Untergehen ist das Eine, unter der Oberfläche bleiben das Andere. ;-)

Donnerstag, 24. Februar 2011

moderne Zeiten IV


Wer im Trüben fischt, muß auch damit rechnen, daß er irgendwann klare Bilder sieht.

Aber mal etwas ganz anderes: Kann mir jemand mal erklären, in was für einer Kürbisrepublik ich lebe? Kann das noch einer? Seit zwei Tagen ziehe ich mir auf RIAS Berlin den Bundestag rein. Es ist unglaublich, was da abgeht. Wenn diese Volksvertreter die Mehrheit aller Deutschen repräsentieren, kann ich nur hoffen, daß alle meine Lehrer schon unter der Erde sind. Scham und Schande sage ich nur.

Donnerstag, 17. Februar 2011

Guten Morgen! Aufgewacht!


»Das Scheitern ist die Aufgabe des Idealisten.« (aus: Til van der Hasze, Ungeschriebene Bücher, 2010)

Ich habe Angst. Ich weiß nicht, woher ich komme. Ich weiß nicht, wohin ich will. Aber ich weiß, wo ich bin: Am Steuer meines Wagens auf einer nassen Achterbahn. Dort, wo wahnsinnige Organspender mit ihrer Selbstverwirklichung, ihrem von anderen, vermeintlich wichtigen, omnipotenten Totalversagern aufgezwungenem Erwartungsdruck und dem Freitod dreispurig russisches Roulett spielen.
Der Horizont zeigt grau verschleiert in das Nichts und hält einen großzügigen Sicherheitsabstand zu mir konstant ein. Um mich herum schlingern blinde Geisterfahrer in ihren rasenden Boliden, die mit mir Schlittenfahren möchten. Sie glitzern mich panikrotgrau an.

Ich habe Angst. Es gibt keine Bremse. Aber eine Abfahrt, die sich, vermeintlich harmlos, als Parkplatz entpuppt.

»Du willst mal pullern! Stimmts?«

Schweißgebadet zitternd bestaune ich, nach atembarer Luft ringend, dieses, von einer gut sortierten Trinkhalle ausgekotztes, leicht vor sich hin schmierendes Männel.

»Da gehste dort rüber!«

Routiniert wichtig reißt er seinen Arm, clownesk schiedsrichterhaft verzerrt, mit weit gespreizten, merkwürdig sauberen Fingern, in Richtung des angrenzenden fahl-grün verfärbten Wäldchens.

»Den Trampelpfad lang, bis zu den drei Eichen. Dort nimmst du die linke! Die ist für die Gäste hier bestimmt! Du willst doch weiter? Du bleibst doch nicht hier? Oder?«

Ich weiß nicht, was ich will.

Doch. Ich will hier weg, aber nicht zurück auf die Autobahn. Im Lose ziehen hatte ich noch nie Glück, und ich kann, ich will meinen Ahnen noch nicht unter die sehr wachen toten Augen treten.

Dieser Parkplatz kommt mir sehr vertraut vor. So wie man Pest und Cholera zu kennen glaubt, wenn man sein Leben auf der Überholspur mit dem Leben bezahlt und hier geparkt wird, bis sich eine Rückfahrkarte erbarmt. Da schlittere ich dann doch lieber weiter auf der Standspur ins Nirgendwo.

»Gut, also die linke Eiche. Vielleicht hast du ja Glück.«

Müll. Ich wate durch Müll. Mitten in der Anderwelt umkreist mich ein Gulag aus vergessenen Träumen, verlorenen Wünschen und zu Schlamm zerfallenen Illusionen. Weißgetafelte Schlachtbänke bahren faulende Erinnerungen in Regalen auf. Sie tropfen kalt und grün auf maßgeschneiderten Beton. Hier brennen keine Kerzen mehr. Nur die toten Augen gefallener Krähen bergen noch etwas Leben in sich. Sie spiegeln mich.

»Du hast kein Glück! Es bleibt alles so, wie es ist. Außerdem ist dein Kaffee alle.«

Fledermausartig orakelt der Wald zu mir, mein Magen verkrampft sich und ich finde die Eiche nicht. Nur drei Stümpfe offenbaren sich modernd, im Brackwasser des Vergessens. Ich versage mich ihnen.

Weiter oben, den verharschten Hang hinauf, übt sich ein Luftschloß im Maskenball. In Nebel gehüllt lockt sein Park mit irrlichternden Erwartungen. Sie schwinden und verweigern sich zu einem Labyrinth, das sich als Minenfeld scheinbar endlos weiter in die Höhe zieht. Rostige Splitter bluten in den Bäumen um mich herum.

