Dienstag, 2. November 2010
Vom Kürbis getroffen
Da flehte der Rufer, Seher und Mahner im Angesicht seines irrenden Volkes in der Wüste zu Gott: »Oh, Herr! Wirf Hirn vom Himmel!« Und Gott erhörte ihn, mißverstand ihn und warf Kürbis. Der Kürbis traf, hier und da, und beide wußten nicht, ob das gut war.
Besser du gehst
Besser du läufst
Besser du rennst
So schnell du kannst
Und so weit
Wie dich dein Atem tragen kann (Subway to Sally)
Einen Volltreffer landete der heilige Geist, Gott oder wer auch immer bei der Kirsche, die eben im Niederdeutschen Rundfunk zu sehen war. Wenn man mit einem Blindgänger überhaupt etwas treffen kann. Inmitten von Strohballen saß die da und laberte Kürbis. Genauer, sie sabbelte von 130 Kürbissorten die sie auch umgaben. Dabei nestelte sie an ihrer Strickjacke, die sie wohl von Gustav Adolf von Schweden gespendet bekam, und über die schon von Grimmelshausen gespottet hat. So eine Strickjacke hat jede Frau. Zur Konfirmation oder zur Beerdigung ihrer Oma bekommt sie die geschenkt und in ihr fühlt sie sich so wohl, daß sie die jeden Tag trägt, bis sie in Fetzen an ihr herunterhängt oder bis sie beim besten Willen nicht mehr hineinpaßt. Dann hebt sie die auf, um sie gelegentlich, meist nach einem gediegenen Ehekrach, wiederhervorzukramen und wehmütig ihrer verlorenen Jugend zu gedenken. Als Mann kommt man gegen so eine Reliquie nicht an und man wird sie erst los, wenn man die Frau mit raus- oder ihr den Fetzen als Grabbeigabe hinterherwirft.
Die Frau erklärte allen Ernstes, daß sie ihr Leben dem Kürbis gewidmet hätte. Der ganze übliche theatralische Schmuß, den man so von sich gibt, wenn man auf Krampf versucht, seinem Leben einen Sinn zu geben, sprudelte aus ihr hervor. Früher, wenn man sich seiner Talentfreiheit bewußt wurde und einem nichts besseres einfiel, verkaufte man seine Seele dem Teufel oder opferte sie Gott, um anschließend nach vielen Entbehrungen sein Leben auf dem Scheiterhaufen oder vor dem Altar auszuhauchen. Heutzutage endet man eben streng ökologisch und umweltgerecht in einer Scheune, in einen Scheuerhader gewickelt, auf Strohballen gelagert, inmitten von 130 Kürbissorten. Kein Mann, kein Kind, keine sinnvolle Aufgabe – was bleibt ist der Tierschutzverein, der Gemeindechor, die Klöppelrunde oder eben die Kürbiszucht.
»Das hier ist ein sehr schöner Kürbis! Er hat ein sehr festes Fruchtfleisch. Daraus lassen sich wunderbare Kürbisgratins machen. Die sind sehr lecker!«
Schnitt. Die Frau hat plötzlich einen anderen Kürbis in der Hand.
»Das ist auch ein sehr, sehr schöner Kürbis mit einem wunderbar festen Fruchtfleisch! Er eignet sich besonders für ganz leckere Gratins!«
Kurze Kamerafahrt über 5 der 130 Kürbissorten.
»Dieser Kürbis eignet sich hervorragend für wunderbar leckere Gratins, weil er ein sehr festes Fruchtfleisch hat.«
Die Kamera schwenkt über 60 der 130 Kürbissorten und stoppt abrupt. Wahrscheinlich mußte der Kameramann sich spontan übergeben. Schnitt.
»Mit diesem Kürbis lassen sich auch ganz wunderbar leckere ...«
Und so ging das weiter, bis Sorte 70. Gelaber, Kameraschwenk auf die 130 Kürbissorten, Gelaber, Schwenk ... usw. Grauenvoll. Die gute Frau unterteilte die Kürbisse dabei in drei Kategorien: 1. Sehr schöne Kürbisse. 2. Sehr, sehr schöne Kürbisse und 3. Sehr, sehr, sehr schöne Kürbisse, die sich aber alle wunderbar für leckere Gratins eignen.
