vorn und sie nimmt ihre Optik ebenfalls ab. So, wie ich sie jetzt verschwommen sehe, kommt sie mir sehr bekannt vor. Die Frau kenne ich und sie spricht mich an.

»Hast du mal in Strehlen gewohnt?«

Sicher. Bis vor drei Jahren. Dann löste sich unsere Wohngemeinschaft auf und ich mußte den Stadtteil wechseln.

»Damals habe ich dort gearbeitet. In der Aral-Tankstelle. Allerdings noch ohne Brille.«

Alles klar. Das ist mein schnuckeliges Käferchen. Ein Traum, mein Traum. Sie gefiel mir richtig gut, aber ich hatte keine Ahnung, wie ich unauffällig an sie herankommen könnte. Sie einfach zu irgendetwas einzuladen, hatte ich mich nicht getraut. Obwohl ich wußte, daß sie mich sympathisch fand, wollte ich mein persönliches Waterloo nicht in einer Tankstelle erleben. Nachdem ich mir zwei-, dreimal bei ihr Zigaretten gekauft hatte, kannte sie meine Sorte und holte sie aus dem Regal, wenn ich den Kassenraum nur betrat.

»Na, deine Zigarettensorte kannte nur ich und eine meiner Kolleginnen.«

Ja, das ist der andere schnuckelige Käfer gewesen. Etwas jünger als sie und mit ganz langen Haaren. Sie hatte etwas von Schneewittchen und vermutlich konnte ich mich zwischen den beiden auch nicht entscheiden. Aber sie haben nie in der selben Schicht gearbeitet. Sie konnten mich also nie zusammen gesehen haben. Ich muß grinsen und finde es schön zu wissen, daß zwei attraktive Frauen sich über mich unterhalten haben.
Wir setzen uns die Brillen wieder auf, ich finde sie immer noch zum überkuscheln, sie wird rot und spendet ihren Freund einen kurzen Seitenblick. Der hat zwar mitbekommen, daß eine Unterhaltung zwischen uns stattfand aber der Inhalt ist ihm verborgen geblieben. Beide nippen nun angestrengt am Rotwein, schauen orientierungslos aber gefaßt ins imaginäre Nichts, und ich finde diesen Arsch einfach nur noch Scheiße.

Verstehe einer Frauen …

Es ist erst 22.55 Uhr. Aber gegen dieses Energiefeld von 40 über uns schlafenden Rentnern haben wir keine Chance.
Mir zieht es zuerst die Augen zu und tapfer halte ich mich noch eine Weile, um dann denn Heimweg anzutreten.

Manchmal sieht man ohne Brille besser.

Mittwoch, 17. März 2010

Sonntag, 14. März 2010

Doch! Einer wird dich verstehen …

Es ist morgens 6.00 Uhr. Die Sonne strahlt durch dein offenes Fenster. Es ist Sommer. Du drehst dich noch einmal um und versuchst deinen Traum nicht zu verlieren. Es ist dein Traum. Er gehört nur dir, wie der Mann, von dem er handelt. Ein, nein, der Traummann. Dein Traummann. Er gehört zu dir …

Unten, vor der Tür, hält ein verhalten buntes Auto. Die Scheiben sind verdunkelt und sie drohen matt in den beginnenden Tag.

In deinen Tag.

Drei kräftige, untersetzte Männer verlassen routinemäßig und gelangweilt den Wagen. Einer öffnet beflissen die hintere Wagentür und heraus stakt ein größerer, hager wirkender Mann. Er betrachtet kurz abschätzend seine Begleiter, die, wie er, saubere weiße Kittel tragen, nickt zufrieden und sein Blick fällt in sein aufgeschlagenes Notizbuch. Beim Lesen kneift er seine Augen leicht zusammen und schaut dabei suchend auf, bis er sein Ziel entdeckt. Die Augen seiner Begleiter folgen aufmerksam seinem Blick. Sie ruhen auf einer Haustür.

Es ist deine Haustür.

Der Hagere nickt kaum merklich und schaut auf seine Uhr. Es wird schnell gehen. So schnell wie nötig. In seinem Notizbuch sind für heute noch 25 Adressen vorgesehen. Seine Begleiter wissen, was zu tun ist. Der erste klingelt nicht, sondern bricht die Tür kurzerhand mit seiner Brechstange auf. Die anderen zwei huschen an ihm vorbei, die Treppen hoch bis zu deiner Wohnungstür. Einer sichert die Treppe nach oben, der andere nach unten. Alles geschieht absolut lautlos.

