Zum Gedenken an die Geschichte des internationalen Kampftages der Arbeiterbewegung folgt nun ein aktueller Beitrag aus dem Zeitgeschehen. Obwohl der Ort der Handlung und alle aufgeführten Personen frei erfunden wurden, sind Übereinstimmungen oder Ähnlichkeiten mit lebenden Akteuren, deren Einrichtungen und ihren Anstalten nicht zufällig, gewollt und somit voll beabsichtigt. Die Dichtkunst läßt der Wahrheit eben ihren Spielraum.
Erlitten, erduldet und geschrieben im Jahre des Herrn 2007.
– Der härteste Edelstein heißt Realität. –
Osterzgebirge. Sommerhitze. Das Ende eines schmal zulaufenden Tales, welches in einen Berg übergeht. Neben einem zweistöckig, einsamen Fachwerkhaus, plätschert ein Bach müde ins Tal und eine unbefestigte Straße steuert am Gebäude vorbei, auf eine kleine Klärgrube zu. Zwei Männer um die 50 beginnen ihren ersten gemeinsamen Arbeitstag. Obwohl sie im Obergeschoß stehen, sind sie noch lange nicht dort angekommen...
»So, erstmal das wichtigste: Die Anwesenheitsliste. Dich kann ich sehen, du bist nicht aus dem Tal, da würde ich dich kennen. Also bist du da und ich bin auch da, sonst könnte ich hier nicht zwei Kreuzel machen. Das war es. Wir sind ja nur zu zweit.
So, jetzt setzen wir uns erstmal und trinken einen Kaffee. Milch steht neben der Kaffeemaschine.
Gemütlich hier nicht? Wie in einer Schnitzerecke. Da fühlt man sich gleich wie zu Hause. Nach der Arbeit noch ein bißchen am Nußknackerrohling rumsäbeln, über die Arbeit nachdenken, was man dabei so besser machen könnte bis die Mutti das Abendbrot fertig hat.
Womit wir am Knackpunkt wären. Eine richtige Arbeit haben wir alle beide nicht. Ist ja bloß eine ABM hier und das ist auch keine Schnitzerecke, sondern unsere Operationszentrale. Am besten, ich erzähle dir erstmal was über die *Lokäschen*, bevor ich zu unseren Aufgabenschwerpunkten komme.
Also, wie du es schon mitbekommen hast, ist das hier ein Heimatmuseum. Uralt, das gibt es seit 1910. Vorher war das mal eine Wassermühle. Genauer eine Spanziehmühle. Da haben sie Späne von Holzbalken gezogen. Für Hutschachteln und kleine Spielzeugtannenbäume. Aber die Geschäftsidee war es nicht, und die große Hektik soll hier auch nicht geherrscht haben. Seitdem hat bei uns im Tal die Redewendung ›Späne machen‹ eine andere Bedeutung als landläufig. Da ist keiner groß am Hobeln, sondern der redet nur drüber. Da wird nichts.
Der letzte Sproß, in der vierten Generation, des Mühlengründers hat sich auf dem Dachboden aufgebammelt, als seine Frau vom Span genug hatte und von Dannen gezogen ist.
Seitdem soll es da oben spuken. Manchmal, des Nachts, hört man, wie sich das alte Mühlrad dreht und deutlich eine Stimme, die da ruft: Maria! Komm zurück! Der Span ist fertig! Andere meinen die Stimme ruft: Maria! Komm zurück! Das Essen ist fertig!
Alles Quatsch! Aber den Spuk sollen wir auch für das Museum mit vermarkten. Das erzähle ich dir später. Jetzt verwirre ich dich nur damit.
Bis '45 hat die Gemeinde hier einfach alles stehen und liegen gelassen und die Hütte einfach zum Heimatmuseum erklärt. Dann kam der Russe. Der hat die Maschinen und das ganze Inventar als Reparationsleistung mit in die Taiga genommen. Nicht mal das Wasserrad haben sie da gelassen. Da sah die Gemeinde ganz schön alt aus. Das waren eh alles Alte. Die Jungen sind ja im Krieg geblieben.
Bis ein junger Neulehrer, der Becker Fritz, auch schon tot, sich der Sache angenommen hat. Damals war ja Aufbruchstimmung. Entweder sind sie in die LPG aufgebrochen oder in den Westen. Die einen haben ihre Regale ausgeräumt, neu bestückt und die anderen haben alles stehen und liegen gelassen. Es war also genug altes Gerümpel da, was er hier ankarren konnte. Naja, und zusammen mit der DDR ist es dann im Laufe der Zeit verstaubt.
