An einem Seelenbaum zum Beispiel. Man möchte es nicht glauben, aber das abgestorbene Mickerding soll tatsächlich einer sein, und die bunten Kärtchen an ihm seine Blüten. Aber, um diese geht es mir gar nicht. Ich habe ihre Botschaften an die Welt, den Wind und den Landschaftsgärtner nicht einmal gelesen. Was soll schon darauf stehen? Regelmäßig, mindestens zweimal pro Woche, gießen? Nein, es sind mit Sicherheit Verse aus einem Selbstfindungsbuch einer bürgernahen Betroffenheitsbibliothek. Das muß ich mir nicht antun.
Mir reicht schon die offizielle Beschilderung. In einem leidgeprüften Deutsch gehalten, informiert sie uns darüber, daß hier drei »Vereine« plus Werbeagentur am Werk waren, um einen Baum zu pflanzen. Da wurde augenscheinlich am falschen Ende gespart. Hätte man noch das Goethe-Institut für die ersten zwei Sätze, und ein Forstamt für das Pflanzen des Baumes bemüht, wäre aus dem Mahnmal vielleicht etwas geworden. Aber so sind die feierlich gemeinten Worte nur zum inhaltslosen Gestammel, und der Baum an sich, verkommen.
Warum zum Teufel, müssen im Grunde ehrenwerte Anliegen, wie diese, immer durch derart symbolhafte Rituale der Lächerlichkeit preisgegeben werden? Weil den Sozialpädagogen nichts Besseres einfällt? Weil die in ihrer Kindheit zu lange vor einem Altar gekniet haben? Weil sie womöglich von ihren Eltern dort ausgesetzt oder vergessen wurden? Und warum machen Therapeuten so einen Unfug mit? Weil sie den Glauben an den Chemiebaukasten verloren haben, und deshalb denken, auf die magischen Kräfte der Natur zurückgreifen zu müssen? Bei Sozialpädagogen? Da können sie auch gleich schamanische Schwitzhütten errichten, Misteln mit goldenen Sicheln schneiden, wie die keltischen Druiden es taten, und daraus bildungsferne Zaubertränke brauen. Helfen wird das genau so wenig, wie man verwirrten, manischen Helfern eben nicht helfen kann.
Komm, wir pflanzen ein Bäumchen, setzen ein Zeichen, und erfreuen uns daran. Blinder Aktionismus, wie er in manchen sozialen Berufen zur Hauptbeschäftigung mit sich selbst gehört – auch gute fachlich-qualifizierte Arbeit genannt – anstatt ergebnisorientierter Aufgabenstellung und deren Bewältigung. Ich weiß, daß die Initiatoren dieser Aktion es sich nicht so einfach machen. Mit ein wenig halbherziger Recherche erlangt jeder diese Erkenntnis. Aber ich kann nichts dafür, wenn das Bäumlepflanzen diesen Eindruck bei mir hinterläßt. Auch gebe ich gerne zu, daß ich selbst keine brauchbaren Vorschläge habe, um der Problematik des dramatischen Anstiegs seelischer Erkrankungen in unserem Land eine Öffentlichkeit zu geben. Mit mittelalterlich-magischen Ritualen funktioniert das sicher nicht. Vor allem, wenn man diese dann vergammeln läßt. Im Volksmund heißt es dann: Das waren die Bekloppten.
Das sogenannte klassische Eigentor. Ich wähle hier bewußt die Fußballsprache, weil ich weiß, daß die von der breiten Masse auch verstanden wird. Aber die Flanke zum volksnahen Sprachschatz eines Helmut Kohl oder zum Sprachgebrauch eines, der Müllhaufen der Geschichte habe ihn selig, Franz Josef Strauß will mir nicht gelingen. Das wäre notwendig, um mich partei- und intelligenzübergreifend zu diesem Thema nachhaltig äußern zu können.
Vielleicht hilft da wirklich das metaphern vom Seelenbaum? Der Appell an kindliche Urinstinkte und -ängste verklausuliert in faunische Wunsch- oder Alpträume? Die unerschütterliche Kraft eines uralten Baumes an seiner Seite zu wissen, ist doch eine feine Sache. Vor allem, wenn er die eigene Seele verkörpert. Da kann einem nichts passieren. Wenn man, zum Beispiel, den Freitod durch Erhängen in Erwägung zieht. Wer das schon mal probiert hat, weiß, daß dieses Unterfangen, oder Unterhangen, einen vor unlösbare Probleme stellen kann. Ist der Strick zu kurz, und damit die eigene Fallgeschwindigkeit zu gering, greift das Trägheitsgesetz nur halb und es knackt nicht wie erwartet im Genick, sondern man zappelt eine gefühlte Ewigkeit da herum, bis einem die Luft ausgeht. Andererseits kann es durchaus passieren, daß man nur den Ast abreißt, auf den man vorher gesessen hat und dieser einen dann, wenn nicht er-, nur krankenhausreif schlägt. Dort – wir ahnen es – muß man dann Bäumchen pflanzen oder nur still malen.