Du drehst dich nochmal herum. Dein Traum geht weiter. Du hast gerade Sex. Traumhaften Sex. Mit dem Traummann. Deinem Traummann. Völlig entkräftet, aber glücklich, laßt ihr schließlich von einander ab. Sein Geruch liegt auf dir. Deine Hand mit der Zigarette ist ganz heiß, feucht und sie zittert leicht. Die andere Hand fährt ermattet durch dein Haar. Es fühlt sich weich und entspannt an. Es war, wie immer, der Sex des Jahrhunderts. Du kannst jetzt unmöglich aufstehen, und drehst dich noch einmal herum.

Dieser Traum darf nicht zu Ende gehen.

Der Hagere schaut vergewissernd auf dein Namensschild über der Klingel. Sein Blick gleitet kontrollierend über seine Kollegen. Sie stehen bereit. Er weiß, daß es keine Probleme geben wird. Es gab nie Probleme. In ihrem Job ist kein Platz für Gefühle. Er nickt und alle Vier schauen sich kurz in die Augen. Seine Kollegen nicken zurück, streifen sich Gummihandschuhe über und legen den Mundschutz an. Sie ist jung. Das weiß der Hagere und zieht vorsichtshalber 10ml mehr von dieser wasserklaren Flüssigkeit in die Einwegspritze. Er muß, wie immer, dabei lächeln. Einwegspritze. Wie sinnig. Es gibt nur noch einen Weg und der führt nie zurück. Sie wird keine Probleme bereiten. Es gab nie Probleme.

Du beschließt, den Traum langsam zu beenden. Es ist schon spät und heute ist der Abgabetermin für deine Diplomarbeit. Du bist dir unsicher, ob sie gelungen ist und dir ist nicht wohl bei dem Gedanken. Es ist nur ein Weg, sagst du dir. Du kannst nicht mehr zurück, das weißt du. Der Mann an deiner Seite gibt dir die Sicherheit dafür. Dein Mann. Er gehört zu dir. Dein Traummann nimmt dich in die Arme, berührt gleitend mit seinen Lippen deinen Hals, sein warmer Atem flüstert dir etwas ins Ohr – und dein Traum zerplatzt.

Deine Wohnungstür knirscht und das Schloß bricht heraus. Du weißt nicht, was los ist, aber du ahnst es. Du weißt, das sie nie klingeln.



Ein halbes Jahr später geht es dir wieder ganz gut. Inzwischen verträgst du die Medikamente und ihre Nebenwirkungen machen dir keine Angst mehr. Es tut dir gut, hier zu sein. Alles um dich herum ist weich und abwaschbar. Du kannst dir nicht weh tun, und du bist dankbar dafür. Auch das kalte Neonlicht wirkt jetzt viel wärmer und beleuchtet deinen Erfolg. Dein Blick fällt auf ihn. Dieser eine Weg war mühsam, aber er hat sich gelohnt. Zufrieden schaust du auf dein 500. selbst gebasteltes Osternest. Makellos liegt es vor dir. Nicht so zerknittert, wie die 499 vor ihm. Der Hagere wird stolz auf dich sein. Einmal pro Woche kommt er dich kurz besuchen. Andere Kontakte zur Außenwelt hast du nicht.
Du vermißt sie auch nicht, denn du weißt, daß sie nicht gut für dich sind.
Du brauchst sie nicht.
Du hast dein zu Hause gefunden.
Es gab nur diesen einen Weg, dessen bist du dir sicher. Nur diesen einen. Er versteht dich. Er gehört zu dir. Du freust dich auf ihn. Die Woche ist wieder um – es ist immer die selbe Tür, die aufgeht und sich wieder schließt.

Und Alle! (Singend): Er gehört zu mir, wie mein Name an der Tür …

– Kakao ist am bekömmlichsten, wenn ein Anderer darin von Dannen zieht. –

Donnerstag, 11. März 2010

zuhören, entspannen, nachdenken

»Hallo? Wer ist da? Ach du! Dich wollte ich auch schon anrufen. Warte mal. Ich muß mir erstmal eine Zigarette … Kaffee hat natürlich keiner gekocht. Wer auch?«

»***«

»Nein, du hast mich nicht geweckt. Und ja, ich klinge verschlafen. Das liegt daran, daß ich auf dem Sofa eingenickt bin. Ich bin einfach nur noch fertig und könnte schlafen, schlafen, schlafen …«