Für die DDR hat sich, zum sauber machen, keine ABM Kraft angefunden, aber für die Exponate hier schon. Ich weiß gar nicht, wie lange ich hier schon bin und als was. Einmal als ABMer, dann als Eineurojobber, wieder ABM und so weiter. Ein Jahr lang war ich hier sogar ehrenamtlich unterwegs. Wenn du es so gewohnt bist...
Willst du noch einen Kaffee? Ich will gar nicht wissen, was du verbrochen hast, daß dich das Arbeitsamt hierher schickt. Von der Stadt durch das Tal – das ist ein Stück Weg! Da fährt doch nichts öffentliches. Ja, mit dem Fahrrad geht es: Im Sommer! Im Winter gibt es hier meistens nur Schlamm. So hoch gelegen sind wir nicht, daß wir einen auf Wintersport machen können. Schon gar nicht, seit die globale Erwärmung an unser Tal klopft.
Aber der Verein wird dir schon ein paar Gummistiefel und eine Warnweste, falls doch mal ein Traktor kommt, sponsern und du kannst dein Fahrrad in den Winterschlaf schieben. Da stehst du einfach zwei Stunden eher auf und bist zu Fuß trotzdem pünktlich hier. Hier wirst du nämlich gebraucht! Da hast du wenigstens was zu tun und dir fällt zu Hause nicht die Decke auf den Kopf!
Willst du noch ein Schluck Kaffee? Du guckst so komisch?
Also, der Laden hier wird von einem Verein am Leben gehalten. Naja, was die unter Leben verstehen. Zumindest soll das Museum jetzt wiederbelebt werden. Da brauche ich dich! Das schaffe ich nicht allein. Ein bißchen hausmeistern und katalogisieren – mehr geht alleine nicht.
Kurz: Wir sollen Schwung in den Laden bringen! Das Museum erweitern und überregional bekanntmachen. So dass auch mal ein Besucher kommt. Der sich auch hierher findet und so.
Die Idee dazu hatte unser Neuzugang im Verein. Das ist so ein Zugezogener in der zweiten Generation. Bei den vielen Alteingesessenen giltst du bei uns im Tal erst in der 4. Generation als eingesessene Familie.
Und was für Ideen der hat! Da wird einen ganz schummrig! Erlebniswanderwege will er gestalten! Bildungsangebote für Schulen schaffen! Scheune anbauen! Überhaupt das ganze Museum erneuern! Öffnungszeiten einführen! Führungen in Mundart durchführen! Im Internet ein paar Webseiten gestalten und ein Spanziehmühlenforum moderieren! Und! Und! Und!
Was der mit dem alten Schmuggelsteig vorhat, der hoch zum Berg an die Tschechengrenze führt, erzähle ich dir später. Dafür bist du noch nicht reif, das verkraftest du jetzt noch nicht.
Als ich den das erste Mal gehört habe, war mir alles klar: Der hat eine Fehlschaltung im Gehirn. Aber dann habe ich mir gesagt, daß wir genau solche Leute brauchen: Genau diejenigen, bei denen eine produktive Vollmeise im Kopf rumschwirrt. Sonst wird hier nichts.
Er hat ja Recht: Was nützt ein Museum, was keine Besucher findet? Und falls sich doch einer hier her verirrt, da brauchst du viel Talent im Verirren, um auf die Mühle zu stoßen, weißt du ja selber, hat das Museum gar nicht auf?
Ist ja keiner da, der hier Besucher empfangen kann.
Die paar Schulklassen, die ich über das Jahr mal reinlasse, kannst du an einer Hand abzählen und die drei Besucher letztes Jahr, waren reiner Zufall. Die hatten sich beim wandern total verfranzt und wollten eigentlich nur aufs Klo. Das haben sie sich aber nicht getraut zu sagen. Denen habe ich eiskalt 6 Euro Eintritt abgeknöpft.
Eigenmittel muß der Verein ja auch erwirtschaften. Der kann nicht immer nur gefördert werden, sagt der Neuzugang. Obwohl die Zeit, für Geld von oben abfassen, günstig ist.
