Untergehen ist das Eine, unter der Oberfläche bleiben das Andere. ;-)

Freitag, 4. November 2011

Rattenkampf – vier


Es blieb ihr nichts anderes übrig, sie stellte die Dusche an und ließ das Wasser auf die Kopfhaut prasseln, in der Hoffnung, es möge neben dem Blut auch etwas von der Wirkung des Alkohols mit sich in die Kanalisation reißen. Der Polizei alles erzählen? Wenngleich sie diese Aussage als blanke Ironie abtat: was wäre, wenn doch …?
Ihre Gedanken drehten sich in ähnlicher Geschwindigkeit wie das Wasser im Becken, wenn es den Abfluß verläßt. Von ihrem gelegentlichen Kokainkonsum wußten sie vermutlich. Das dürfte ihnen egal sein. Sie war keine billige Vorstadtschlampe, der man deswegen einen Strick dreht. Nein, die melden sich nicht an und fragen höflich, wann sie zu sprechen wäre, wenn sie irgendeine Schweinerei vorhätten. Sie war sauber und hatte nichts zu befürchten. In einer halben Stunde würden sie da sein. Da blieb Zeit genug, um sich in eine Diva zu verwandeln.
Das Nasenbluten hatte, Gott sei Dank, auch aufgehört.

Der Schmerz in seinem Bein ließ langsam nach. Er lief langsam und zündete sich eine Zigarette nach der anderen an. Sein Weg zurück in die Pension führte ihn an einem Cafe mit Straßentischen vorbei. Er nahm einen der hinteren Tische, bestellte sich zum Kaffee ein Wasser und beobachtete die Straße.
Dort geisterte das scheinbar bunte Leben wie eh und je. Die Leute liefen die Straße entlang, manche hastig, manche gemächlich, gelegentlich vor prall gefüllten Schaufenstern verweilend).
Sie schauten sich Dinge an, die sie weder brauchten noch sich leisten konnten. Trotzdem verschwendeten sie ihre Gedanken daran. Dabei belauerten sie sich gegenseitig, bereit, jedem mit Neid und Mißgunst zu begegnen, der ein besseres Leben als sie selbst zu führen schien.
Als ob man mit angehäuften Kitsch und Trödel automatisch glücklicher wäre. Nein, er würde irgendwann so viel Geld haben, daß es ihm möglich wäre dieser kleinkarierten Raffgier zu entkommen. So viel, daß es keine Rolle mehr spielen konnte und man darüber nicht mehr sprechen mußte.
Die Frau die ihn angefahren hatte, ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Sie war jung, attraktiv und ihm irgendwie vertraut. Er wußte, daß er sie noch nie gesehen hatte, und doch schien er mit ihr etwas gemeinsam zu haben.
Wo kam sie plötzlich her? Das war ein anderes Kaliber als diese Diva, die er beaufsichtigte.
Ihr Nasenbluten müßte vorbei sein. Das Mittel, welches er ihr gestern verabreicht hatte, beruhigte extrem und schaltete alle Sicherungssysteme aus. Man wurde müde, fühlte sich geborgen und nahm seine Umgebung nur noch zur Hälfte wahr. So konnte er ihre Wohnung filzen, ohne daß sie es bemerkte.
Alles war noch an den beschriebenen Stellen. Unberührt und unbenutzt. Darüber würde sein Auftraggeber erleichtert sein. Er müßte die Mail mit seinem Bericht, die er vorhin beim Essen geschrieben hatte, bereits empfangen und gelesen haben. Die Antwort konnte nicht mehr lange auf sich warten lassen.
Sie würde nie auf die Idee kommen, daß er ihr etwas in den Drink gegeben hat. Danach fühlte sich alles ganz natürlich an. Wenn allerdings der Körper durch übermäßigen Alkoholgenuß schon angegriffen war, es am nächsten Tag unweigerlich ein leichtes bis mittelschweres Nasenbluten.
Sie heute Abend noch auszuführen, war sicher nicht die beste Idee, aber er konnte sich schlecht zu ihr einladen, um ihr Vertrauen zu erlangen. Ihre Wohnung war sicher, davon hatte er sich überzeugt. Selbst bei einem Einbruch mußten seine Gegenspieler unverrichteter Dinge wieder abziehen.
Er gab Plan A endgültig auf. Der sah vor, alles sofort verschwinden zu lassen. Wenn dies notwendig werden sollte, fände er später noch Zeit, dies in Ruhe zu tun.
Nein, besser war es, sich bei ihr einzuquartieren und den Liebhaber zu mimen. Das würde weniger Staub aufwirbeln, und er wäre immer vor Ort, um das Schlimmste zu verhindern. Die Erlaubnis dazu hatte er.
Vielleicht war auch alles nur blinder Alarm. Dann würde er sich unauffällig zurückziehen. Sie war verheiratet und in einem Alter, in dem man es bei einem flüchtigen Abenteuer für die Ego-Pflege beläßt. Der Mohr hätte seine Schuldigkeit getan, der Mohr konnte gehen. Das würde jeder verstehen.
Sein Laptop wanderte wieder auf den Tisch – wider Erwarten war sein Posteingang leer. Das bedeutete nichts Gutes. Wenn er spätestens morgen immer noch ohne Antwort war, mußte er handeln.

