Untergehen ist das Eine, unter der Oberfläche bleiben das Andere. ;-)

Montag, 31. Oktober 2011

Rattenkampf - zwei


Er verließ die Pension erst kurz vor Mittag, das Essen, was man hier anbot war nicht gerade das, wonach ihm der Sinn stand. Oder überhaupt für all jene ungeeignet, die ein Mindestmaß an Ästhetik und Sinn für Grundhygiene an den Tag legten, wie er bereits vor Tagen festgestellt hatte.
 So griff er sich seinen Laptop, eine fast leere Schachtel Zigaretten und lief zum Fast Food Restaurant um die Ecke. Vorher suchte er noch einen Tabak- und Spirituosenhandel auf.
»Wie immer?« fragte Dimitri, ein eingewanderter Ukrainer, der schon seit Ewigkeiten hier lebte. »Wie immer!« antwortete er und erhielt umgehend eine kleine Plastiktüte mit zwei Schachteln Zigaretten und einer kleinen Flasche Wodka. Von diesem gönnte er sich noch vor der ersten Mahlzeit des Tages einen tiefen Schluck.
Dimitris Laden strömte etwas Anheimelndes aus, während seinen Besitzer eher eine gegenteilige Aura umgab. Zumindest auf den ersten Blick. Im Grunde strahlte er auch eine gewisse Väterlichkeit aus.
Das Schicksal hatte ihn wohl auch übel mitgespielt. Kurz nach seiner Umsiedlung aus der Ukraine erhängte sich seine damalige Frau. Zumindest erzählte man sich dies, gekannt hat sie wohl niemand. Böse Zungen behaupteten sogar, Dimitri hätte sie durch wechselnde Liebschaften in den Suizid getrieben.
Als er später ein junges Ding heiratete, locker zwanzig Jahre jünger, als er selbst, schien er sein Glück gefunden zu haben. Irgendwann wurde seine junge Gattin aber von einem Zug erfaßt, die Umstände wurden nie komplett aufgeklärt. Seit dem fristete er ein Leben als Witwer, man sagte ihm aber trotz mittlerweile gesetzterem Alters zahlreiche Affären nach.

Der McDonalds war nur mäßig gefüllt, der Burger zum Mittag pappig wie immer, aber besser als nichts, da weiß man, was man hat. Während dessen klappte er seinen Computer auf und begann seine Mails durchzusehen.
Nichts ungewöhnliches, aber dann doch, Nachricht acht von neun: »Danke für gestern Abend. Wir können uns nicht mehr treffen. Die Bullen beobachten mich. Kuß, M.«. Er sah den Bildschirm fragend an, doch dieser reagierte mit stoischer Gleichgültigkeit nicht. Nicht mehr treffen ... Polizei?
 Und wo zum Teufel hatte sie überhaupt seine E-Mailadresse her? Hastig schaute er sich um, obwohl es ihm momentan egal war, ob ihn jemand beobachtet, es war mehr ein Reflex der Gewohnheit und nahm einen weiteren großen Schluck aus seiner Flasche.
Das launig vor sich hin klingende Radioprogramm nahm sie nicht weiter wahr, bis irgendwann die sonore Stimme des Nachrichtensprechers einsetzte. Politik und Wetter, um diese Zeit? Sie schaltete das Radio leiser, ein häßlicher Plastikkasten, wie man ihn nur einmal im Leben kauft, ein typisches Sonderangebot eben.
Als sie ihr Glas ausspülen wollte, erschrak sie, den Blut tropfte, nein, es lief aus ihrer Nase in das Spülbecken und gerann in seltsamen Mustern. Hatte sie schon mal im Leben unter Nasenbluten gelitten? Sie vermochte sich nicht zu erinnern, ebenso wie sie sich kaum an irgend etwas erinnern wollte.
»Was soll’s...« sagte sie zu ihrem Pernodglas, wischte sich mit der linken Hand das Blut eher unter der Nase breit, als ab und goß mit der rechten Hand einen weiteren Doppelten ein.

