Gestern wäre mir beinahe so ein dusseliger Fahrradfahrer am Kühlergrill verendet. Glücklicherweise wurde er im letzten Augenblick von einer Ampel gestoppt. Das nehme ich zumindest an. Genau sehen konnte ich es ja nicht. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite bettelte ja ein über den Hosenbund quellendes, und nur schlecht von einem verwaschenen T-Shirt verstecktes, weibliches Speckröllchen um meine Aufmerksamkeit. Die dazugehörige Frau war Mitte Zwanzig und sie schien es nicht zu stören, daß ihr ausgebleichter Tanga, in Höhe der anzunehmenden Taille, sich 2,8cm tief in ihre Haut grub. Nach ihrer sparsamen Schrittfrequenz und den hellroten Schürfstriemen zu urteilen, die der Slip von oben nach unten auf ihr hinterließ, hatte sie ihn sich exakt vor 17min bis unter die Achselhöhlen hochgezogen.
Früher war alles besser. Egal.
Jedenfalls konnte ich mich bei dem Gedanken, daß der Sommer mit seinen Auswüchsen – freiliegender, unbemantelter und unbehüteter Speck, sei er noch so umnachtet – wieder hart werden würde, mich unmöglich auf den aktuellen Straßenverkehr konzentrieren. Wozu auch? Ich stand ja eh vor einer roten Ampel. Genau vor der, an der sich der havarierte oder einfach so zusammengebrochene – ob dies in Ehren geschah oder nicht, kann ich, wie gesagt, nicht beurteilen – Biker sich bemüßigte, mal wieder aufzustehen. Das Pflaster unter ihm war nass. Also konnte er noch nicht lange dort herumgelegen haben, denn zuletzt hatte es vor vier Stunden geregnet.
Etwas Kombinationsgabe und Einfühlungsvermögen hat noch niemanden geschadet. Außer die eigene Frau besitzt sie. Egal. Sowieso.
Das Ganze sah etwa so aus:
Mal davon abgesehen, daß ich die letzten 15 Jahre nichts gezeichnet, geschweige denn etwas mit Hand geschrieben habe, sondern mich nur hinter der Tastatur verschanzte, ist mit meiner Gedächtnisprotokollskizze ein Stimmungsbild entstanden, auf daß ich zu Recht stolz herabblicken kann. Glasklar ist darauf der Halt suchende, sportiv mumifizierte, 45-jährige frühpensionierte Gymnasiallehrer für Deutsch/Latein zu erkennen und meine, zu einem Bild komponierte, tiefe Erkenntnis über die Tatsache, daß wir uns in derselben Situation befanden. Uns verbindet nicht nur, daß wir keine vernünftige Schule von innen gesehen haben, sondern auch, daß wir so eben, situationsbedingt, das gleiche einschneidende Erlebnis hatten. Einen Schock. Ich mit den Speckrollen und ihn hat es bestimmt auch nicht einfach so flachgesemmelt. Irgendeine Feindberührung wird ihn schon auf das Pflaster geknallt haben. Ich kann nur von Glück oder Vorhersehung sprechen, weil ich hinter dem Steuer schon an der roten Ampel festsaß – also, selbst beim besten Willen weder umfallen, noch sonst irgendwie aus der Spur scheren konnte – und weil ich noch nichts gegessen hatte, was eines förmlichen Erbrechens lohnenswert gewesen wäre.
Früher war alles besser. Bei normalgewichtigen Frauen reichte eine MALIMO-Stoffbahn für den Mini-Rock und bei allen anderen die Dederon-Kittelschürze. Die Mini-Röcke flanierten über den Anger und die Kittelschürzen vor dem Herd. Das Autofahren gestaltete sich entspannter, weil es kaum Ampeln gab und man kein Auto besaß. Der Himmel war blau, die Vögel zwitscherten und zum Fahrradfahren brauchte man nur ein Fahrrad, einen Stielkamm in der Arschtasche der Niethosen und den Weg zur Arbeit oder in die Disco. Fertig.