Sagt dir das ›zinnerne Erzgebirge‹ etwas? Mir auch nicht viel. Das ist irgend so ein Projekt, was unser Osterzgebirge zum Fördergebiet erklärt hat. Um die Abwanderung zu stoppen und Arbeitsplätze zu schaffen. Angst haben die, dass hier irgendwann mal der Letzte das Licht ausmacht. Recht haben die.
Guck dir doch mal unser Tal an: Da kannst du nur noch wohnen und aussterben. Da gibt es nix! Bis auf den Frisör und drüben am Hang den ›Kahlschlag‹. Das ist die Schenke vom Schorchi.
Die Schule ist zu, der Konsum dicht, die Post-Christel und der Arzt längst gestorben. Der Rest altert so vor sich hin.
Da müssen wir Akzente setzen, hat der Zugezogene erklärt. Die Mühle florieren lassen, damit Besucher kommen und die Kaufkraft ins Tal fließt.
Wobei ich nicht weiß, was die Kaufkraft hier im Tal will. Wir haben doch nicht mal einen mobilen Gemüse-Fidschi. Bloß unten an der Fernverkehrsstraße, die hoch zu Grenze führt, den Karli. Der fettet mit seiner Pommesbude die Brummifahrer ein und dann ab. Aber den seine Steuern bringen es doch auch nicht.
Milch und Honig würden mit dem ›zinnernen Erzgebirge‹ zwar auch nicht fließen aber wenn man es richtig beantragt, geht schon mal eine Fischbüchse den Bach runter.
Recht hat der Gunnar.
Der Horsti ist das beste Beispiel. Der hat doch den ›Ost-Erzgebirgsexpress‹. Den wirst du nicht kennen. Das ist kein Zug, nicht einmal eine Zugnummer, sondern ein Wurstblatt von einer Anzeigenzeitung. Die lief nie so richtig. Wer soll denn hier auch Anzeigen schalten? Hier gibt es doch kein Gewerbe außer dem Frisör.
Aldi hat darin mehr über den Fahrplan des Verkehrsverbundes informiert, als über seine Preise, damit sich einer aus dem Tal in die Filiale der Stadt hin- und wieder zurückfindet.
Also hat der so vor sich hin gedümpelt, bis der mit dem Karli, im Kahlschlag beim Schorchi, die Idee hatte: So breit wie die alle waren, haben die einen Verein gegründet. Mit von der Partie war ein Veteranentreffen aus dem Krieg, was da auch gerade mit am Saufen war. Die wollten sich das Tal noch einmal ansehen, in das sie sich vom »Volk braucht Raum« Feldzug auf dessen Rückweg verirrt hatten.
So verfahren konnte man sich auch damals eigentlich nicht. Hast du den alten Armee-LKW an der Feuerwehr gesehen? Denen sind die Tränen gekommen, als sie das gute alte Stück wiedergesehen haben. All die Jahre hat sich die Feuerwehr um das Ding gekümmert. Ein bißchen Traditionspflege eben. Die sind nämlich gar nicht weitergefahren damals. Zur Hanna in die Scheune sind sie gezogen und haben sich gesagt, daß für sie nun der Krieg vorbei ist. Hier findet sie keiner, auch der Russe nicht. Recht hatten die!
Der Russe ist rein ins Land und gleich bis Dresden durch. Der hat sich gesagt: Da gucken mir später mal nach, was da im Wald ist. Ganz Sibirien haben die doch auch unter Kontrolle! Da ist das Osterzgebirge mit inbegriffen. Da konnten die Talleute noch so die weißen Fahnen raushängen! Als der Russe sich dann ein Jahr später mal bequemt hat, im Tal nach den Rechten zu gucken, hatten es die Leute schon längst aufgegeben, sich nach den Regeln der Kriegskunst ergeben zu wollen und die weißen Lappen längst wieder eingeholt. Die damals noch jungen Veteranen haben auch großzügig auf eine Gefangennahme verzichtet und sich in alle Winde verdrückt. Naja, da hat der Russe die Mühle entdeckt und mitgenommen.
Die haben also alle zusammen beim Schorchi einen Verein gegründet:
Den ›Verein zur Förderung der Informationsdichte der ländlichen Bevölkerung im Osterzgebirge‹.