Schnell beruhigte er sich wieder. Jetzt bloß nicht durchdrehen und paranoid werden. Die leere Flasche versteckte er neben dem Tischbein. In dieser Gegend trank zwar jeder, und man tat gut daran, wenigstens so zu tun, als wenn man dazu gehören würde, um sich ihrer Trinkersolidarität im gegebenen Fall gewiß zu sein, aber jetzt, wo er hellwach sein müßte, beschlich ihm eine leichte Scham.
Ihm wurde auch nicht wohler, als der Alkohol seine Wirkung tat und er klarer denken konnte. Er war ein Profi, schalt er sich. Profis erledigen ihren Job oder sie saufen professionell. Beides zusammen geht nicht.
Er mußte an seinen Meister denken. Der würde sich im Grabe herumdrehen, könnte er ihn so sehen. So versoffen. Der hätte an dem Wodka nur genippt, um nach Alkohol zu riechen und den Rest der Flasche in den Blumentopf dort an der Wand gekippt. Der war viel disziplinierter und härter zu sich selbst. Deswegen ist ihm auch niemand jemals auf die Schliche gekommen.
 So wie sein Lehrer wollte er auch sterben. Uralt, friedlich und im eigenem Bett. Um ihn herum ein eigenes Haus und eine zufriedene 30 Jahre jüngere Frau, die von seinem Erbe sorglos bis an das Ende ihrer Tage leben konnte.
Ob er das jemals schaffen würde, stand auf einem anderen Blatt. Von seinen Aufträgen lebte er nicht schlecht, auch wenn er es nicht zur Schau trug. Nur das große, das ganz große Geld blieb ihm versagt.
 Seine Mailadresse war kein Geheimnis. Die stand im örtlichen Telefonbuch, gleich nach seiner Telefonnummer.
Ihn beunruhigte nur die Geschwindigkeit, mit der sie seine Identität überprüft hatte. War sie mißtrauisch geworden? Hatte er etwas übersehen? Undenkbar. Gut, sie war reich und nicht dumm. Es gab genug Männer, die darauf aus waren, sich ein Stück von ihrem Kuchen abzuschneiden. Dem wäre sie sicher nicht abgeneigt, wenn sie eine entsprechende Gegenleistung dafür bekommen würde.
Sollte er diese Schiene fahren? Vielleicht wäre dies von Vorteil. Als verflossener Liebhaber könnte er jederzeit wieder aus ihrem Leben verschwinden ohne groß aufzufallen. Er beschloß, diese Variante als Plan B zu nehmen, wenn sich Plan A nicht so schnell durchführen ließ.
Sie wußte jetzt, wer er war und ihre Zweifel dürften schnell verfliegen. Seine Strategie, nie unter falschen Namen aufzutreten, wird sich wieder bewähren.
Um gut lügen zu können, braucht man ein gutes Gedächtnis. Noch besser ist es, wenn man immer dicht bei der Wahrheit bleibt. Bei einer aufgeflogenen falschen Identität käme er in Erklärungsnotstand und so konnte er sich irgendwie herausreden. Bis jetzt, kam er noch nicht in diese Verlegenheit.
Maliziös lächelnd beugte er sich über seinen Laptop. Bullen? So ein Quatsch. Die hätte er bemerkt. Auf seinen Instinkt konnte er sich verlassen.
Er schaute auf die Uhr des Rechners. Sie müßte jetzt ein leichtes Nasenbluten haben …

Samstag, 29. Oktober 2011

Rattenkampf – Eins

Das Vorwort hält Kollege Octapolis hier

»Fuck!« hörte er sich fluchen, während sich die Lichtschranke überlegte, seinen Kopf doch als Hindernis anzuerkennen und die Fahrstuhltür sich langsam wieder öffnete. Langsam, nicht im Sinne von wirklich langsam, vielmehr eine gefühlte Ewigkeit, nachdem er seinen Kopf nur so, um es auszuprobieren, zwischen die sich schließenden Türen des Lifts gesteckt hatte.
Seltsame Dämlichkeit, ermahnte er sich sofort. Allein die zuvor witzig empfundene Idee fand er jetzt abgrundtief albern und war befreiend froh niemanden, der diesen Fauxpas beobachtet haben könnte, auf dem Flur, durch die Glasscheiben der fiesen, mit Tötungsabsichten beladenen Tür des Fahrstuhles entdecken zu können.

Fast zeitgleich erwachte sie an einem anderen Ort. Wo eigentlich? Erste verschwommene Fragmente der Umgebung verschafften ihr Sicherheit. Zum Glück, zuhause, eigenes Bett, allein. Was davor war, erschien nur schemenhaft. Es fühlte sich an wie ein vertrauter Rausch, der Pakt mit Teufel Alkohol, doch es mußte etwas anderes sein, nur beim besten Willen momentan nicht greifbar.