Aber heute? Diese Fahrradfahrer haben doch alle ein Ding an der Waffel. Ich meine jetzt nicht den obligatorischen gewordenen Schutzhelm, der aussieht wie eine umgedrehte klingonische Obstschale, und auch nicht die, die sich früh am Morgen auf den Drahtesel schwingen, um im Schweiße ihres Angesichts zu der Stätte ihres Broterwerbs zu Radeln, um dann still vor sich hin gärend auf den Feierabend zu warten, nein, ich rede von diesen High-tech Bikern, die den Fitness-Treffer weg haben.
Ihre sauteuren Bikes sind so leicht gebaut, daß es kaum ins Gewicht fällt, ob man mit Fahrrad oder ohne unterwegs ist, was besonders der älteren Bevölkerungsschicht Mitte Vierzig entgegenkommt. Die Gangschaltung erspart einem ja auch das in die Pedale treten. Das man sich überhaupt bewegt, erfährt man vom Fahrradcomputer. Vergißt man den anzuschalten, kann es leicht passieren, daß man ohne Fahrrad losfährt. Allerdings kommen sie so nicht allzu weit. Bis zur nächsten Ecke und sie brechen gewöhnlich mit einem Kreislaufkollaps zusammen. Der Körper ist ja nichts gewohnt. Nur das Anprobieren von hautengen Mikrofaserklamotten, die verhindern sollen, daß man ins Schwitzen kommt. Wobei eigentlich? Wozu muß man hunderte von Kilometern fahren, um auf den Kalorienverbrauch zu kommen, der vergleichbar mit einem Gang zum Briefkasten ist? Die spinnen doch. Warum kaufen die sich keine Rikscha? Die Mutti vorne drauf – so kommt die auch mal an die frische Luft – und ab gehts in den Wald Holzstämme klauen. Das wäre ein echtes Fitnesstraining. Aber so können sie eben nicht rumprotzen. Weder mit dem Bike noch mit ihrem Weibe. Holz zum heizen braucht ja auch keiner mehr. Ja, früher ...!
Früher war alles besser. Ich sage nur: Kohlen holen. 2 Eimer voll täglich. Aus dem Keller in den 4. Stock. Dafür gab es keinen Leichtmetallrahmen. Als Gangschaltung diente das Außenthermometer. Da wäre keiner auf die Idee gekommen, sich windkanalgetestete Trikots anzuziehen. Die Mutti hat sich die Schürze übergeworfen und ab gings in den Keller. Dort wartete kein isotonisches Erfrischungsgetränk auf sie, sondern die Kohlenschaufel. Und dann ging es hurtig die Treppe wieder rauf! Da war nichts mit solchen Faxen, wie den Puls zählen oder den Blutzuckerspiegel messen.
Wer schon mal 30 Zentner Kohlen von der Straße in den Keller geschippt hat, weiß was ich meine. Da hieß der innere Schweinehund noch Kohlengabel. Wo da die eigenen Grenze lag, konnte man nicht am Fahrradcomputer ablesen, aber erfahren, wenn man auf offener Straße zusammenbrach. Das war ein echtes Kreislauftraining!
Mit der Wende ist dieser Beitrag zur Volksgesundheit leider in Vergessenheit geraten. Plötzlich hatte ja jeder eine Gas- oder Ölheizung und die Kohlen im Keller übrig. Die bin ich mir holen gegangen. Bei mir wurde ja noch bis Ende der 90er Jahre mit Hand und per fossilen Brennstoff geheizt. Ich habe mir meinen Wartburg geschnappt und bin einmal pro Woche zur Oma gefahren. Kohlen hamstern. Was sonst? Genau 13 Eimer voll davon passten in den Kofferraum. Der Vorbesitzer des Wagens muß ein ähnliches Hobby gehabt haben, denn er hatte ihn hinten durch extrastarke Stoßdämpfer höher legen lassen. Unbeladen ragte die Karosse 20cm zu hoch über der Fahrbahn, was der Bodenhaftung extrem zum Nachteil gereichte. Erst mit 13 vollen Kohleneimern im Kofferraum war eine angstfreie Kurvenfahrt überhaupt möglich.