Die Redakteurin bäumte sich nur einmal mit einer geistreichen Frage aus ihrer zielpublikumangepassten geistigen Umnachtung auf: Ob es denn auch giftige Kürbisse gäbe? Da schaute die angesprochene Mutter aller Kürbisgratins völlig irritiert auf und verneinte harsch diese Unterstellung. Sie räumte aber um Entschuldigung bittend ein, daß es einige ungenießbare Sorten gäbe. Damit stieß sie unverhofft bei der Redakteurin auf Verständnis. Der Niederdeutsche Rundfunk ist ja auch zum größten Teil ungenießbar. Daran ändern auch die Ernährungsbeiträge und diverse Kochsendungen, die sich da im 3-Schichtsystem über die Bühne schinden, auch nichts. Die werden ihr Stümpertum und ihre Einfallslosigkeit solange über den Sender jagen, bis sie ihre Zuschauerclique ausgerottet haben. Da diese alle der Nachkriegsgeneration angehören, dürfte dies nicht mehr allzu lange dauern. Aber selbst dann sprudelt die Zwangsgebührenquelle ja weiter und da der Bürger nie von seinem Notwehrrecht Gebrauch machen wird, um diese Bande in den Steinbruch zu putschen, werden sie einfach weiter den Äther verseuchen.
Apropos Seuche: Was will die Alte mit 130 Kürbissorten? Gratins kochen. Ist klar. Aber rechnen wir das Ganze mal spaßeshalber durch. Pro Sorte lagen dort im Schnitt vier bis sechs Murmeln rum. Macht in etwa 650 Kürbisse. Das sind im günstigsten Fall 1950 Gratins für 4 Personen, also 7800 Mahlzeiten. Sie müßte nun pro Tag 21 mal Kürbisgratin essen, um ihre Scheune in einem Jahr wieder leerzukriegen.
Besser du gehst
Besser du läufst
Besser du rennst
So schnell du kannst
Dreh dich nicht um
Vielleicht entkommst du irgendwann
Denn das kann definitiv nicht gesund sein. Auch wenn sie das Zeug zu Suppe verkocht oder Salat daraus hobelt – selbst das tapferste Hausschwein oder ein aus dem Kürbis gezauberter Ehemann streckt da die Hufe. Außerdem – hier irrt die Frau in ihrem Wahn – sind alle Sorten ungenießbar. Unter Genuß verstehe ich etwas, was man gern und ohne Zwang tut und dabei Freude empfindet. Das kann durchaus ein gelungenes Gericht sein, wenn man als Zutat auf das Kürbisfleisch verzichtet. Oder es geschmacklich so verfremdet, daß es nicht mehr nach Kürbis schmeckt.
Ein Paradebeispiel ist die Ingwer-Kürbissuppe. Im Verhältnis drei zu eins püriert schmeckt man garantiert keinen Kürbis mehr heraus. Statt Ingwer kann man auch Zahnpasta nehmen oder für ein lecker Kürbiskompott Essig, Zucker, Zimt, Nelken und viel Meerrettich. Mag man die Suppe exotisch, so empfehle ich, Kokosmilch und heftig Chillipulver. Es mag sein, daß dies alles recht gewöhnungsbedürftig klingt, aber es ist immer noch ein Labsal, verglichen mit dem Kürbisaroma an sich.
Wozu hat man denn 130 Kürbisarten im Haus oder überhaupt erst gezüchtet? Doch nur, weil man mit einer Sorte nicht zufrieden ist. Dem DDR-Bürger wird unterstellt, er hätte in dem Kürbis einen Ananasersatz gesehen. Dabei gab es in der Zone – und besonders in der Schulspeisung – nicht mal einen Kürbis der nach Kürbis geschmeckt hat. Da gab es nur Kürbisersatz. Das waren Zuckerrüben die man mit Leinöl aufgekocht und mit Terpentinersatz abgeschmeckt hat. Es kann auch Kohlrabi gewesen sein. Oder eben Kohlrabiersatz, also Futterrüben. Ich habe keine Ahnung mehr. Irgendso etwas. Das Schulessen war ja die Fortführung des Sportunterrichtes mit anderen Mitteln.