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Dann, beim Malen oder »drüber Reden«, stellt sich einem unweigerlich die bohrende Frage, welcher Baum nun für einen zuständig ist, aus welcher Pflanze man seine Kraft schöpfen kann. Es gibt mehrere Möglichkeiten, um dies zu ermitteln, welche mich wegen ihrem Gehalt an konsequentem Schwachsinn faszinierten. Die eine sieht vor, so lange an seinem Geburtsdatum herumzurechnen, bis eine einstellige Zahl übrig bleibt, zu der ein Baum zugeordnet wurde. Witzig dabei ist, daß die Zahlen 10 bis 12 als einstellige Zahlen gelten. Nachdem ist ein mir bekannter, strauchartiger Baum meine Seelenhülle, und er steht des Weiteren für gefühlsbetonte, harmonische Naturen. Seit ich das weiß, bin ich so von Harmoniesucht durchdrungen, daß man mir die Räucherstäbchen gar nicht so schnell nachreichen kann, wie ich sie abfackele. Das kann auf Dauer nicht gesund für mich sein und in Anbetracht der Tatsache, daß man sich unmöglich an einem Strauch erhängen kann, vertiefte ich mich noch in das keltische Baumhoroskop.
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Was daran keltisch sein soll, steht in den Sternen. Man muß nicht jeden Mist als gegeben hinnehmen, nur weil es der Psychopath von nebenan behauptet. Die alten Kelten mißtrauten der Schrift und gaben ihr Wissen nur mündlich weiter. Als die Römer ihre Gebiete eroberten, schlugen sie jeden Druiden, den Bewahrern des Wissens, den Kopf ab, ohne ihn vorher über seine Kultur großartig zu befragen und diese zu protokollieren. Damit wurde den keltischen Stämmen nicht nur ihre religiöse und politische Führung, sondern auch weitestgehend ihre Identität genommen. Aus der Zeit vor der Romanisierung gibt es keine schriftlichen Zeitzeugen von den Kelten selbst, allenfalls Bericht von anderen Völkern über sie.
Und da soll ausgerechnet der Baumkreis als urkeltisches Wissen überliefert worden sein? In dem weder eine Krüppelkiefer, noch eine Trauerweide verzeichnet ist? Wo die Seele schon bei der Namensgebung Pate stand? Wer es glaubt ... Aber, wer heilt hat recht, daß wußten schon die alten Schamanen. Ob uns purer Budenzauber oder eine uns unbekannte Physik dabei hilft, den Alltag zu bestehen und unseren Baum zu finden, ist letztendlich egal. Bei der Wahl der Mittel sollte man auch keine Grenze ziehen. Was spricht gegen eine probiotische Seelenmassage oder eine gehörige Tracht Prügel, wenn die gewünschte Heilsbringung eintritt? Deren Mißbrauch. Wenn eine Frau nach Hause kommt und erstmal ihren Mann – oder andersherum – zur Streßbewältigung vermöbelt, sollte man diesem ablehnend gegenüberstehen. Ein finsteres Kapitel – was ich hier ausblende, denn es führt zu nichts – ist auch der skrupellose Handel mit Seelenbäumen.
Dem Nummerologie-Zauber, was beide Verfahren zur Seelenbaumbestimmung zweifelsohne sind, sollte die Vernunft folgen. Diese weist an, daß man zuerst alle Bäume ausschließen soll, die sich zum Suizid durch Erhängen nur bedingt oder gar nicht eignen. Dazu zählen fast alle Nadelbaumarten, sowie solche vom Wuchs her unsichere Kandidaten, wie Birke, Pappel und alle niedrigwachsende Obstgehölze. Dann sollte man seine Seele baumeln lassen und sich einfach den Baum suchen, der zu einem paßt und sich dabei nicht von Eigenschaften irre leiten lassen, die einst Dichter ins hölzerne Gewirr projizierten. Das führt unweigerlich auf den verzweigten Holzweg in die baumlose Wüste des Seins. Dichter ließen sich ja von einem Baum der jeweiligen Art inspirieren. Aber jeder Baum, sagen wir mal jede Eiche, ist so individuell wie unsere Seele. Es nützt also nichts, uns eine Art zu suchen, nein, wir müssen uns genau »unseren« Baum suchen, ihm begegnen und seine Wirkung auf uns gleiten lassen.