Immer wenn ihm etwas gelungen war, packte ihn dieser kindliche Übermut, der oft glimpflich endete, ihn aber auch gewisse, völlig unnötige Unannehmlichkeiten bescherte, die seinen Erfolg zunichte zu machen drohten. Das war ihm bewußt, aber auch die Tatsache, daß sich daran nicht viel ändern würde, so sehr er sich auch darum bemühte.
Er betrachtete sich im Spiegel des Lifts, während dieser sich schloß und nach unten fuhr. Seine Krawatte saß gerade, sein Anzug perfekt – niemand würde ihn die lange Nacht ansehen und schon gar nicht vermuten, daß er nicht in diese noble Gegend paßte. Die Loge der Concierge war noch zugezogen, womit er gerechnet hatte. In ihrem Haustratsch würde er keine Rolle spielen und einem Hausbewohner ist er nicht begegnet. Das war um diese Zeit auch sehr unwahrscheinlich und kam ihm entgegen. Und wenn doch, so konnte dieser ihn nur vage als einen gut gekleideten Herrn mittleren Alters beschreiben. Trotzdem erlag er fast der Versuchung ein für die Concierge unerklärliches Zeichen seines Besuches zu hinterlassen.
Da war er wieder, sein Übermut, der ihn irgendwann mal den Kopf kosten könnte.
Die Haustür ließ sich, wie in solchen Häusern üblich, auch zu später Stunde von innen öffnen und die Nacht empfing ihn angenehm kühl. Die Nobelkarossen vor dem Haus weckten in ihm keine Begehrlichkeiten. Sie waren für seine Zwecke zu auffällig und wenn er solch einen Wagen brauchte, mietete er sich einen diskret mit Chauffeur.
Die Straße ist dunkel und führt am Park vorbei zur nächsten Metrostation. Dort wird er sich ein Taxi nehmen und sich in der Nähe seiner Pension absetzen lassen. Nicht unmittelbar davor. Dafür war er zu vorsichtig geworden.

Der Abend war lang, der Abend war schön und zum hundertsten Mal mußte sie sich eingestehen, daß aus ihrem Vorsatz, nicht zu viel zu trinken, wieder nichts geworden war. Sie trank zu viel, viel zu viel und nicht nur, wenn sie abends unterwegs war.
Der Beaujolais zum Mittagessen, der Pernod danach waren in den letzten Jahren mehr als eine Gewohnheit geworden.
Wo waren sie hin, die letzten Jahre? Sie waren einfach so vergangen. Ein Tag glich dem anderen. Es gab keine Höhepunkte mehr, keine rauschenden Feste bei denen sie im Mittelpunkt steht, die Partys waren immer dieselben mit immer denselben Austauschgesichtern, todlangweilig wie ihr eigener Mann, der in Übersee weilt, die Geschäfte ihrer Firma führt und sich ansonsten nur zu Weihnachten, Silvester und zu ihrem Geburtstag bei ihr sehen läßt.
Den Sprung von einem jugendlichen, unbekümmerten Partygirl, was sich im Jet Set zu Hause wähnt, zu dem einer First-Class Dame hat sie nicht geschafft und auch nicht gewollt.
Geblieben sind langweilige Abende, die sie als schön empfindet, weil sie schön sein müssen und der fade Geschmack nach Nichts danach.
So, wie der gestrige Abend verlaufen wäre, wenn nicht – ja, wenn sie nicht diese Bekanntschaft gemacht hätte. Daß sie diese Begegnung so vorsichtig einschätzt, verwundert sie selbst etwas. Normalerweise weiß sie genau, mit wem sie sich, auf was einläßt und hat dabei die Zügel fest in der Hand.
Der Mann gestern wirkte ganz anders auf sie. Sie war verwirrt von seiner geheimnisvollen Undurchsichtigkeit, die ihr aber seltsam vertraut vorkam. Seine zwar sehr geistreiche, amüsante aber rotzfreche Art und Weise, wie er sie in ihre Schranken verwies, reizte sie einerseits bis auf das Blut, andererseits wurde sie das Gefühl nicht los, ihn blindlings vertrauen zu können. Das war keiner dieser Schmeichler und Geschichtenerzähler. Das war ein Mann, der wußte, was er wollte und wie er es erreichen konnte.
Sie ertappte sich dabei, sich ein Bild von ihm zu schaffen, was aus reinem Wunschdenken besteht und mit der Realität vielleicht nicht standhalten kann. Wie ein Traum der so wenig greifbar, wie ein Rausch ist.
Um sich über sich selbst und ihre momentane Verfassung klarer zu werden, beschloß sie, den Tag mit einem doppelten Pernod zu beginnen.

