Sonntag, 2. Dezember 2012
Blickdicht 3
»Magst du, möchten Sie einen Weinbrand? Zur Verdauung?«
Die 70er Jahres-Tapete, der Gummibaum, die Schrankwand aus dem Möbelprogramm Deutsche Werkstätten, das unvermeidliche bulgarische Keramikgeschirr und diverse Bleiglasvasen darin, der Raduga-Farbfernseher und die schwedisch grinsenden, bis auf den Teppich reichenden, Gardinen hatten mich umzingelt und drohten unverhohlen mich zu erdrücken. Nur die westverwandschaftsfreie Hausbar war mir freundlich gesinnt.
»Noch einen?«
Das Mittagessen kam ohne peinliche Kleckerflecken oder über die Tischdecke verstreuten Erbsen aus. Meine Begrüßungsblümchen waren adrett überreicht, staken endlich in einer original ungarischen Vase aus Zsolnayer Porzellan, die mir vorahnungsvoll wie eine Urne erschien, und meine, für diesen Anlaß frisch geputzten, Halbschuhe standen im Flur. Soweit war der Etikette Genüge getan.
»Einer geht noch!«
Aber die Kuh war noch nicht vom Eis. Die Kuh war noch nicht im Bett und ich nicht in ihrem. Ich tänzelte aber zielstrebig auf dem glatten Parkett davor.
»Gut. Du hast Recht. Ich darf doch Du zu Dir sagen? Auf mehr als drei Beinen ... drei reichen jetzt erstmal.«
Die Hausbar schloß sich und in des Hausherren Augen – wenn man eine Plattenbauwohnung, ein Fach im Schichtknödelregal, als Haus bezeichnen möchte – blitzte Anerkennung. Hart saufen konnte der Junge, aber er wußte auch, wann Schluß ist. Testbericht Ende. Seine Frau nickte, verdrehte die Augen und widmete sich in der Küche dem Abwasch.
Zimmer- und Tapetenwechsel. Weiße Erfurt-Rauhfasertapete. Zwei weiße Schränke. Vier Alpen- und Usambaraveilchen auf der Fensterbank; ein Nino de Angelo Plakat an der Wand, über der Tagesdecke ihres viel zu schmalen Bettes und eine verchromte Schreibtischleuchtstoffröhrenlampe verströmten den Charme eines Krankenhausflures für schlafwandelnde Komapatienten. Vor und hinter den frischgeputzten Scheiben tanzten Schneeflocken und die Eisprinzessin selbst häkelte in ihrem Sessel munter an einen Topflappen. Bis zu der mir angedrohten Überraschung war es noch eine Stunde Zeit. Häkeln, Schweigen, Maschen- und Schneeflockenzählen.
Wer ficken will, muß freundlich sein.
Nicht nur zum Objekt oder Projekt, sondern auch zu dessen Eltern. Vor allem in der kalten Jahreszeit galten gesonderte Spielregeln. Nicht jede Diskobekanntschaft war enthemmt genug, um einem, am elterlichen Schlafzimmer vorbei, in das eigene zu schleifen und die Schlagkraft des sozialen Wohnungsbauprogramms der DDR war für alleinstehende Jugendliche nicht spürbar. Was blieb, war der Antrittsbesuch, der Waffengang in die Höhle der Erzeuger der jungen Frau oder das scheinbar endlose Warten auf den viel zu kurzen Sommer mit seinen Zeltplätzen, Wiesen, Feldern, lauschigen Gärten, verträumten Waldlichtungen oder schnöden Hauseingängen und staubigen Bungalows. Ein Auto, was man entsprechend weihen konnte, besaß ich nicht einmal in meiner unbändigen und ungezügelten Phantasie. Ein Wagen mit Standheizung führte manchen auch direkt in die Klinik. Wartend, mit Schnittblumen und Orangensaft, vor den Kreißsaal. Da war auch der Altar nicht weit. Daran wagte ich nicht einmal zu denken. Mit einer Kinderkugel am Bein und einer Frau am Hals ließ es sich vortrefflich im seichten Ehehafen versinken und elendig verenden. Meine Misogamie war da der rettende Fels in der Brandung, die ich bevorzugte.