Besser du gehst
Besser du läufst
Besser du rennst
So schnell du kannst
Und so weit
Wie dich dein Atem tragen kann
Es war stockdunkel, es war arschkalt, die Welt war gegen mich und stellte sich mir nur verschwommen dar. Klar, meine Brille lag ja zu Hause. Was ich sehen konnte, war ein glimmendes Stück Holzkohle und auf der Mauer zum angrenzenden Friedhof den schwachen Schein eines Halloweenkürbisses. Der hätte mich stutzig machen sollen. Ansonsten umgab mich Dunkelheit und ich konnte die anderen Gäste auf dieser Gartensommerabschlußparty nur spüren, aber nicht sehen. Der Mann an der Holzkohle nannte sich Grillmeister und war ein Totalversager. Ich hörte ihn nur fluchen und in rhythmischen Abständen etwas scheppern oder das Stück Holzkohle glomm auf. Eh der seinen Job erledigt hätte, wäre ich dreimal verhungert gewesen. Also tastete ich die Tischplatte nach etwas anderem Eßbaren ab. Die Dame des Hauses steht ja zu recht in dem Ruf, eine hervorragende Köchin zu sein und ihre Göttergaben waren stets sehr reichlich und vielseitig vorhanden. Die erste Schüssel war meine. Ich unternahm gar nicht erst den Versuch, mir einen Teller zu erfummeln und ergriff gleich den Löffel aus der Schüssel. Von der Konsistenz her war ihr Inhalt schmierig und er roch grün, also mußte es sich um Gemüsesalat handeln. Das war zwar nicht das, was ich mir erhofft hatte, aber es war erstmal besser als nichts. So für den ersten Hunger mußte es reichen und war der gestillt, würde sich noch etwas anderes finden. Das Zeug war wirklich Salat und schmeckte nach Lauch und nach etwas anderem mir unbekannten. Ich löffelte los, bis mich der Lichtkegel einer Taschenlampe traf.
»Gib mir mal bitte kurz die Schüssel mit dem Kürbissalat herüber!«
Besser du gehst
Besser du läufst
Besser du rennst
So schnell du kannst
Und so weit
Wie dich dein Atem tragen kann
Am nächstem Tag brachten die Nachrichten die Eilmeldung, daß der Friedhof geschändet wurde. Quer über das gesamte Areal hätten die unbekannten Täter eine Schneise geschlagen und dabei die Grabsteine umgestoßen. Das war natürlich kompletter Blödsinn. Ich war allein auf der Flucht und ich habe die Klötzer nicht geschändet, sondern mir sämtliche Knochen daran aufgeschlagen. Da kann man mal sehen, was der Niederdeutsche Rundfunk für Falschmeldungen verbreitet, nur um überhaupt etwas berichten zu können.
Aber davon mal abgesehen – es war eher der Schreck, der mich zu dem etwas überstürzten Aufbruch verleitete, als der Geschmack des Salats. Nichtsdestotrotz war ich nun erpressbar – und ich wurde natürlich schamlos unter Druck gesetzt. Entweder Kürbis oder Knast. Ich hatte die Wahl zwischen einer Einladung zu einem Essen, mit einem gefüllten Kürbis bei mir zu Hause oder ich fahre pro umgeworfenen Grabstein für eine Woche ein. Das wären summa summarum ca. 1 Jahr bei Wasser und Kürbisbrot gewesen. Also lies ich mich wutschnaubend auf dieses Experiment ein.
Und was soll ich sagen: Meine These über Kürbisgerichte erwies sich als wahr. Das Zeug schmeckte wie gebackene Kartoffeln, die man vorher in Gemüsebrühe gekocht hat. Mit der Käsehackfleischpampe darin war es sogar lecker. Ganz ohne Gratin und sonstigen schnickschnackischen Sättigungsbeilagen.
Aber warum dreht die Menschheit im Herbst durch und sich um den Kürbis? Der Halloweenquatsch kann es nicht sein. Wenn die Kelten nicht durch die Römer alle ihre Druiden losgeworden wären, gäbe es diesen Brauch gar nicht. Die Druiden hatten selber helle Köpfe und brauchten keine ausgehölten Kürbisse zum Denken. Nur wurden diese Köpfe eben von den römischen Legionären abgeschlagen, um der keltischen Landbevölkerung die politische und spirituelle Führung zu nehmen. Da haben die eben als Führungsersatz diese Leuchtkürbisse geschaffen und damit den Römern einen gehörigen Schreck eingejagt. Das scheint sich ja bis heute bewährt zu haben. Deutschland, zum Beispiel, wird immer noch von Kürbisnischeln regiert. Die sind geschmacklos, ungenießbar, scheinen scheinbar so vor sich hin und jagen ihren freien Bürger einen Schrecken nach dem anderen ein.