»Du hast kein Glück. Es bleibt alles so, wie es ist. Gott würfelt eben nicht.«

Ihre Augen sind blau und sie blicken grau. Nebulös aufgedunsenes Nichts stellt sich mir in den Weg. Ihr Zeichen der Zeit ist mir ins Gesicht geschminkt. Eine sanft entschlafene Fratze. Ich muß mich nicht erbrechen. Nicht mehr.


Einen Subway gibt es immer und ich tauche in ihn ein. Die Rolltreppe ist gut und hart gepolstert und wird vom Stalingedächtnisstil umrahmt. Sie endet diesmal auf meinem neugeborenem Hochhaus. Die Sonne wirft kraftlos eine leere Flasche Wodka nach mir, und im Himmel überschlägt sich ein Reigen aus buntem Briefpapier. Die Ampel schaltet auf grün, zeigt nach unten und ich springe in mein infarktierendes Herz. Umschmeichelt von einer Stimme ... »Guten Morgen! Aufgewacht! ...«


Bleib locker Danny und laß das Auto stehen. Du mußt mich nicht retten kommen. Mir geht es saugut. *g*

Mittwoch, 9. Februar 2011

moderne Zeiten III


bunte Bilder – rechnergestützte Zeugen vergehender Zeit

So, damit wäre das Thema: »Mit beiden Beinen fest im Leben stehen«, auch geklärt.

Sonntag, 6. Februar 2011

Der erste Eindruck ...


Der erste Eindruck entscheidet alles.

Dieser Satz begleitet ihn schon eine Woche. Überall scheint er aufdringlich zu stehen. Am Gartenzaun, auf jeder Häuserfront, der Straßenbahn oder wie jetzt im wolkenlosen Maihimmel. Er kann ihn nicht wegwischen oder ihm entkommen. Schlimmer noch. Seine Angst ergänzt ihn schnörkellos:

Fällt er für dich ungünstig aus, hast du verloren.

Seine Maschine erscheint ihm schwerer als sonst. Sie droht ihm aus der Hand zu gleiten. Nur mit Mühe kann er sie aufbocken und verhindern, daß sie ihn zu Boden zieht. Den ganzen Vormittag hat er sie geputzt und alles durchgesehen, was an einem Motorrad verschleißen oder kaputtgehen könnte. Sogar den Vergaser hat er auseinandergebaut, um die Zeit bis zum Mittagessen zu überbrücken. Als könnte er so den Nachmittag aufschieben und ihn gnädiger stimmen. Es war egal – ihr war es egal – wie die Maschine wirkt. Sie hatte auch nicht vor, sich von ihm abholen zu lassen.


Vor ihm ragt ihre Fassade. Das Haus in der sie wohnt. Bröckelnder Altbau. Eine Mietskaserne, die bis in den Himmel reichen kann. Lärm, über den Hof eilende, scharfe Rufe nach den spielenden Kindern, unter Lichtmangel leidende Gummibäume, Dederonkittelschürzen, Lockenwickler, sich langweilende Rentner, der Duft von frisch gebrühten Bohnenkaffee, kaputten Autos und die unvermeidlichen leeren Bierflaschen – all das schießt ihm beim Anblick dieses durchlebten Hauses durch den Kopf. Zwar wirkt es auf ihn abstoßend, aber doch merkwürdig vertraut. Als würde er hier schon ewig wohnen. Dabei sieht er das Haus gerade das zweitemal. Beim erstenmal war es nachts und er ist nicht einmal – wie sonst bei solch einer Gelegenheit – bis in den Hausflur vorgedrungen. Sie zog ihn nur kurz an sich heran, gab ihn einen sehr flüchtigen Kuß und bevor er reagieren und sie umarmen konnte, hatte sie ihn schon zurückgestoßen. Sie entglitt ihm durch die Haustür. Durch ihre Haustür.

Der erste Eindruck entscheidet alles. Fällt er für dich ungünstig aus, hast du verloren.

Er hat noch Zeit. Sein Helm hängt am Lenker und er setzt sich sehr vorsichtig, seitlich auf seine Maschine. Hastig zieht er an der Zigarette. Bei ihr kann man nur auf dem Balkon rauchen. Der ist eng und beherbergt neben zwei Stühlen, einen kleinen, runden Tisch, diversen Blumentöpfen und gebrauchten Kaffeetassen nur noch zwei Müllsäcke, die im Laufe der letzten Wochen so voll geworden sind, daß sie die nicht mehr allein nach unten in die Tonne schaffen kann. Er würde das für sie erledigen und bei dem Gedanken muß er lächeln. Das kann sie von ihrem Fenster aus nicht sehen. Ihre Wohnung liegt auf der anderen Seite des Hauses.


