Untergehen ist das Eine, unter der Oberfläche bleiben das Andere. ;-)

Samstag, 29. Oktober 2011

Rattenkampf – Eins

Das Vorwort hält Kollege Octapolis hier

»Fuck!« hörte er sich fluchen, während sich die Lichtschranke überlegte, seinen Kopf doch als Hindernis anzuerkennen und die Fahrstuhltür sich langsam wieder öffnete. Langsam, nicht im Sinne von wirklich langsam, vielmehr eine gefühlte Ewigkeit, nachdem er seinen Kopf nur so, um es auszuprobieren, zwischen die sich schließenden Türen des Lifts gesteckt hatte.
Seltsame Dämlichkeit, ermahnte er sich sofort. Allein die zuvor witzig empfundene Idee fand er jetzt abgrundtief albern und war befreiend froh niemanden, der diesen Fauxpas beobachtet haben könnte, auf dem Flur, durch die Glasscheiben der fiesen, mit Tötungsabsichten beladenen Tür des Fahrstuhles entdecken zu können.

Fast zeitgleich erwachte sie an einem anderen Ort. Wo eigentlich? Erste verschwommene Fragmente der Umgebung verschafften ihr Sicherheit. Zum Glück, zuhause, eigenes Bett, allein. Was davor war, erschien nur schemenhaft. Es fühlte sich an wie ein vertrauter Rausch, der Pakt mit Teufel Alkohol, doch es mußte etwas anderes sein, nur beim besten Willen momentan nicht greifbar.

Immer wenn ihm etwas gelungen war, packte ihn dieser kindliche Übermut, der oft glimpflich endete, ihn aber auch gewisse, völlig unnötige Unannehmlichkeiten bescherte, die seinen Erfolg zunichte zu machen drohten. Das war ihm bewußt, aber auch die Tatsache, daß sich daran nicht viel ändern würde, so sehr er sich auch darum bemühte.
Er betrachtete sich im Spiegel des Lifts, während dieser sich schloß und nach unten fuhr. Seine Krawatte saß gerade, sein Anzug perfekt – niemand würde ihn die lange Nacht ansehen und schon gar nicht vermuten, daß er nicht in diese noble Gegend paßte. Die Loge der Concierge war noch zugezogen, womit er gerechnet hatte. In ihrem Haustratsch würde er keine Rolle spielen und einem Hausbewohner ist er nicht begegnet. Das war um diese Zeit auch sehr unwahrscheinlich und kam ihm entgegen. Und wenn doch, so konnte dieser ihn nur vage als einen gut gekleideten Herrn mittleren Alters beschreiben. Trotzdem erlag er fast der Versuchung ein für die Concierge unerklärliches Zeichen seines Besuches zu hinterlassen.
Da war er wieder, sein Übermut, der ihn irgendwann mal den Kopf kosten könnte.
Die Haustür ließ sich, wie in solchen Häusern üblich, auch zu später Stunde von innen öffnen und die Nacht empfing ihn angenehm kühl. Die Nobelkarossen vor dem Haus weckten in ihm keine Begehrlichkeiten. Sie waren für seine Zwecke zu auffällig und wenn er solch einen Wagen brauchte, mietete er sich einen diskret mit Chauffeur.
Die Straße ist dunkel und führt am Park vorbei zur nächsten Metrostation. Dort wird er sich ein Taxi nehmen und sich in der Nähe seiner Pension absetzen lassen. Nicht unmittelbar davor. Dafür war er zu vorsichtig geworden.

Der Abend war lang, der Abend war schön und zum hundertsten Mal mußte sie sich eingestehen, daß aus ihrem Vorsatz, nicht zu viel zu trinken, wieder nichts geworden war. Sie trank zu viel, viel zu viel und nicht nur, wenn sie abends unterwegs war.
Der Beaujolais zum Mittagessen, der Pernod danach waren in den letzten Jahren mehr als eine Gewohnheit geworden.
Wo waren sie hin, die letzten Jahre? Sie waren einfach so vergangen. Ein Tag glich dem anderen. Es gab keine Höhepunkte mehr, keine rauschenden Feste bei denen sie im Mittelpunkt steht, die Partys waren immer dieselben mit immer denselben Austauschgesichtern, todlangweilig wie ihr eigener Mann, der in Übersee weilt, die Geschäfte ihrer Firma führt und sich ansonsten nur zu Weihnachten, Silvester und zu ihrem Geburtstag bei ihr sehen läßt.
Den Sprung von einem jugendlichen, unbekümmerten Partygirl, was sich im Jet Set zu Hause wähnt, zu dem einer First-Class Dame hat sie nicht geschafft und auch nicht gewollt.
Geblieben sind langweilige Abende, die sie als schön empfindet, weil sie schön sein müssen und der fade Geschmack nach Nichts danach.
So, wie der gestrige Abend verlaufen wäre, wenn nicht – ja, wenn sie nicht diese Bekanntschaft gemacht hätte. Daß sie diese Begegnung so vorsichtig einschätzt, verwundert sie selbst etwas. Normalerweise weiß sie genau, mit wem sie sich, auf was einläßt und hat dabei die Zügel fest in der Hand.
Der Mann gestern wirkte ganz anders auf sie. Sie war verwirrt von seiner geheimnisvollen Undurchsichtigkeit, die ihr aber seltsam vertraut vorkam. Seine zwar sehr geistreiche, amüsante aber rotzfreche Art und Weise, wie er sie in ihre Schranken verwies, reizte sie einerseits bis auf das Blut, andererseits wurde sie das Gefühl nicht los, ihn blindlings vertrauen zu können. Das war keiner dieser Schmeichler und Geschichtenerzähler. Das war ein Mann, der wußte, was er wollte und wie er es erreichen konnte.
Sie ertappte sich dabei, sich ein Bild von ihm zu schaffen, was aus reinem Wunschdenken besteht und mit der Realität vielleicht nicht standhalten kann. Wie ein Traum der so wenig greifbar, wie ein Rausch ist.
Um sich über sich selbst und ihre momentane Verfassung klarer zu werden, beschloß sie, den Tag mit einem doppelten Pernod zu beginnen.

6 Kommentare:

  1. sehr schön ... macht Lust auf mehr ... ;o)

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  2. Danke! Es sind noch 27 Seiten und 16 Kapitel.Es gibt also »mehr« bis zum abwinken.

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  3. das ist man ja bei Dir nicht anders gewohnt ... ;o)

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  4. Dafür kann ich nichts.Ich bin so veranlagt. Octa würde sagen: Tipp-Tourette Syndrom. Aber nur machmal. *g*

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