Aber da muß es noch etwas anderes geben. Also beschloß ich etwas zu recherchieren. Vorab: Ich habe meine Nachforschungen gleich wieder eingestellt. Die erste Erkenntnis, gefunden auf einem uralten Bambusblattkalender im Fidschi-Restaurant schräg gegenüber, war schon erschütternd:
»Eine große Flut hatte die gesamte Menschheit hinfort gespült, nur ein Geschwisterpaar hatte sich retten können, und da beide die einzigen Überlebenden darstellten, waren sie gezwungen sich zusammen zu tun, um die Welt erneut zu bevölkern. Nach einiger Zeit gebar die Frau einen Kürbis, aus dem nacheinander verschiedene Ethnien schlüpften: zunächst erschienen die Khmu, dann die Rmeet, die Lao und schließlich die Thais, Vietnamesen, Franzosen, Japaner, Amerikaner, Deutsche, …«
Alles klar? Wer die Muuh und die Määh sein sollen, weiß ich nicht. Es ist mir auch völlig egal. Das der Deutsche nicht aus dem Mustopf, sondern aus dem Kürbis kommt, war mir neu. Seine Inzestnähe hat er ja auch nie abgelegt. Seit der Kleinstaaterei wurde das besonders deutlich. Der Adel blieb unter sich, heiratete nur untereinander und pflanzte sich fort, bis sein gesamtes Erbgut so versippt und verschwägert war, das es nur noch vor sich hindegenerierte. Der daraus entsprungene letzte sächsische Mutant erkannte 1918 seine schweren Erbschäden und dankte mit den Worten: »Machd doch eiern Drägg alleene!« ab. Darauf hatte das schon erstarkte Großbürgertum nur gewartet und sie gebaren, was die Erbsubstanz hergab. Die Folgeschäden blieben natürlich nicht aus. 1933 marschierte ganz Deutschland los, bis alles in Scherben fiel oder später eine ganze Republik gebündet wurde. Das Lumpenproletariat war derweil auch nicht untätig und ihre Nachkommenschaft regierte bis zur völligen Haftunfähigkeit. Immer wenn ein Erbgut ausgelaugt war und nur noch Genschrott barg, übernahm der nächste Kollateralschaden freudig den Staffelstab, um ihn in der kommenden Führungsunfähigkeit wieder zu verlieren. Das bisherige Ende vom Lied ist, daß wir von einem Bodensatz dieser Gesellschaft regiert werden, deren Wähler von der Unterschicht nun schon geklont werden. Bildungs- und Wohlstandsverwahrlosung gebiert Crashkids, Parteisoldaten oder Sozialpädagogen, die wiederum nur untereinander in die Kiste zur Zeugung neuer Gesellschaftsschichten springen. Irgendwann werden wir dort enden, woher wir gekommen sind: Im Kürbis.
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Nächste Woche gibts ein 3-Gänge-Menü im Dunkeln! ;-)
AntwortenLöschenQuatsch. Die Stromrechnung ist erstmal bezahlt. Ich habe sogar ein Guthaben von dreikürbisfünfzig.
AntwortenLöschen- Toll, dass mal einer glimmen zu glomm beugt! Wird viel zu selten verwendet. Bravo!
AntwortenLöschen- Die Illustrierung ist gelungen, Lieblingsbild ist die Im-Dunklen-Skizze. Obwohl Fotos mit Getränken Fotos ohne Getränke auch jederzeit um Längen schlagen.
- Verträgt sich Kürbis mit Rotwein? Und was war in der Tasse?
- Was hat der Herr Sally mit allem zu tun?
- War nicht die Kommasetzung (hier virtuos im Stile eines gesunden van Nistelrooys im gegnerischen Strafraum umgesetzt) mal Thema an dieser Stelle und sollten diese darauf nicht weggelassen werden? Wäre schade drum.
- Die Texte werden immer länger. War drei mal zwischendurch im Lädchen, weil andauern die Getränke während des Lesens ausgingen.
- Irgendwas war noch, aber vor lauter Getippe hab ich´s vergessen.
Prost Mahlzeit!
PS: Nicht dass es mich wirklich was angänge, aber das mit dem 3-Gänge-Menü im Dunkeln (jetzt drängelt sich der Kalauer mit dem gut munkeln auf, lassen wir aber hier beiseite), ließe sich auch durch ein 9-Getränke-Gelage im Hellen ersetzen oder gar damit kombinieren. Da hat man ja dann eine Grundlage...
Böse Technik, wie soll man sich so einfach die Texte für sich archivieren, wenn jetzt mit "unlauteren" Mittel, wie Musik gearbeitet wird? Ist sehr schön, aber ....
AntwortenLöschenGroße Frage: Gibt es schon Bücher die mittels Handauflegens an entsprechender Stelle singen?
siehe oben. *g*
AntwortenLöschenHaha :o))
AntwortenLöschenKennst Du den Aufsatz von Max Goldt "Quitten für die Menschen zwischen Emden und Zittau"? ... Der Kürbis darf darin auch ein paar Takte mitspielen ...
http://www.rowohlt.de/fm/131/Goldt_Vergriffenheit.pdf
Wobei ich mir jetzt natürlich frage, warum Du Dir dann gleich eine ganze Armee in Deinen Garten pflanzt ... Irgendwas hab ich nicht verstanden. ;o)