Dieser Baum am Wegesrand gefiel mir schon ganz gut. Rauh, von Wind und Wetter zerrissen, bietet seine blättrige Schuppenborke (?) es geradezu an, meine Seele aufzusaugen und 1:1 widerzuspiegeln. Aber der Stamm ist viel zu dünn, um sie aufzunehmen und ich hatte das Gefühl, daß in ihm schon die Seele einer Frau Anfang Dreißig ihr Heim gefunden hat. »Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust, die eine will sich von der andern trennen: die eine hält in derber Liebeslust sich an die Welt mit klammernden Organen; die andre hebt gewaltsam sich vom Dust zu den Gefilden hoher Ahnen.« (Goethe, Faust) Manchmal sind des Dichters Worte einem doch von Nutze. In meiner Brust wohnt zwar nur eine Seele, aber da diese möglicherweise eine dissoziative Identitätsstörung oder veraltet: multiple Persönlichkeitsstörung aufweist – multipel oder nicht, gestört muß sie sein: Würde ich mir sonst einen Baum suchen? – vertraute ich einen Teil von ihr diesem Geschöpf an, damit sie sich eventuell derber Liebeslust hingeben kann. Mal sehen, was dabei herauskommt – spüren kann ich noch nichts.
Dieser Baum war der Volltreffer. Mein ersehnter Lebensquell verbeißt sich hier in seine Grenzen. Oben und unten in seiner Pracht beschnitten und bekämpft, wird er nicht müde gegen die Übermacht der Gefilden meiner Ahnen anzukämpfen. Grimmig widersteht er dem schnöden Stahl der Umzäunung meiner Klinik, seiner Hoffnungslosigkeit bewußt. Paßt perfekt. Das er bei einem Freitod wenig hilfreich sein wird, stört kein bißchen, sondern fügt sich in mein Zerrbild.
Jetzt habe ich sozusagen eine Dreiecksbeziehung geschaffen. Das paßt auch wunderbar zu meiner zerrütteten Seele. Ich hoffe mal, daß es sich nicht als ein kleines Bermuda-Dreieck erweist. Das Wurmloch zur Hölle. Aber da gibt es sicher einen Ablaßhandel, der die Flugbahn meiner Seele umkehrt. »Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt!« Oder so ähnlich hieß es ja schon im Mittelalter. Vielleicht hat ja das Seelenbaum-Pflanzen denselben Hintergrund wie der Ablaßhandel. In welcher Zeit bin ich jetzt eigentlich?
Irgendwie habe ich den Überblick verloren. Das widerfährt einem schnell, wenn man über Dinge fabuliert, von denen man keine Ahnung hat. Ehrlich gesagt, habe ich auch nur eine unklare Vorstellung von dem, was man Seele nennt. Aber da stehe ich mit den Seelenbaumgärtnern nicht alleine da. Das ist kein Makel, sondern Grundvoraussetzung für den Glauben. An wen oder was auch immer. Wem nützt ein Wissen, wenn sich daraus nur neue Fragen ergeben und einzig der Glaube schnelle Linderung verspricht?
Was sagt die Weltliteratur zu diesem Thema?
»Den Glauben, daß man mit Initiativen und deren Unterschriftensammlungen irgend etwas gegen den steten Anstieg von Erkrankungen die das Denken, Fühlen und das Verhalten eines Menschen betreffen, ändern kann, vermag ich nicht zu teilen. Wir selbst sind die Propagandisten einer Welt, die nur dann funktioniert, wenn es Sieger und Besiegte, wenn es Verlierer und Verlorene gibt. Wie wollen wir etwas erfolgreich bekämpfen, wenn wir es täglich selbst generieren? Im Kleinem, wie im Großem? Die Ursache sind wir ja selbst. Unser Denken, unser Handeln und unser Verhalten führen uns selbst und andere in die seelische Belastung bis hin zur Krankheit. Aber das ist nicht änderbar, weil all das, nach dem wir streben, für uns nur erreichbar ist, wenn wir es unserem Nächsten streitig machen. Was wir haben wollen, müssen wir einem anderen wegnehmen und dabei aufpassen, daß uns nichts genommen wird. Auch auf die Gefahr des eigenen Untergangs. So funktioniert unser Miteinander, so funktioniert unser Wolfsgesetz und wir werden nur anerkannt, wenn wir selbst so funktionieren. Das ist unsere Welt. Das ist das, was uns ausmacht und auf was wir stolz sind. Die Verlierer sind ja immer nur die anderen. Die Schwachen, von denen wir uns nehmen können, was uns beliebt und denen wir ein Almosen zurückgeben, damit sie uns erhalten bleiben, weil wir sie brauchen. Sie sind genau so ein Bestandteil des Systems, wie wir selbst. Der Kranke braucht den Therapeuten und der Therapeut den Kranken. Jeder für sich allein ist nutzlos. Das ist unsere göttliche Ordnung.«
Zitat aus: Til van der Hasze, Predigt 2/8 März 2011
Gut, das war wenig hilfreich. Was meint die zeitgenössische Literatur?