»***«

Ach, der Udo hat gerade angerufen. Er wäre mal wieder hier in der Stadt und würde mich gern sehen. Er kommt heute Abend auf einen Sprung vorbei.«

»***«

»Ich weiß, daß der nur mit mir in die Kiste springen will! Was soll ich denn machen?«

»***«

»Duschen gehen? Keine Zeit! Die Kinder wollen dann auch Abendbrot haben und es ist schon spät. Die Zähne werde ich mir putzen. Sicherheitshalber. Der ist doch Nichtraucher. Ob es zum Äußersten kommt, weiß ich ja nicht. Mal sehen, wie ich dann drauf bin. Zur Not gehe ich eben schnell duschen. Da muß er eben warten.«

»***«

»Dann ist er eben abgeturnt. Hat sich das auch erledigt. Nein, wir können weiter telefonieren. Ich habe das Schnurlose. Ich nehme dich einfach mit in die Küche. Wir Frauen sind doch multitaskingfähig! Das bißchen Abendbrot mache ich nebenbei. Uauahua…a!«

»***«

»Ja, es ist etwas passiert! Ich habe versucht aufzustehen! Mensch, ich merke jeden Tag, daß ich schon 32 bin! Meine Knochen! Scheiße! Wie soll das bloß weitergehen?«

»***«

»Natürlich ist das kein Wunder! Ich wundere mich nur, warum ich noch nicht durchgedreht bin! Ich habe immer noch den selben blöden Chef, den ich 40h die Woche den Arsch nachräume. Das Abendstudium zieht sich und am Wochenende muß ich immer noch kellnern gehen. Die Kinder gibts auch noch und der Haushalt macht sich auch nicht von alleine! Dann habe ich noch drei Kerle am laufen! Manchmal weiß ich nicht mehr, wo mir der Kopf steht! Wenn meine Mutter nicht wäre …
Melanie…e mach den Fernseher aus! Schnapp dir den Franz und kommt in die Küche! Wir müssen Abendbrot …«

»***«

»Ach den Kindern gehts gut! Der Kleine hat zwar gerade eine dicke Platzwunde am Kopf, weil die im Kindergarten nicht aufpassen können. Die Katze wollte der angeblich fangen! Dabei ist er voll gegen die Mauer geknallt! Der habe ich aber was erzählt! Das die nicht aufpassen können! Jetzt ist die krank! Angeblich wegen mir! Einen Nervenzusammenbruch hätte die! Die spinnen doch! Wer weiß, was da los war. Zu Hause will er die Katze ja auch nie fangen! Den Nervenzusammenbruch bildet die sich doch bloß ein!
Melanie…e! Kommt ihr endlich mal?
Ach du Scheiße! Ich stehe gerade vor dem Kühlschrank. Es war wieder keiner einkaufen. Wer auch?«

»***«

»Nein definitiv nicht! Kein Kind wird über Nacht ordentlich! In ihr Zimmer gehe ich nicht mehr. Es ist ihre Sache, wie sie dort zurecht kommt. Wenn sie ihre dreckige Wäsche nicht rausbringt, kann ich sie eben nicht waschen. Dann hat sie eben keine! Geschirr bekommt sie auch keins mehr mit aufs Zimmer! Nur noch Pappteller! Die können dann dort vor sich hingammeln!
Melanie…e! Es reicht! Muß ich dir denn immer alles dreimal sagen? Mach endlich den Fernseher aus!
Was haben wir denn noch da? Schmelzkäse. Wah, der ist vergammelt. Ein paar Wiener, Butter, Ketchup und Toastbrot. Das müßte reichen. Wer hat das Toastbrot in den Kühlschrank gelegt? Was will der Mixer hier?«

»***«

»Ach, sonst gibts nichts Neues weiter. Die Scheidung ist durch und seitdem verstehen wir uns wieder prächtig. Der nimmt oft den Kleinen auch mal in der Woche. Die Große nicht. Die wäre ihm zu schwierig. Das muß er auch nicht. Die macht mit ihren 14 Jahren ihr Ding alleine. Außerdem ist sie ja auch nicht von ihm. Letztens hat sie mir Kondome geklaut. Gut, dachte ich mir. Da muß ich mir keine Sorgen machen.
Franz! Das ist das Katzenklo und kein Buddelkasten! Wie oft muß ich dir das noch sagen? Nimm den Bagger da raus! Melanie…e! Kannst du nicht aufpassen? Wart ihr schon Händewaschen? Ab gehts! Aber nicht hier! Hier ist doch der Abfluß kaputt! Das suppt da unten raus! Ab ins Bad!
Ich werde hier noch wahnsinnig! Jetzt ist das Toastbrot verbrannt! Den Toaster hat auch keiner repariert. Wer auch?«