Donnerstag, 20. Oktober 2011

Leseprobe – Sex, Crime and more ...

Insgesamt ist es ein wenig mehr Text geworden als gedacht. Nach dem Gesetz der Salamitaktik dürfte er dann einen Monat lang den Blog füllen. Nächste Woche geht er ins Lektorat zu Frau Rot-Weiß-Erfurt und je nachdem, wann sie mit dem schreddern fertig ist, gibt es ihn dann hier als bahnbrechendes Werk in der Literaturgeschichte zu genießen. *g* Als kleinen Vorgeschmack gibt es jetzt schon mal eine Leseprobe.


Die Tür fiel hinter ihnen ins Schloß und sie übereinander her.
Sie waren sich einig, zumindest über das, was beide jetzt fest eingeplant hatten.
Sie waren ausgehungert. Ausgehungert nach Sex, Sex, Sex, und noch mal Sex. Ausgehungert nach Nähe, Zärtlichkeit und Liebe.
Sie waren gierig auf die Nähe eines Menschen, bei dem sie sich zu Hause fühlen konnten. Ihr Entzug davon währte schon viel zu lange. Viel zu lange, um alles sofort und auf einmal zulassen zu können.
Sie waren erst am Anfang eines langen Weges, an den beide nicht denken wollten.
Sie rieben sich aneinander, darauf bedacht, möglichst viel von dem anderen auf der eigenen Haut zu spüren.
Sie atmeten sich ein, hörten den anderen und ihre eigene Stimme, die zur Vorsicht mahnte. Hörten weg oder doch zu und schafften es dabei nicht mal bis auf ihr Bett, wie es die Konvention forderte.
Sie implodierten noch halb angezogen auf dem roten Teppich im Flur.
Sie schleiften sich über Sessel, Tische und zerstörten die Blumenbank am Fenster, bis eine Flasche Rotwein zur Pause rief. Die Zigarette danach war die Zigarette davor und sie brachen nach drei weiteren Flaschen Wein über dem endlich erreichten Bett völlig ausgelaugt und ausgepumpt zusammen.
Sie sprachen kein Wort miteinander, aber sie erzählten sich viel und spürten ein kleines Fünkchen Glück im Zimmer. Hoch oben und für beide unerreichbar. Als sie schlief, sah er, daß die Scheiben im Fenster von ihrer Hitze beschlagen waren und der Mond verschwommen auf sie schien, als hätte er sie zugedeckt.
Er beschloß, heute den Tresor in Ruhe zu lassen. Ihr Mann war tatsächlich tot. Er würde trotzdem noch ein paar Tage Zeit haben, ehe seine Mörder hier waren. Im Moment wußte er sowieso nicht, was  er machen sollte. Zu Frau M. überlaufen und ihr alles gestehen? Er war versucht, dies zu tun, aber das Risiko, daß sie ihn aus dem Rennen werfen würde, war zu groß. Nein, es mußte eine andere Lösung geben.

Die Flasche Wein neben dem Bett war leer und sein Schlafpegel noch nicht erreicht. In ihrer Küche entkorkte er sich einen neuen Beaujolais und musterte gedankenverloren deren Einrichtung. Gemütlich war sie. Nicht zu groß, aber groß genug für eine Sitzecke und einem Tisch, an welchem man zwanglos essen, reden und trinken konnte. Überall auf den Schränken standen Blumen und auf dem Herd ein paar Töpfe. Die Wände waren mit kleinen Bildern geschmückt. Darauf waren kitschige Blumen und kalligrafierte Sprüche.
Eines davon kannte er. Goethes Hexeneinmaleins. Danach hatte womöglich der verstorbene Mann des Hauses seine Rechnungen geschrieben. Er mußte grinsen. Die Flasche würde er noch austrinken, ein paar Zigaretten rauchen und dann an ihrer Seite wie ein Murmeltier schlafen, so tief und fest, wie schon lange nicht mehr. Morgen war ein neuer Tag und an dem sah die Welt vielleicht ganz anders aus. Er setzte sich an den Tisch, lehnte sich zurück und pustete den Rauch in kleinen Ringen durch die Luft.