Der Saal im Kulturpalast tobte und brodelte vor Begeisterung. Ich brodelte nicht, allenfalls vor Wut und Empörung über diese Zumutung, und litt quer durch das Parkett. Der Bergsteigerchor »Kurt Schlosser« hatte zum Bergsingen geladen und den Reigen bunter Melodien mit dem »Omnibus« Kinderchor, dem Chor der »Deutschen Reichsbahn« und einer, von Funk und Fernsehen einschlägig bekannten und von mir gefürchteten, Schreckschraube als Moderatorin komplett gemacht. Überraschung! Überraschung! Überraschung!
Die Einladung zum Abendessen, zu ihnen nach Hause, war die elterliche Genehmigung, in ihrer Wohnung, in dem Kinderzimmer ihrer Tochter, zu übernachten. Den außerehelichen Geschlechtsverkehr mit ihr nahmen sie dabei billigend in Kauf. Ich hatte alles richtig gemacht. Oder alles falsch. Meinen Erfolg würgte ich wieder herunter. So blieb er mir nur im Halse stecken.
Meine Sehnsucht, das Abendmahl mit einem ausgiebigen Rundtrunk durch die Hausbar zu vollenden, erfüllte sich nicht. Der Hausherr sah mir wohl an, daß ich sie jetzt skrupellos geplündert hätte. Statt dessen lud er uns ein, gemeinsam den Samstagabend gemütlich vor dem Fernseher zu verbringen. Fernsehen der DDR. Ein Kessel Buntes ohne O.F. Weidling. In Gedanken war ich auf der Diskothek, die ich an dem Abend verpassen würde.
Die Zigarette danach rauchte ich davor. Draußen vor der Haustür. Im Schnee und in Besucherpantoffeln. Mein Objekt war im Bad, sich auf die Nacht vorbereiten. Die Tagesdecke lag dann im Dunkel, exakt quadratisch zusammengelegt, auf ihrem Sessel und ihr Fenster war zugezogen und fest verschlossen. Sie schlief schon, oder sie tat so, und ich war seltsamerweise darüber erleichtert.
Auf einem glatten Parkett zu bestehen, ist das Eine. Sich dabei auf der richtigen Party zu befinden, etwas völlig Anderes.
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Geschicktes Einweben von Prominenten beschert todsicher hohe Einschaltquoten. Falls mal jemand »Party Weidling Zigarette de Angelo Parkett« bei Google eingibt. Zum Beispiel.
AntwortenLöschenDie auf dem Schild vorgegebene Körperhaltung wird wohl kaum ein vermeidbares Übel sein, um die Texte in den unteren Reihen des Lidl-Cerealien-Stauraums zu entziffern. Ist doch Lidl? ;o)
Hohe Einschaltquoten nützen mir nix, wenn, wie bisher, 90% meines Publikums dies vergeblich tun. Es ist irre, wieviel Kaputte auf der Suche nach verqueren Müll meine Seiten frequentieren. Aber immerhin habe ich ein paar Top 10 Platzierungen beim beliebtesten Suchmaschinenanbieter. Frag nicht welche.
AntwortenLöschenIst Lidl, was sonst? *g*
An den Cerealien erkannt. Und an den Fliesen. Und an der Rutschgefahr... ;o)
AntwortenLöschenDie Fliesen gehören zum corporate identity des Ladens. Das ist ungeheuer wichtig, weil, wenn man früh aufwacht, sich rumdreht und die Fliesen sieht, sofort weiß, daß man sich im Lidl befindet.
AntwortenLöschenschwerenöter ;)
AntwortenLöschenIch war jung, ungestüm und, und ... und ein Zeitzeuge. :-D
LöschenDu warst mal jung ... und freundlich? *fg*
AntwortenLöschenJa, stell dir das mal vor!
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