»Gegen das gesunde Volksempfinden kommt man sowieso nicht an. Da kann man ganze Haine mit Seelenbäumen hinrotzen, Mahnmale aller Art errichten und in Seelen-Workshops allen möglich Unfug betreiben. Im Mittelalter galten die Kaputten als verhext, vom Teufel oder Dämonen besessen und ganze Heerscharen von Kirchendienern, Exorzisten, Henkern und Wunderheilern haben sich eine goldene Nase daran verdient, in dem sie die verirrten Seelen ins Diesseits oder ins Jenseits beförderten. Später nannten sich die Folterknechte Psychiater, aber ihr Tätigkeitsfeld blieb das gleiche. Außer das sie das Brandeisen gegen das Elektroschockgerät tauschten. Aber immerhin nahmen sie den Kranken ernst. Heutzutage gilt die landläufige Meinung, daß die geknickten Seelen selber Schuld an ihrem Elend sind, welches sowieso nur auf Einbildung beruht. Die hätten nur Zucker in den Arsch geblasen bekommen und nie gelernt sich durchzubeißen. Die sollten einfach zur harten Arbeit und zu Gott finden, dann kommen sie nicht auf so dumme Gedanken. Und wenn sie zur Arbeit nicht taugen, dann sollten sie eben Künstler oder Psychotherapeut werden und mit 27 Jahren dem Club der toten Dichter beitreten.«
Zitat aus: Til van der Hasze, Mit dem Ohr am Mob, 2009
Quelle: Amazon |
Lassen wir das. Vielleicht sollten wir uns lieber Nasenbäume züchten. Mein Kobold hat ein Kinderbuch in dem so ein lustig Ding beschrieben und illustriert ist. Auf dem Baum wachsen Nasen aller Art und wenn uns die eigene nicht mehr gefällt, so pflückt man sich eben eine neue. Die Auswahl ist groß: Schweine-, Füller-, Staubsauger-, Kolibri-, Clowns-, Wasserhahn- oder sogar Regenschirmnasen hängen da parat. Man kann auch die des Nachbarn, die, die man gerade eingeschlagen hat, durch eine andere ersetzen. Mal sehen was mein Therapeut dazu sagt. Vielleicht erlaubt er mir, statt diesen ewig düsteren Seelenbäumen, mal ein Nasenbaum zu malen. Schaden kann es sicher nicht.
Ist aber gut zu wissen, dass entgegen der Rodung der Wälder auf dieser Erde zumindest der deutsche Baumbestand dadurch profitiert, dass auf je 20 Bekloppte vielleicht ein neuer Baum kommt. Müsste man mal durchrechnen, so schlecht kann das gar nicht sein.
AntwortenLöschenAnsonsten geistert mir gerade Alexandras »Mein Freund der Baum« durch die Windung(en). Schönen Dank auch, wenn jetzt nicht gleich was schmatziges von Phil Collins im Radio läuft, muss ich das bis zum Sonnenuntergang singen (blöd: kenne den Text nicht im Ganzen...). Bitte Phil! ;o)
Wen aus welchen Lager meinst du? Um so mehr ich darüber nachdenke, um so weniger kann ich Bekloppte und Nicht-Bekloppte auseinanderhalten. Zum Glück gibt es die goldene Irrenhausregel: Alles, was von sich behauptet, es wäre gesund, gehört weggesperrt und andersherum.
AntwortenLöschenAber unter dem Aspekt der Waldgesundung habe ich es noch gar nicht betrachtet. Recht hast du!
Aber da wir gerade beim Baum und bekloppt sind, ich habe ein paar mpbile Seelenbäume herumstehen. Zitruspflanzen. Brauchst du einen? Für unterwegs? Zum Kräfte sammeln? Wenn es beim Üzgür wieder etwas länger dauert?
Ein Zitrusbaum für unterwegs... hmmm, mal nachdenken. Nee, eher nicht. Zum Schluß bin ich noch dauerausgeglichen... lieber nicht! ;o)
LöschenJa, die Irren und Nichtirren auseinanderzuhalten, ist mindestens genauso schwer, wie den Unterschied zwischen Iren und Nordiren festzustellen. Zumindest als Außenstehender.