»***«

»Ach, daß kannst du vergessen. Du, ich wohne hier in der Pampa! Kleinstadt! Ich kenne hier inzwischen jeden Mann im Umkreis von 300km. Da ist einfach nichts für mich dabei. Das brauchbare Material ist momentan anderweitig vergeben. Bis das wieder frei wird – so lange will ich nicht warten. Es kann mir auch keiner garantieren, daß diese dann nicht Ehekrüppel sind. Davon schleichen schon genug durch die Gegend. Unbrauchbar. Den großen Rest kannst du auch vergessen. Weicheier und Totalversager. Was denkst du, warum ich drei Liebhaber habe?
Melanie…e! Ich weiß, daß ihr Hunger habt! Jetzt nerve nicht rum und gehe mal zum Nachbarn, ob der noch Brot hat! Wir haben keins mehr! Nimm den Franz mit! Den mag er doch so sehr.«

»***«

»Na weil ich dachte, daß drei Kerlchen einen Mann ersetzen können. Vergiß es! Mit denen habe ich was durch! Meine Bude müßte mal renoviert werden! Denkst du, einer von den dreien hat das bis jetzt auf die Reihe bekommen? Die scheitern doch schon am Farbe kaufen. Ich kann sie ja schlecht zu dritt in den Baumarkt schicken, um ihre Entschlußkraft zu bündeln. Das wird nix! Ich will einfach nur gelbe Wände! Hast du nicht mal Zeit für mich? Malern? Ich koche dir auch ein lecker Essen!
Der Ketchup riecht auch komisch. Von wann sind eigentlich die Wiener?«

»***«

Danke. Aber ich fürchte, vor nächstes Jahr September wird es nichts mit dem Renovieren. Keine Zeit. Das du das Essen lieber mitbringen möchtest, kommt mir auch entgegen. Ich werde genug Streß mit dem Ausräumen und Saubermachen haben. Da kann ich nicht noch Essen kochen!
Wo bleiben die beiden nur? Es wird später und später! Der Udo will doch dann kommen! Und hier sieht es aus … Naja, der muß ja nicht durch die Küche. Wein steht schon in der Stube, nur den Aschenbecher muß ich noch verstecken. Wo bleiben die nur? Brot borgen kann doch selbst für Melanie nicht so schwer sein!
Also die Wiener – irgendwie fühlen die sich schmierig an.«

»***«

»Nein, die Kerlchen kennst du nicht. Ich werde mich hüten! Seit dem du dem Heiko zu seinem 40. Geburtstag einen Lutscher geschenkt hast, ist es vorbei damit. Ich mußte zwar feixen, aber der Rest seiner Verwandschaft nicht. Komisch geguckt haben die. Hör auf mit Lachen! Du hast mich da in eine Situation gebracht! Man war das peinlich! Der hat es ja nicht mal geschafft uns beide rauszuwerfen. Weichei!
Naja, nur soviel: Zwei der Herren sind top secret, weil verheiratet. Die sind sexuell so ausgehungert, daß sie mir einfach nur leid tun. Hör auf mit lachen! Die waren Beide von Anfang an sehr ehrlich zu mir. Wahrscheinlich nehmen sie mich nicht allzu ernst.
Bei dem Dritten hatte ich mir größere Hoffnung gemacht. Als ich ihn das erstemal gesehen hatte, dachte ich mir: Was für ein Mann! Ein Hühne! Ein Bär! Der Fels in der Brandung! Dann hat der das Maul aufgemacht und ich hörte die Stimme eines Schlumpfes. Boah eh! Geht gar nicht! Taxifahrer! Gut, dachte ich mir. In der heutigen Zeit weiß man nicht, ob die Kassiererin in der Kaufhalle einen höheren Schulabschluß besitzt, als man ihn selbst hat. Ein Taxifahrer mit einem Doktortitel in Philosophie oder Architektur ist ja auch nicht mehr so selten. Und was besagt das bitte schön? Nichts! Also habe ich mir den Knaben gekrallt, um mal seinen Körper auszuprobieren. Mal gucken. Nicht schlecht. Die Luft ist mir dann aber aus einem anderen Grund weggeblieben. Der Typ warf sich todesmutig auf mich, da klingelt sein Handy. Seine Mutti war am Apparat! Morgen um 9.00 Uhr wäre Frühstück. Sie würde, wie immer, frische Semmeln holen. Eine Tante Klara wäre auch geladen und er möchte bitte pünktlich sein. Und wo er denn wäre! Sie hätte sein Zimmer aufgeräumt und wenn er seine blauen Socken suchen sollte: Die hängen über der Heizung. Der Typ hat nur ein: ›Ja Mutti!‹ herausbekommen, dann war absolute Ebbe. Da ging gar nichts mehr! Sie würde ihn jeden Abend anrufen, wenn er nicht zu Hause wäre. Hör auf mit Lachen! Bin ich eine Komikerin oder was? Seitdem nehme ich ihm das Handy weg und schalte es aus, wenn er zu mir kommt. Wenn ich immer Bärchen zu ihm sage, kann er schon ganz ordentlich loslegen. Aber zu mehr taugt der auch nicht.
Da seit ihr ja wieder! Ohne Brot?«

