Untergehen ist das Eine, unter der Oberfläche bleiben das Andere. ;-)

Sonntag, 29. April 2012

Fass!



Sollte man nicht rufen, wenn man nicht weiß, was dann passiert und schon gar nicht, wenn der Stubenvogel eine Carnivore inspiziert. Jetzt ist er weg, der Sittich. Wie man sieht, leistet eine Kralle noch erbitterten Widerstand. Aber viel gebracht hat das bis jetzt auch nicht. Was kann ich nun tun, damit diese Dionaea mein Wellenhuhn wieder auskotzt? Schütteln? Absinth einträufeln? Das »Wort zum Sonntag« gucken lassen? Will ich das überhaupt noch? Ich meine: Das Viech ist jetzt knapp 10 Stunden in der Pflanze ...

Montag, 16. April 2012

Dysplasie


Spätsommer. Der Tag war sehr warm und von der Elbe her zieht nun kühlere Luft über die Uferwiesen. Stumm und ziellos bummeln wir an der untergehenden Sonne vorbei, einen Trampelpfad entlang, der im Nichts zu enden scheint. Ab und zu bricht das rotgoldene Grün auf und spuckt uns merkwürdige Gestalten entgegen.

»Ist das ein Mädchen?«

Sieht man das nicht? Der Mann ist über Fünfzig. Da sollte man solch feine Unterschiede zwischen weiblich und männlich erkennen können. Gut, so wie der aussieht – klein, dick, ästhetisch benachteiligt und mäßig bis mittelmäßig intelligent – könnte es sich um einen Dorfpfarrer handeln. Die nehmen es mit den Geschlechtern wohl nicht so genau.

»Oh, da muß ich aufpassen!«

Auf was?

»Das ist ein Junge. Meiner Frau ihrer. Also, der ist schon unser. Aber der war so lange krank.«

Das sieht man. Nicht nur, daß es ein Junge ist, sondern auch, daß er halb tot zu seien scheint. Der kann sich kaum auf den Beinen halten, zittert wie ein Junkie auf Entzug und guckt auch völlig umnachtet.

»Nicht, daß der sich aufregt! Das wäre gar nicht gut für ihn. Jetzt, wo sein Heilungsprozeß sich in der kritischen Phase befindet. Der Arzt hat extra noch mal darauf hingewiesen, daß der Junge sich nicht aufregen darf.«

Warum soll der sich aufregen? Meine Madam ist vierzehn Jahre alt!

»Dreizehn ist der Charly. Also, der heißt Charly. Das war der Wunsch meiner Frau. Ich hätte ihn ja lieber Hagen, Baldur oder Ansgar genannt. Aber na ja. Ich konnte mich da nicht so durchsetzen.«

Der arme Kerl. Alle vier Namen sind so etwas von albern. Der Mann ist entweder ein Jung-Nazi und Himmlers Germanenkult verfallen oder sonst irgendwie gegen das Paddel geknallt, und seine Frau heißt Hedwig und war zu oft im Kino. Diese Dorflichtspiele hatten außer »Drei Engel für Charly« sicher nichts weiter zu bieten.

»Meine Frau ist doch so vernarrt in alte Filme. In denen der Rühmann oder der Hörbiger zu sehen sind. Da ist die hin und weg. Früher hat die sich jeden alten Film, der montags im DDR-Fernsehen kam, angeschaut. Ich konnte da nicht mithalten. Montags war doch immer Parteiversammlung. Aber den Willi Schwabe, in seiner Rumpelkammer, haben wir uns immer zusammen angeschaut. Bei einem Glas Wein – das war schon schön.«

Ach du Scheiße. Der arme Kerl.

» ›Charlys Tante‹, mit dem Heinz und dem Paul, war ein schöner Film, der oft wiederholt wurde. Was haben wir gelacht! Meine Frau und ich. Die heißt doch auch Carlotta, so wie die Tante vom Charly. Also, so attraktiv wie die Hertha Feiler, die Schauspielerin, war meine Frau auch früher nicht – wir kommen beide aus einfachen Verhältnissen – aber imponiert hat ihr das schon, den selben Namen wie die Hertha tragen zu dürfen. Also hat sie den Jungen Charly genannt«

Das war mir fast klar. Mannomann. Der Mann kommt ja richtig ins schwärmen. Die schöne alte Zeit! Und jetzt kommen wohl keine alten Filme mehr oder hat man Beiden den Fernseher geklaut?

»Im Moment können wir nicht fernsehen. Der Junge darf sich doch nicht aufregen, da lassen wir das Gerät lieber aus.«

Was? Also, bei aller Liebe, aber das ginge mir dann doch zu weit. Ab ins Bett und fertig! Wie bei Madam. Nach dem Sandmännchen vertreten wir uns draußen noch mal kurz die Beine, so wie heute, und dann ist Feierabend für sie. Da will ich nichts mehr hören! Da ist es mir egal, ob sie Schnupfen oder gerade gekotzt hat. Da kann man eh nichts machen.