Freitag, 14. Oktober 2011

Hausmitteilung – fasten seat belt


SPANNENDMACH! So, ich muß erstmal mit dem Octa in Sachen Werbung gleich ziehen und gewähre mal einen Blick in meine Schreibstube. Man sieht meine professionelle Ausrüstung: Fachliteratur zum Nachschlagen, Tabak, Kaffee, Mac. Es kann also nix schief gehen. Nebenbei lasse ich mich von Motivationsmusik berieseln.

Montag, 3. Oktober 2011

Weiche Satan! Weiche! - der Lidl im Neustädter


Vom Nachbarblog, dem ehrenwerten Channel666 und seinen Sympathisanten, habe ich erfahren, daß es im Naherholungsgebiet, rund um den Neustädter Bahnhof, teuflisch zugehen muß. Da würden Dämonen lungern, Geister spuken, Spukgestalten herumgeistern, Lichtgestalten lichteln und allerlei Nachtvolk sein Unwesen treiben. Besonders betroffen wäre der im Bahnhof gelegene Einkaufsmarkt mit dem Vollmondlogo, nachfolgend Lidl genannt. Dort hätte der Leibhaftige seinen Hauptherd des Bösen errichtet und von dort ragen seine Krakenarme bis weit in die Stadt, an die Kehlen unbescholtener Bürger.

So weit so schlecht. Lange habe ich gezögert mich dem Unheil zu stellen. Vergeblich wartete ich, daß die Sterne für derlei nicht ungefährliche Unternehmungen günstig standen und erst heute, am Heilstag aller Deutschen, fand ich die Kraft, die ihren Ursprung tief in der heimatlichen Volkseele hat und ließ sie, wie ein Urquell, durch meine ehernen Energiezentren strömen. Wohlan! Heute mußte es gelingen! Heute würde ich dem satanischen Treiben ein Ende setzen können.


Normalerweise weiß ich solche göttliche Zeichen zu deuten und folge ihnen. Heute setze ich mich darüber hinweg, den glorreichen Sieg vor Augen und mit der Gewißheit, daß die Kraft des Herrn mich auf meinem Weg begleitet. Meine Natur privilegiert mich, auf die Unterstützung zugreifen zu können, die für das jeweilige Unternehmen am günstigsten erscheint. So bin ich nicht nur ein Formwandler, sondern ich vermag auch zwischen den Konfessionen zu wechseln. Für die heutige Mission wählte ich den Glauben mit dem Kreuz dran.


Da war er schon, der erste Wächter des Bösen. Ganz harmlos sitzt er da, aber seine wachen, forschenden Augen verraten ihn. Damit mußte ich rechnen und ich habe entsprechend vorgesorgt. Meine Tarnkappe schützt mich vor erkennenden Blicken und von meiner Anwesenheit zeugt nur mein Schatten, der im Schattenreich angekommen, eine zu vernachlässigende Größe darstellt.
Des Wächters Blicke gleiten durch mich, tasten weit hinter mir das Geschehen ab und ich schleiche mich unentdeckt und etwas befreiter an ihm vorbei.


Diese Brigade des Dunklen hat gerade Pause, Feierabend oder beides. In Herbstlicht getaucht, mimen sie sonst einen Wanderausflug des örtlichen Kleingärtnervereins, der auf den Anschlußzug wartet. Zur Zentrale, dem Lidl, und zu den Wächtern halten sie per Kurier Kontakt. Aller 15 Minuten wird dazu ein Biertransport vorgetäuscht. Der Informationsfluß zwischen dem Stab und seinen Außenposten ruhte also kurzzeitig. Das war eine günstige Gelegenheit für mich, daß Areal weiter zu erkunden.


Aber das Böse schläft nie. Ruht der Rest, wacht der mobile Springer. Dem wäre ich beinahe in die Arme gelaufen. Da hieß es einen Haken schlagen und in das Bahnhofsinnere ausweichen.


Dort erwartete mich das Grauen pur. Lilith, die Urmutter aller Dämonen erpreßte gerade am Bäckerstand ihre Schutztorte als Mittagsschmaus. Was sie als Nachtisch zu verschlingen gedachte, wagte ich mir nicht vorzustellen, und ich zahlte eilends Fersengeld, um ihrer nicht angesichtig zu werden. Ihr Blick läßt Männer zu Stein erstarren.
Was nun? Ich entschloß mich, direkt in die Höhle des Leibhaftigen und seiner Brut vorzustoßen, sie zu erkunden, um dann, nach reiflicher Überlegung, meine Waffen zu wählen, um das Übel auszurotten. Aber welch hanebüchener Plan! Kaum in der Hölle, verging mir fast das Hören und Sehen.