»***«

»Ich werde hier wahnsinnig! Nein, die beiden waren natürlich nicht in Rostock bei der Oma Brot borgen! Stell dir vor: Die sind zum Nachbarn. Der war nicht da. Da sind sie durch das ganze Haus gezogen! Haben überall geklingelt und nach Brot gefragt! Überall! Auch beim Grinch!«

»***«

»Ich finde es nicht witzig! Ja, das ist die alte Schachtel, die die Gerüchteküche hier am Kochen hält. Ja genau! Morgen weiß die ganze Stadt, daß meine Kinder hungern und nach Brot betteln müssen! Hör auf mit Lachen! Ich knalle dir gleich eine!«

»***«

»Ich weiß, daß das nicht geht! Ich werde hier wahnsinnig! Das kann doch alles nicht wahr sein! Der Udo kommt gleich!«

»***«

»Gut. Ruhe bewahren und Nerven behalten! Plan B durchziehen! Nur habe ich keinen Plan B!

»***«

Okay, das mache ich! Vielleicht können wir das Ding noch retten!
Melanie…e! Du gehst sofort zum Grinch! Strafe muß sein! Du bittest sie um den Werbezettel vom Pizzaservice, der diese Woche im Briefkasten lag! Ja genau! Den Sauteuren! Den sich kein Mensch leisten kann! Unserer wäre aus Versehen im Altpapier gelandet. Oder so. Laß dir was einfallen! Oder besser nicht! Der Franz bleibt hier! Der guckt derweile fern! Das dauert sonst zu lange. Ja, mach die Kiste wieder an! Kannst du nicht einmal mitdenken? Franz! Nimm den Laster aus dem Katzenklo! Wo sind meine Kippen?«

»***«

»In der Stube? Neben dem Sofa? Meinst du? Egal! Ich kann jetzt eh keine mehr rauchen. Der Udo kommt gleich und hier sieht es aus wie … Ehe die Pizza da ist … Vielleicht kann ich ja wenigstens das gröbste … Der Udo denkt doch sonst … Zähneputzen war ich auch noch nicht … Du, ich muß jetzt schlußmachen. Bis später. Sonst schaff ich nichts mehr. Wegen Malern schwatzen wir nochmal … Tschü…ü! Oh Scheiße! Es hat geklingelt! Das ist der Udo!
Sag mal: Kann man sich Nervenzusammenbrüche einbilden?«

»Tu…uhu…ut.«

Dienstag, 2. März 2010

Puzzlemusik

Der Boden schwankt unter meinen Füßen, aber er gibt mir dennoch den Halt, den ich so sehr brauche. Die Luft riecht nach sich flußabwärts zurückziehendem Brackwasser. Ich weiß nicht, wie lange ich schon hier bin.

Meine Kopfgeburt steht mir gegenüber. Ihre Augen glitzern mich über meiner Augenhöhe an und sie schaut dennoch zu mir auf. Meine linke Hand umkrampft den Waffenschein, den ich für sie brauche.

Ihr flüchtiger, wie aus Versehen mir gegebener Kuß, war von ihr lange geplant und er trifft mich so, daß meine Gefühle in dem Fluß, auf dem wir stehen, Delphin spielen. Sie wendet sich von mir ab, um mich an die Hand zu nehmen. Wir müssen schon unser ganzes Leben über diesem Holzweg schreiten, der sich über diese Wasseroberfläche schlängelt. Hoch und runter. Es ist kein Ende und kein Anfang zu sehen, und das, für mich, nähere Flußufer ist für einen Absprung zu weit entfernt.
Wir schlendern durch meine alte Stadt. Sie sieht jetzt anders aus. Sicherer.