Deswegen habe ich die Kohlen auch nie erst ins Haus geschafft, sondern im Auto belassen. Kohlen gabs bei mir im Kofferraum und nicht im Keller. Als dann die Heizperiode plötzlich abbrach, habe ich sie in der Gewissheit, daß der nächste Winter mit Sicherheit kommt, auch dort gelassen. Der kam dann auch aber nicht mehr für mein Auto. Achsenbruch. Das Gesicht des Autoverwerters werde ich nie vergessen, als ich dann im Hochsommer, bei 28 °C im Schatten, auf dem Schrottplatz die restlichen zwei Eimer Kohlen aus dem Kofferraum lud, um mit ihnen zur Bushaltestelle zu laufen.
Damals war das gesundheitlich kein Thema. Heutzutage würde das ja keiner mehr schaffen. Auch weil der Busfahrer die Polizei und den Krankenwagen rufen würde. Dabei müßte man Beide, und die Einsatzwagen der Unfallforschung gleich dazu, eigentlich im Schlepptau haben, wenn man sich bei guten Wetter als Fußgänger einem Fahrradweg nähert, der sich unter den Fitnessheinis großer Beliebtheit erfreut. Wie im Sommer der Elberadweg. Dort heil davongekommen, weiß man, was eine Rentnerschwemme ist. Da tut sich einem am Horizont der Erdboden auf und spuckt ganze Heerscharen von Pensionären auf ihren High-Speed-Bikes in die Landschaft.
Gut, dann sind sie eben weg von der Straße und beschäftigt. Nichts ist schlimmer als ein unterforderter Rentner mit seiner unendlichen Zeitkapazität. Früher konnte man ihn den lieben langen Tag vor dem Obstladen stellen, und ihn nach Bananen für die Enkel warten lassen, damit er nicht auf dumme Gedanken kommt, und mit seiner gut gemeinten Hilfsbereitschaft die eigene Familie ausrottet. Aber heute?
Früher war eben alles besser. Punktum.
Das Speckröllchen ist übrigens an einer Fressbude nicht vorbeigekommen und hat sich eine Riesenportion Pommes rot/weiß genehmigt. So etwas gab es früher auch nicht. :-P
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
ist es nicht schon tradition, dass sich die dicksten genau so anziehen, das man auch wirklich jeden ring sehen kann? das nimmt immer bizarrere auswüchse an, zum einen, weil eine bestimmt hemmschwelle jährlich sinkt, und zum anderen, weil immer mehr leute fett werden. kann ja wieder heiter werden, wenn´s draussen noch wärmer wird. ;o)
AntwortenLöschengut, manche tradition hat sich so eingefleischt. früher war eben doch nicht alles besser. was dem sommer betrifft: die kraft sei mit dir! *g*
AntwortenLöschenMuskelkater in Gesicht und Bauch. Danke!
AntwortenLöschenoute dich gefälligst als frau rot-weiß-erfurt. *g*
AntwortenLöschengern geschehen.
Ich kann zwar aus mir heraus gehen und ab und zu steh ich auch total neben mir, aber im outen muß ich mich noch üben.
AntwortenLöschenAuftrag ausgeführt. Geht doch! *g*
Wieder einmal ein Leckerbissen, der mich nach mehr verlangen lässt *g
AntwortenLöschenknuddelige Grüße übrigens ... man lebt noch, ja
... und wehe wenn nicht peg. *g* da möchte ich nicht in deiner haut stecken. *knuddeldrück*
AntwortenLöschen