Ist dir nicht gut? Du guckst so komisch? War anstrengend hier her zu kommen, wenn man nichts mehr gewohnt ist und nur mit der Bierpulle auf der Parkbank rumlungert. Selters steht da drüben und die Kasse des Vertrauens gleich daneben.
Eingetragen haben sie den Verein und dessen Gemeinnützigkeit beantragt. Die haben sie auch bekommen, weil ein Informationsblatt das Bildungsniveau der Landbevölkerung hebt, die Gemeinschaft stärkt, einen Arbeitsplatz zu sichern droht und damit als gemeinnützig anzusehen ist. Überzeugt hat die vor allem, daß der Horsti auch Verbraucherinformation betreibt und damit Eigenmittel erwirtschaftet. Das ist auch den Verantwortlichen der Fördermittelvergabe wichtig. Die fördern jetzt den Horsti, damit der die Region stärkt.
Alle sind zufrieden. Der Horsti hat nun ein geregeltes Einkommen und die Projektierer vom ›zinnernen Erzgebirge‹ sind auch glücklich, weil sie viel für die Region getan haben.
Und genau da haken wir ein. Beim Horsti und bei den Fördertöpfen. Du hast dich bestimmt schon gewundert, warum du hier kein Schild an den Exponaten lesen kannst. Die sind in Mundart verfaßt. Das wird jetzt ein bißchen kompliziert: Aber du wirst das schon durchstehen.
Guck dir mal den Computer hier an. Ein tolles Teil! Wenn der ein Auto wäre, würdest du von null bis an die Schallmauer drei Sekunden brauchen. Der macht was her! Die Vereinsleute wollten ihn unbedingt, haben aber keine Fördermittel dafür bekommen. Recht haben die Förderleute!
Wozu brauche ich hier so ein Teil? Das Gerümpel katalogisieren kann man auch mit Karteikarten. Siehst du ja hier. In dem Schrank ist noch genug Platz, für ein Dutzend Ramschkisten mit Karteikarten. Aber nein! So ein Rechner mußte es unbedingt sein. Also haben sie die Veteranen aktiviert und flugs einen neuen Verein gegründet. Die selbe Mannschaft in einer neuen Version sozusagen.
Genannt haben sie sich ›Verein zur Förderung der Mundartpflege und der Erhöhung der Informationsdichte im ländlichen Osterzgebirgsraum‹. Merkst du was?
Das selbe wie beim Horsti nur sind die ein Lewel* weiter. Als erstes haben sie hier alle Hinweisschilder in Mundart übersetzt, damit der Fördertopf merkt, daß es ihnen ernst ist und ihnen die Gemeinnützigkeit anerkannt wird. Die haben sie prompt bekommen, weil sie planen eine Zeitung herauszubringen, die in osterzgebirgischer Mundart geschrieben werden soll. So ein gemeinsamer Dialekt schweißt die Menschen in unserer Region ja zusammen und stoppt die Abwanderung.
Wenn man einen Dialekt pflegen und erhalten will, muß man ihn ja auch gebrauchen. Aber zum Zeitung machen braucht man eben ein Computer. Das hat der Fördertopf eingesehen und nun steht das Schmuckstück eben hier.
Das wird auch erstmal dein Arbeitsmittel sein. Die Karteikarten mußt du in den Computer tippen. Damit wir die nochmal haben so als Sicherheit. Bäckappen*. Kann doch mal passieren, daß einer eine Tasse Kaffee über die Karten kippt. Dann wissen wir nicht mehr, was wir da unten an Exponaten zu stehen haben. Das geht nicht.
Soll ich noch einen Kaffee ansetzen?
Damit fangen wir besser früher als später an. Wenn mir das Passwort für den Computer wieder eingefallen ist, legst du erst mal los mit dem katalogisieren.
Die Zeitung machen wir später. Das braucht schon seine Anlaufzeit. Geförderte Mühlen mahlen nun mal langsam. Das liegt in der Natur ihrer Sache.
Wenn man dich so ansieht, fällt einem richtig auf, dass hier schon ewig mal renoviert werden müßte, so weiß wie du bist. Wenn der Kaffee durch ist, trinkst du noch ein Schälchen, der wird dir gut tun! Du hast ja keine Ahnung, was ich dir noch alles erzählen werde. Komisch gucken kannst du später...
*Lokäschen: Location
Lewel: Level
Bäckappen: ein Backup machen
Fortsetzung folgt
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