»Er schläft doch jetzt in der Stube. Weil der so krank ist. In seinem Zimmer ist es noch zu kalt und da ist er auch so allein. Wobei der doch jetzt so viel Fürsorge braucht. Da liegt er auf dem Sofa und wir sitzen daneben – meine Frau im Sessel und ich auf dem Küchenstuhl – und lesen ein wenig. Mit der Taschenlampe geht das schon, das große Licht lassen wir aus, damit der Charly seine Ruhe findet.«

Der sitzt doch echt im Dunklen. Nicht nur abends. Die spinnen komplett.

»Nachts schlafe ich dann bei ihm. Vor dem Sofa auf einer Decke. Das geht schon. Damit gleich jemand bei ihm ist, falls etwas passiert. Klar, das ist Quatsch. Was soll schon passieren? Und wenn, kann ich eh nicht viel machen. Aber es beruhigt einen doch und man kann besser schlafen. Obwohl, so richtig geschlafen habe ich seit seiner Operation nicht mehr.
Wie auch? Die Decke ist viel zu dünn, und nach einer halben Stunde liegen, tut mir schon alles weh. Früh stehe ich wie frisch gerädert auf. Aber wir haben nur diese Decke. Wir kommen doch aus einfachen Verhältnissen.«

Ding an der Waffel!

»Es ist schon schwierig im Moment. Man weiß ja sowieso nicht, ob er es noch lange macht.«

Dreizehn ist doch noch kein Alter. Da hat der Charly eigentlich noch einiges vor sich – wenn er die Fürsorge der Beiden überlebt.

»Eben. Das haben wir uns auch gesagt und ihn operieren lassen. Für 4500 Euro. Obwohl der Arzt davon abgeraten hat. Aber warum soll der sich so quälen? Da bekam er eben sein neues Hüftgelenk. Klar, es hätte schief gehen können. Seine Knochen sind ja so sensibel und sein Blutdruck ist viel zu hoch. Aber das mußten wir eben riskieren. Ob der Charly das wollte – man weiß es nicht. Die Entscheidung konnten wir ihm nicht überlassen.«

Das wäre ja noch schöner. Vielleicht bitte ich Madame noch um ihre Meinung. Die tut sie auch so kund. Der Charly ist ihr völlig schnuppe. Die ignoriert ihn einfach und schaut den vorbeifahrenden Radlern zu.

»Wie heißt denn das Mädchen? Ach, egal. Der Charly muß jetzt nach Hause. Unsere Unterhaltung hat ihn schon zu sehr angestrengt.«

Unsere Unterhaltung? Habe ich dazu überhaupt beigetragen? Ich kann mich nicht erinnern. Auch egal. Der Charly droht gleich aus den Latschen zu kippen. Es ist höchste Zeit, daß der auf sein Sofa kommt.

»Dann wünsch ich ihnen noch einen schönen Abend! Wir müssen! Vielleicht sieht man sich mal wieder? Bestimmt, wenn der Charly wieder auf dem Damm ist.«


Was ist das für eine kaputte Welt? Früher, bei uns auf dem Dorf, hätte der Charlie die Handkante ins Genick bekommen oder der Förster hätte die Sache diskret im Wald erledigt. Da wäre niemand auf die Idee gekommen, eine Operation einzuleiten. Niemand hätte dafür einen Pfennig ausgegeben. Schon allein deshalb, weil man noch wußte, wie knapp das Geld sein konnte, was Hunger bedeutet und daß es Menschen gab, die es dringender nötig hatten. Wo anders verrecken heute noch Kinder an Mangelernährung, an vergammeltem Wasser oder an hoffnungslos überlagerten Medikamenten, und hier bekommt ein Charly ein sauteures Hüftgelenk verpaßt, von dem er in seinem Alter vielleicht nicht mehr viel haben wird.

Madam schnuppert dem abdackelnden Charly hinterher, zieht an der Leine, um auf der Wiese hier ihren allabendlichen Haufen zu hinterlassen. Damit wäre die Hunderunde beendet. Die alte Dame weiß das und zieht so resolut an der Leine, daß mir nichts anderes übrig bleibt, als ihr in Richtung meiner Wohnung zu folgen.