Er wußte schon einiges von ihr und es war für ihn alles neu. Ihr Selbstbewußtsein, ihr wacher Blick, ihre natürliche Art und vor allem, daß sie sich nicht mit seiner Fassade zufrieden gab. Er kannte genug Frauen, bis zum Abwinken, wie man so schön sagt, und seine Erfolgs- oder besser seine Abschußquote, wie man noch schöner sagt, konnte sich sehen lassen. Er verließ keine Disco, kein Konzert und keine Party unbeweibt. Selbst volltrunken schaffte er es immer bis in ihren Hausflur. Knutschen, Fummeln und wenn er Glück hatte, nahmen sie ihn mit hoch. Das war immer noch die elterliche Wohnung. Heimlich reintorkeln, Spaß haben, erwischt werden und aus dem Fenster, oder an dem tobenden Vater vorbei, die Treppe hinunter flüchten. Er kannte das alles, und bis jetzt reichte ihm das auch. Am nächsten Tag, am Wochenende, präsentierte er dann seiner Meute, seinen Freunden, die Kirsche vom Vorabend als Sozia. Die hatten auch etwas Neues hinten auf ihren Motorrädern sitzen. Man tauschte anerkennende Blicke, bevor es in der Horde über die Landstraße ins Nirgendwo ging. Die Straßen, die Dörfer mit ihren Feldwegen und einladenden Gebüschen waren so austauschbar wie die Frauen selbst. Nur sehr wenige von ihnen schafften es, dauerhaft in der Clique zu bleiben. Denn diese legt Wert auf die schnelle, unverbindliche Freiheit.

Bei ihr war alles anders. Ihr erster Blickkontakt entwaffnete ihn nicht nur, nein, er machte ihn hilflos. Er, der große Recke, hatte Angst. Angst etwas falsch zu machen. Das war für ihn nur die ersten Minuten unangenehm – schlimm ist nicht der richtige Ausdruck dafür, er trifft es aber besser. Später, als er bemerkte, daß sie sanft die Initiative ergriff, lieferte er sich ihr aus. Das erste Mal spielte er keine aufgesetzte Rolle. Er blieb so, wie er eigentlich war: Zurückhaltend, fast schüchtern, aufmerksam und er sog sie in sich auf. Alles an ihr. Viel redeten sie an diesem Abend nicht miteinander, dafür war es viel zu laut und wortlos gab es viel mehr zu erzählen. Sie schauten sich nicht an, sondern in die Runde. Wie von oben, ganz oben von einem Thron herab, sahen sie sich das an, was sie kannten, was sie selbst vor gefühlten 300 Jahren waren, was sie nun hinter sich gelassen hatten und was sie nichts mehr anging. Dieses buntschillernde, einheitsgraue Balzgehabe aus Talmi, mit Schminke untermalten Placebos und ihren röhrenden Platzhirschen im Einheitsjeansblau auf Bierlachen präsentiert.
Wenn sich ihre Blicke kreuzten, lächelten sie und schmunzelten sich an. Ein mehr an Verstehen bedurfte es nicht. Hier oben auf ihren Thron waren sie für sich allein. Er genoß ihre Nähe mehr als alles andere, was vor ihr da war. Aber die Angst klopft immer noch seinen Takt. Sie ist nicht gewichen, nur etwas kleiner ist sie in ihm gewachsen.

Der erste Eindruck entscheidet alles. Fällt er für dich ungünstig aus, hast du verloren.


An diesem Abend ist er allein, über viele Umwege durch die für ihn ungewohnte Nacht, nach Hause, zu sich selbst gelaufen. Sie zu begleiten, hatte er sich nicht gewagt. Das traute er sich erst viel später zu. Genau vor einer Woche.

Er hat noch Zeit für eine Zigarette, vielleicht auch für zwei, wenn er sie so hastig raucht, wie die vorhergehenden. Die Sonne flutet jetzt diese Straße und ihre Fassade. So sehr, wie er sich mit ihr versteht – mit und noch besser ohne Worte –, immer hatte er das Gefühl, daß da noch etwas war, hinter dem sie sich versteckte. Etwas Entscheidendes. Etwas, was nicht gegen ihn gerichtet ist, was sich aber gegen ihn richten kann. Irgendwann würde sie es ihm erzählen. Irgendwann. Dann, wenn sie für sich eine Entscheidung getroffen hat.

Nun hat sie sich entschieden. Genau vor einer Woche, als er sie das letzte Mal sah.