Es tat sich nicht nur die Erde vor mir auf, nicht nur die Büchse der Pandora, nein, Dantes Inferno feierte hier ein Fest! Umringt von allem Übel dieser Welt, was mich narrte und foppte, konnte ich mein Heil nur in der Flucht suchen. Die Maske die ich mir erschuf, würde mich schützen, das war gewiß, aber sie ließ mich auch klarer sehen, durch den Schein auf Not und Pein, all das, vor dessen man lieber die Augen verschließt. Nur weg da!


Nur wohin? Dort war doch nichts, wie es den Anschein hatte?


Geistesgegenwärtig ergriff ich eine Flasche mit Höllensud. Sie würde mir noch gute Dienste leisten, wenn ich mit heiler Haut davonkäme.


Mir drohten die Sinne zu schwinden, und nur mit letzter Kraft und Gottes Beistand fand ich das Licht am Ende des Tunnels.


Verhöhnt mich nur ihr finsteren Schattenspiele! Von mir aus 365 Tage im Jahr, wie beschildert gedroht! Euer Ende naht, wenn ich dem Lichte gewahr, zum Waffengange rüste!


Denn dieser wird über euch hereinbrechen, wie ein Orkan, der von Gott gesandt, durch meinen Arm euch richtet. Laßt die Taxidroschken ausspucken, was sie in den Niederungen der Nacht und ihrer Kloaken auch aufgesogen haben mögen. Auch sie sind dem kommenden Untergang geweiht! Ich höre schon ihr Todesröcheln und sehe, wie sie ihren giftigen Odem vor meinem Schwerte aushauchen.


Aber dazu mußte ich erstmal den erbeuteten Höllensud weihen und ihn bis zu Neige in mich aufnehmen. Geweiht richtet er keinen Schaden in mir an und mein Körper kann in Ruhe Abwehrkörper bilden. Wo ein Körper ist, kann kein anderer sein, das lehrt uns die Physik. Bin ich bis zum Stehkragen voll mit Unrat, paßt kein weiterer hinein.


So gerüstet und erleuchtet, wandelte ich über das Wasser, wie Jesus einst und überlegte mir, welcher Bannspruch, welche Formel die geeignete sei, um meine Mission zu krönen und dem Gezücht, im Tempel des Vollmondes, den Garaus zu machen.


Ich entschied mich für ein einfaches »Halleluja ihr Säcke« und gab dem einen coolen Touch. Das Kreuz entpuppte sich als eine automatische Waffe neuester Version. Da hatte sich der alte Sack da oben nicht lumpen lassen. Ich brauchte es nur in die Richtung des Lidl halten, da feuerte es schon Bannstrahle. Jeder dritte mit Leuchtspur, so das man auch im dunklen manuell das Feuer nachkorrigieren kann. Aber die Zielsuchautomatik funktionierte einwandfrei, so daß dies bestimmt nicht notwendig wäre. Das Nachladen erübrigt sich. Gespeist wird das Teil von einem Heiligen-Geist-Akku. Der wird nicht alle.


Der Dampf verzog sich nur langsam und gab recht zögerlich den Blick auf das Schlachtfeld frei. Was soll ich sagen? Da ist kein Atom auf dem anderen geblieben und diese fügten sich nur langsam der göttlichen Ordnung.


Am Rande des Feldes meiner Ehre sah ich, wie ein älterer Herr einem Schulbub behilflich ist. Na, wenn hier nicht gerade christliche Nächstenliebe eingezogen ist ...
Trotzdem entschloß ich mich zu einem letzten Kontrollgang durch das neuerwachte Einkaufsparadies.



Tja, alles bot sich mir in Zucht und Ordnung, wie Gott es gefällt.






Selbst die Mannavorräte ließen keine Wünsche übrig. Hoffentlich ist keiner auf die Idee gekommen, das Zeug, was ich umgenietet habe, da rein zu füllen.


Also bin ich unerkannt und mit Stolz erfüllter Brust von Dannen, besser von Lidl gezogen.


Zu guter Letzt mußte ich nur noch 666 Mails checken. *g*