Untergehen ist das Eine, unter der Oberfläche bleiben das Andere. ;-)

Montag, 26. November 2012

Blickdicht 2


Es war Sommer und ich hatte Urlaub. Irgendwann Ende der achtziger Jahre. Im Kulturhaus »Rudi Arndt«, im Volksmund »Blutiger Rudi« genannt, standen eine Diskothek und die üblichen Schlägereien auf dem Abendprogramm. Dort war es zu warm, verqualmt, viel zu hell und an Frauen herrschte kein Mangel.

Ihr Getränk hieß Sportlerflip, bestand aus Cola und Eierlikör und schmeckte nach süßer Schlemmkreide. Sie schmeckte mir besser. Neben ihren Wohnblock gab es einen, in absolutes Dunkel getauchten, Spielplatz, der uns keine 10 Minuten reichte. Zu ihr nach oben gehen, sich an ihren, um diese Zeit volltrunkenen, Vater vorbeischleichen, wollte sie nicht. Die Straßenbahnfahrt zu meinem Bett war zu kurz, um uns zu lang zu werden.

Meinen Urlaub verbrachte ich dann im »Drei-Schicht-Betrieb«: Aufstehen, mit ihr ins Bett gehen und ausschlafen. In den Pausen holte ich neuen Rotwein und aß etwas. Um sich mit ihr zu unterhalten blieb keine Zeit.

Einmal war ich bei ihr zu Hause. Warum weiß ich nicht. Ihr Vater war noch in der Kneipe und das Sofa vor dem Fernseher frei. Ihr Zimmer war keine Offenbarung. Es gab weder ein Bücherregal noch sonst etwas, was es mir möglich gemacht hätte, ein Gespräch einzuleiten. An den Wänden hing die übliche Sehnsucht, lieblos drangeklatscht. Nur ein Photo erregte meine Aufmerksamkeit.

Es waren drei junge Kerle, Mitte Zwanzig, die aussahen, als hätte der Zentralrat der FDJ im Vollrausch eine Boygroup gecastet. Fußballerfrisuren – vorn kurz, hinten lang; erbärmliche Schnauzbärte, Lederjacken, Football-Shirts und gestreifte Kasperlehosen, wie sie damals bei Halbstarken Mode waren, lehnten lässig an einem eindeutig westdeutschen Schaufenster. Ihre Gesichter waren austauschbar, abwaschbar und bar jeder Intelligenz. Der Typ in der Mitte, dem die Doppelnull auf dem T-Shirt am Besten gestanden hätte, war ihr älterer Bruder. Ihm war die Ausreise in den Westen geglückt, und in seinem ersten und bis dahin einzigen Brief, steckte ein Zehnmarkschein Westgeld und die Information, daß er sich bald eine Phototapete von einem Palmenstrand kaufen würde.

Das bißchen Westgeld verehrte sie wie eine heilige Reliquie. Sie mußte den Schein gebügelt haben, bevor sie ihn unter das Bild klebte. Damals war mir nicht klar, welche Macht Menschen dem Geld verleihen und daß man für viel weniger, ein paar Euro, erschlagen werden konnte.
Sie wird das Geld nie in den Intershop geschafft haben. Dort verwandelte er sich nur in ein paar Kaugummis, Zigaretten und vielleicht in eine Flasche Wein. An der Wand war er viel wertvoller. Er war für sie das trügerische Symbol für eine freie Welt. Eine Welt, in der man sie auch nur beschissen bezahlen würde, die Reisefreiheit sie nach wie vor nur an die billigen Strände ehemaliger Ostblockstaaten führte und in der Meinungsfreiheit keinen Sinn macht, weil kein anderer einem zuhört.
Wie gewonnen, so zerronnen. Der Schein wurde wertlos, als später die Welt über sie hereinbrach, für die er stand.

Ihr Wert verlor sich für mich eher. Mein Urlaub war rechtzeitig zu Ende und ihre Briefe beinhalteten unbeholfenen Nonsens. Sie wird mich schnell vergessen haben. Vermutlich hat sich mich auch gar nicht wahrgenommen. Ihr jahrelanger Freund sollte ein paar Wochen später seinen Armeedienst beenden und ihre geplante Hochzeit einleiten.
Für mich sah es da besser aus. Ich war frei, im Sinne von ungebunden, und mir stand die Welt – Berlin, die Ostsee oder Klein Kummersdorf-West – offen. Was ich dort wollte, war mir allerdings auch nicht klar.

Aus die Maus.

Samstag, 24. November 2012

Blickdicht 1

Zeitgenössische Photos und Gedanken, in loser Folge vorgestellt


Die Sage munkelt, das Ninjas ihre Sprößlinge schon in ihren ersten Monaten auf den harten Alltag eines Schatten-Kriegers vorbereiteten. Dazu schlugen sie mit Holzstöcken an die Wiege des Babys, setzten es Hunger und Kälte aus oder wirbelten es wild durch die Luft. So gestählt, war es den kleinen Rackern schon im Alter von 8 bis 9 Jahren möglich ihrer Arbeit nachzugehen. Historisch verbürgt ist ein tötender Dolchstoß eines Ninja-Kids gegen den Leibwächter irgendeines feinen Herrn, der darauf vom Papa des Kleinen gemeuchelt werden konnte. Heutzutage ist solche Kinderarbeit weitestgehend verboten, aber was soll besorgte Eltern davon abhalten, ihre Kleinen fit für die Kindertagesstätte zu machen? Dort geht es ja auch nicht zimperlich zu und man tut gut daran, den eigenen Nachwuchs schon früh auf das Leben vorzubereiten.


Mit dieser Schaukel zum Beispiel. Grell und bunt wie ein Schaufenster wirkt sie erst einmal verlockend auf jedes Kind. Man quetscht den Kleinen Sack da rein und wiegt ihn in den Schlaf. Wenn er pennt, beginnt das Fußballtraining mit ausgewählten Stadtteilkindern der näheren Umgebung. Dribbeln und auf das Tor knallen. Die quietschbunte Schaukel symbolisiert den Tormann. Aus eigenen Kindheitserinnerungen weiß ich, daß ein Tor nur dann zählt, wenn es den Tormann mit umnietet. Das war es eigentlich schon. Jeden Tag eine halbe Stunde Training und der Sproß ist so abgehärtet, das er später jeden Tag seinen Mann zu stehen vermag und auf den Beistand eines Schulpsychologen verzichtet werden kann. Es ist gar nicht so schwer, jahrhundertealtes Wissen heute noch erfolgreich zu nutzen. Es vermag dort helfend einzugreifen, wo die moderne Pädagogik jämmerlich versagt.