»Frau M.? Polizei. Wir hatten uns angemeldet.« Sie bat die beiden Herren herein und verschanzte sich hinter der Flasche Pernod. Beide sahen aus, als wären sie einem Klischee über Kriminalbeamte entsprungen. Hut, Lodenmantel, Brille, stechender Blick.
»Sie wissen schon Bescheid? Nein? Keiner hat sie informiert? Gut, dann müssen wir ihnen eine traurige Botschaft überbringen: Ihr Mann ist tot.«
Stille. Pernod. Zigarette. Stille.
»Wie ist das passiert? Wer war es?«
»Wie kommen Sie zu der Annahme, daß es jemand war?«, fragte der Ältere.
»Würdet ihr Typen einfach so hier auftauchen, zu zweit, wenn nichts Ungewöhnliches passiert wäre?« keifte sie zurück. Viel weniger störte sie die Tatsache, daß ihr Mann nicht mehr lebte, als die, daß die feinen Herren hier hereinspazierten und sie wie ein dummes Mädchen zu behandeln versuchten.
»Also, ich höre!« machte sie ihr Recht auf Information geltend.
»Erschossen, vermutlich schon gestern, am frühem Nachmittag, in der Tiefgarage, in seinem Wagen. Tut mir sehr leid.« Der Ton war versöhnlicher geworden.
»Wir haben, ehrlich gesagt, noch keine Spur. Die Spurensicherung ist noch vor Ort. Können wir noch irgend etwas für Sie tun?«
Sie überlegte. »Nein, danke ...« stammelte sie, drehte sich herum, starrte zum Fenster hinaus, verfolgte akustisch, wie die Beamten den Raum verließen. Erst, als sie das Türschloß einrasten hörte, entspannte sie sich. Eine Träne rann ihr über das Gesicht.

5 Kommentare:

  1. ich sitze immer ganz gebannt vorm rechner,
    spannend, fast wie im richtigen leben..

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  2. Den Anspruch, als Vorabendserie für Anspruchsvolle zu gelten, werden wir also scheinbar gerecht. :-)

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  3. Jetzt, wo du es erwähnst, bemerke ich auch den Anspruch... haha
    schönes Wochenende zsamm!

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  4. anspruch hin oder her, das ist doch stulle: hauptsache Thrill oder? aber vorabendserie gefällt mir, jetzt da die kalte jahreszeit lauert und ich mich vom fernsehprogramm fast vollständig verabschiedet hab, kommt so nen i- net krimi zum glühwein am kaminfeuer ganz gut, glaub ich.

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  5. Paßt. Der November wird dunkel. Zumindest hier bei uns. Literaturwissenschaftlich gesehen soll der Text im Genre Noire angesiedelt sein. Film Noire oder so etwas. Abendfüllend und als Fernsehersatz taugt er nur im Ganzen. Aber das liest kein Mensch hintereinander am Monitor. Also wurde er zur 16 oder 17teiligen Vorabendserie gekürt. Das hat den Vorteil, daß wir jetzt einen Monat nichts weiter tippen brauchen. *g*

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