Freitag, 6. April 2012

Hausmitteilung – Es ist Ostern

Und damit wieder so ein Fest, bei dem gute, alte heidnische Bräuche vom Christentum schamlos übernommen wurden. Ich meine jetzt nicht das ans Kreuz nageln und Wiederauferstehen oder andere religiöse Riten, bei denen froh gemeuchelt wird, nein, ich möchte an die helle Seite dieser Alljährlichkeit erinnern. Früher war Ostern einfach nur ein Frühlingsfest, bei dem der Göttin Ostara (Eostrae) gehuldigt wurde. Sie war die Schirmherrin der Fruchtbarkeit und des erkeimenden Lebens, wie es diese zeitgenössische Darstellung so schön versinnbildlicht.

Daher rührt auch der Eierbrauch (altgerm.: Rührei) der bis heute Bestand hat. Das Ei als Sinnbild erwachenden Lebens wird von einem Hasen (Rammler oder ein Tier, dem man die Ohren langgezogen hat) versteckt. Das ihm bunte Eier angedichtet wurden, rührt vermutlich von der naiven Phantasie (hochdeutsch: Rührseligkeit) verschiedener Kitschpostkartenmaler (u.a. A. Hitler) her. Warum er die Keimzellen verbirgt und man sie erst suchen muß, ist unklar. Man geht davon aus, daß er seine Gründe dafür haben muß. Vielleicht will er, daß man sie von einer anderen Göttergabe, der Eierhandgranate, unterscheiden kann. Warum auch immer. Eingeführt wurde diese von Ares, dem Gott der Zerstörung aber auch des Aufbaues, zur effektiven Hasenjagd. Splitterhase mit Rührei war ja seine bevorzugte Götterspeise. Auch er ist ein Gebieter über den Frühling und so macht die Eiform des Splitterbömbchens schon wieder einen Sinn.

Wir sehen, daß das Osterfest verschiedenerlei Ursprunges ist aber den Tod und das Leben in sich vereint. Wie Schwarz und Weiß, Ying und Yang, Geburt und Leben ausröcheln und damit den ewigen Kreislauf unseres Universums darstellt, was nirgendwo so bewegend wie in der Jesusstory seinen Ausdruck findet. Verraten, verkauft und ans Kreuz genagelt, um fröhlichen Urstand zu feiern, um darauf wieder verraten, verkauft usw. zu werden. Eine Geschichte, die jeder versteht, nachvollziehen kann und derer wir heute noch still gedenken. Still deshalb, weil die katholische Kirche jede Freude an einem Fest kategorisch verbietet. Dabei erfreuten sich Hinrichtungen im Namen des Herrn früher allervorzüglichster Beliebtheit. Da hatte das Volk etwas zu gaffen und der Henker ein paar neue Stiefel. Gut, die Zeiten ändern sich. Um zu morden, verbietet man halt Kondome. Das ist nachhaltiger und damit modern. Da soll noch jemand behaupten, der Vatikan geht nicht mit der Zeit. Wohin dabei, steht in seiner Historie.

Aber geblieben ist ihr Anliegen, jedem das Fest, oder eigentlich jeden den Tag, zu versauen. Deswegen darf zum Karfreitag nicht gejubelt und getanzt werden, deswegen wird Ostara so erotisch dargestellt wie ein 250kg schwerer Klops aus Gammelfleisch, und deswegen darf der Beischlaf an diesem Tag nur unter Schmerzen vollzogen werden. Letzteres ist kein Zugeständnis an die Genossen vom BDSM-Zirkel, sondern die Projektion des eigenen Krankheitsbildes führender Flagellanten in ihre Umwelt. Ob gläubig oder nicht. Da greift das Gleichheitsgebot. Nun gut. Erfreuen wir uns noch schnell an zwei Stimmungsbildern und dann am Konterfei ...

... meines Wackelaugenkaktusses.

Wie jedes Jahr, macht er die Glubschies nur zu Ostern auf. Das es jedes Jahr immer mehr werden, ist für mich kein Grund zur Beunruhigung. Mein Fanblock wächst ja auch stetig an und dagegen sind seine 22 Köpfe (ein paar davon sind auf diesen Bild nicht zu sehen) in der Minderzahl. Das quasseln habe ich ihnen unter Androhung schwerer Kompoststrafe auch verboten. So gesehen, passt er auch gut zu Ostern. Er vermehrt sich, und hält dabei die Klappe. Als Waffe ist er übrigens auch gut geeignet. Lautlos und ohne Spuren zu hinterlassen verübt er sein Massaker. Einmal in ein Schlafzimmer gestellt, gibt es kein Entrinnen. Allerdings nur für Leute mit einer handfesten Paranoia im Oberstübchen. Die springen. Womit wir wieder beim Leben und dem Tod, also dem Osterfest wären. Die Frühlingsgötter mögen mit euch sein.

P.S.: Ein wissenschaftlichen Nachweis über die Existenz der germanischen Göttin Ostara ist nie gelungen. Auch in der nordischen Sagenwelt gibt es keinen Hinweis auf sie. Vermutlich hat es sie nie gegeben.