Ihre Hand legt sie nur auf die meine, wenn ein Richtungswechsel von ihr geplant und durchgeführt wird, oder er einfach ansteht. Sonst kann sie alleine laufen. Ich drücke meine Knie durch, folge ihr und sie mir.

Ich kenne sie nicht, aber sie gehört zu mir.

Die alte verwitterte Betonbrücke, die wir unterwandern, erinnert mich an das Lehrerzimmer meiner Kindheit, totgeschriebenen Büchern und, heute, nach Geld stöhnenden Worthülsen, die mich verfolgen. Mein Traum dreht sich lächelnd zu mir um, nimmt meine Hand, der Beton bröckelt, aber die Brücke steht noch. Soll sie ohne uns einbrechen. Oder weiterbestehen.

Der Himmel ist mit Wolken verhangen, aber er ist nicht grau. Ein warmer Goldherbst schaut gefällig auf uns herab. Ein alter Meister hat ihn gemalt. Schwergewichtig, imposant, aber nicht bedrohlich. Des Verklärers Name fällt mir nicht ein. Es gab zuviele davon … Die Vögel, auf ihren Höhenflug, sind kaum noch zu erkennen. Wir schauen uns an und wissen, daß ihre Fallhöhe nicht bis in unsere Wolken reicht. Sie werden später metertief, im kulanten Klärschlamm, neben den Schiffen, einschlagen und enden. Ohne uns.

Die Schiffe, am anderen Flußufer, weiten sich über diese Stadt hinaus und überragen leichtgläubig unseren Horizont. Es sind zwei, die dort vor Anker gegangen sind oder verankert wurden. Sie ähneln großen runden Schwänen, die aus rotem und blauem Styropor geschnitzt wurden. Einfach und funktional sind sie, wie Träume eben sein sollten.

Meine Stadt scheint ein Fest zu feiern. Grünbuntblumige Lampions schwimmen den Fluß hinunter und es sind keine Menschen zu sehen. Als lebende Gespenster dienen Schaufensterpuppen. Als Ersatz des Ersatzes.

Sie dreht sich zu mir um und lächelt mich ungeschminkt an. Ich weiß, daß sie unersetzbar für mich ist. Sie nimmt meine Hand und schlägt eine Tür für uns auf. Sie führt in ein Zimmer, wo Heimatlose, auf ihrer Reise ins Irgendwo, gern Station machen um ihren Krempel loszuwerden. An die Wand gepinnte Enttäuschungen, zu Fußbänken gedemütigte Gefühle und verrottete Wünsche umspülen mich. Sie scheint sich hier gut auszukennen. Aber sie trägt keine eintätowierte Inventarnummer, so wie ich, am linken Unterarm.

Sie weiß genau, wo sie suchen muß. In diesem gut sortierten Müllbergregal hat sie ihren Schatz versteckt: Ein Karton mit einem mir unbekannten Puzzlespiel. Als Bildvorlage dient ein alter Topf mit einem passenden neuen Deckel in leichten hellbunten Farben. Aber sie spielt nicht, sondern stöpselt einen kleinen Kopfhörer in den Karton und hält ihn mir an das falsche Ohr. An jenes, auf dem mich nichts, und niemand, mehr erreicht.

»Das ist meine Musik. Kannst du mich hören?«

Ich kann sie sogar verstehen. Sommerwiesenmusik, die meine ungeliebte Tätowierung verblassen läßt. Wir schweigen und reden gleichzeitig miteinander. Sprache ist nicht wichtig. Blicke reichen. Und ihr Geruch …

Unser Bett fühlt sich wie handgewebt, uneben aber ausgeglichen an. Mein, nein unser Zuhause. Ich bin mit und bei ihr, bei mir angekommen.

Vorbei. Wie immer. Abschiedsschmerz steht in ihren und in meinen Augen. Sie löst sich, wie eine erkaltende Fata-Morgana ungewollt auf. Träume enden so.

Guten Morgen! Aufgewacht! Was war das für eine beschissene Nacht …

Wer zulange in seine Träume schaut, wird blind, heißt es. Aber es ist besser blind zu werden, als einen faulen Kompromiss einzugehen.

Der Himmel in meinem Fenster ist kalt, grau und in sich zerrissen.
Ich weiß, daß dieser kommende Tag kein guter Tag zum Sterben ist, aber auch, daß er kein guter Tag in meinem Leben wird.