Der erste Eindruck entscheidet alles. Fällt er für dich ungünstig aus, hast du verloren.

Nach dem Mittag flüchtete er ins Bad. Lange blieb er dort. Als wenn das ausgiebige Duschen etwas hätte ändern können. Den Dreck vergangener Frauen bekam er eh nicht mehr von seiner Haut. Die Zeit konnte deswegen auch nicht langsamer vergehen. Seinem Kleiderschrank entriß er die guten, neuen Jeans. Die Hose, die er sonst nie zum Motorradfahren anziehen würde. Passen dazu die neuen Wildlederschuhe oder die alten erfahrenen, aber abgelatschten? Noch nie hat er so lange vor diesem Schrank gestanden. Er entschied sich noch für ein schlichtes, schwarzes T-Shirt und seine Rinde – so nennt man alte abgewetzte Lederjacken –, schließlich sollte es nicht so aussehen, als würde er heute besonderen Wert auf seine Klamotten legen. Ihr war es eh egal, was er anhat.
Den Gedanken an Blumen verscheuchte er so schnell, wie der gekommen war. Keinen Firlefanz – bloß das nicht.

Der erste Eindruck entscheidet alles. Fällt er für dich ungünstig aus, hast du verloren.

Die Meute trifft sich jetzt. Oder besser, sie sammelt sich. Ohne ihn. Sie weiß von nichts, aber sie hat bemerkt, daß er sich veränderte. Stiller ist er geworden in den letzten Wochen. Nachdenklicher. Sie würden nicht lange auf ihn warten. Nur kurz nach ihm untereinander fragen. Er wäre komisch geworden wird es heißen, und daß das Leben auch ohne ihn weitergeht. Dann werden sie sich auf ihre Sättel schwingen und abrauschen. Irgendwohin. Seine Clique war schon in die Geschichte eingetaucht. Nur wußte er das noch nicht. Jeder von ihnen wird seinen eigenen Weg gehen. So wie er es jetzt tun muß. Früher oder später werden sie sich dann aus den Augen verlieren. Nur einzelne Freundschaften haben da noch Bestand. Und natürlich die wilden, ausgeschmückten Geschichten von damals – als sie noch jung und dumm waren. Sie werden in ihre eigenen Wohnungen ziehen, Familien gründen, diese wieder verlieren und sich einen anderen Freundeskreis aufbauen. All das, was er noch vor und sie schon hinter sich hat.

Der erste Eindruck entscheidet alles. Fällt er für dich ungünstig aus, hast du verloren.

Seine Zeit war nun abgelaufen. Die letzte Zigarette schnippst er betont lässig in den Rinnstein. Das Hinterherspucken – ein Relikt aus seinem abgeschlossenen Leben – unterläßt er wie selbstverständlich. Er nimmt seinen Helm und hält sich an ihm fest. Die Treppen spürt er nicht. Er hat lange überlegt, was er nun sagen muß. Heruntergebetet hat er es. Jeden Abend. Aber jetzt fällt ihm auf, daß er es falsch angepackt hat. Ihm wird siedendheiß als er merkt, daß er gerade den Klingelknopf drückt.

... hast du verloren. ... hast du verloren. ... hast du verloren.

Der Dreikäsehoch im Türspalt beäugt ihn belustigt. Der Kleine hat dieselben wachen Augen wie seine Mutter. Er hat ihn sich anders vorgestellt. Harmloser. Das, was da hinter der Tür hervorlugt, hat es schon faustdick hinter den Ohren.

»Na, ich weiß doch, wer du bist! Meine Mutti hat mir alles erzählt. Sie ist noch auf dem Klo und muß noch duschen. Das kann dauern! Sie ist mit der Küche und dem Balkon nicht fertiggeworden. Ich soll dich schon mal rein lassen. Aber ... «

Der Kleine mustert ihn von oben bis unten. Er läßt sich dazu alle Zeit dieser Welt. Dabei bohrt er sich in der Nase und schnippst ihm den Popel vor die Füße.

» ... sag mal: Bist du mit dem Moped da? Ist das dein Helm? Setz ihn mal auf!«

Was soll er tun? Ohnmächtig stülpt er sich die Schüssel über den Kopf und versucht dabei zu lächeln.

»Schön! Da kannste ja jetzt wieder heimfahren!«

Rums! Tür zu.

Der erste Eindruck ...

... kann täuschen. Viele Jahre später wird der »Kleine« auf Familienfeiern noch stolz berichten, wie er »seinem« Papa damals an der Tür einen Heidenschreck eingejagt hat.