Untergehen ist das Eine, unter der Oberfläche bleiben das Andere. ;-)

Mittwoch, 23. November 2011

Rattenkampf – zwölf


Er sah sie sofort hinten in der Ecke sitzen. Von dort aus hatte sie den Überblick und saß gleichzeitig wie auf dem Präsentierteller. Nicht nur räumlich, auch durch ihre geschmackvolle Kleidung hob sich von ihrer Umgebung ab. An ihren Tisch würde sich kein Stadtteiltrinker verirren. Sie spielte in einer anderen Liga, das sah man ihr an und das wurde gewöhnlich von ihnen respektiert.
Nur er, als Mittler zwischen den Welten, konnte sich zu ihr setzen, ohne daß ein Raunen durch den Raum ging.
»Und? Heute schon jemanden über den Haufen gefahren?« Seinen Cheeseburger mit Pommes frites stellte er direkt vor ihr ab, als wollte er zu ihr sagen: Friß oder stirb. Den Laptop plazierte er so, daß vor ihm noch Platz für seine Cola war. Die Hälfte davon schüttete er in den Blumentopf am Fenster und füllte das Glas ungeniert mit dem frisch erworbenen Wodka vom Ukrainer wieder auf.
Er durfte sich nicht nur so benehmen, er mußte es. Seine Klientel erwartete dies von ihm.
 Sie wußte nicht so recht, was sie von seinem Auftritt halten sollte. Sie fühlte sich etwas überfahren und ihrer Führung beraubt. Das hatte er beabsichtigt.
Nachdem er die Wohnung der M. verlassen hatte, war er in seine Pension gelaufen, um sich umzuziehen. Den Laptop nahm er als Requisite mit. Darauf war nichts, was für andere interessant gewesen wäre. Nur fertige und halbfertige Lektoratsarbeiten wissenschaftlicher Natur und ein paar belanglose Mails.
Er wollte sie verunsichern und in die Ecke drängen, so daß sie anfing, Fehler zu machen. Fehler, die Rückschlüsse über das zuließen, was er von ihr wissen wollte.
Aber sie tat ihm den Gefallen nicht. Sie zeigte sich äußerlich unbeeindruckt, plauderte brav über ihr Mißgeschick vom Vortag, ließ Komplimente an ihn einfließen und fragte ihn sogar nach Nebensächlichkeiten. Kurz, sie plapperte wie ein Wasserfall und wie mit einem alten Bekannten, und er hörte gar nicht hin.
Nein, er hörte schon auf das, was sie erzählte, aber er achtete mehr darauf, wie sie etwas sagte. Er analysierte ihren wechselnden Tonfall, die Tonfarbe, wie sie ihre Stimme hob und senkte, und verglich alles mit ihrer Körpersprache. Gerade diese sagte ihm mehr, als ihr lieb sein konnte.
Auf diese Dinge zu achten, sie bewußt wahrzunehmen, lehrte ihn sein Meister, und geübt hatte er es hier auf der Straße. Diese verzieh keine Fehler, aber sie beließ es bei einer gebrochenen Nase oder einer geklauten Brieftasche.
Was er aus ihr herauszulesen vermochte, war wenig amüsant. Er hatte Recht, die Frau hatte keine Zeit und sie war allein. Sie versuchte mit aller Macht, ihn für sich einzunehmen. Er ging darauf ein. Sie war ein ganz leckerer Käfer, hochintelligent, überaus charmant, und ihre laszive Ausstrahlung beeindruckte ihn.
Er konnte Joe Black gut verstehen. Sie verstand es, einem Mann um den Finger zu wickeln. Dabei blieb sie eiskalt und skrupellos.
Er mußte sich eingestehen, daß sie ihm gefiel. Sogar sehr gefiel. Sie würde niemandem gestatten, ihr persönlich näher zu kommen. Partnerschaften, welcher Art auch immer, ging sie völlig gefühllos ein. Sie würde besser in sein Leben passen als die M. An der konnte er sich verlieren, an der, die ihm gegenüber saß, nicht.
Wenn sie, gesetzt dem Fall, sie wären ein Paar, morgen verschwunden wäre, würde er es bedauern aber mehr auch nicht. Seine Gefühle würden apnoetauchen und nur gelegentlich die Wasseroberfläche erreichen.
 Aber der Fall würde nicht eintreffen, denn die Frau war so gut wie tot. Sie hatte Joe Black erschossen, da war er sich jetzt sicher. Das konnte nur im Affekt passiert sein. Vermutlich war er ihr auf die Schliche gekommen. Daß gegen ihn etwas lief, wußte er ja, sonst hätte er ihn schließlich nicht zu seiner Frau geschickt.
War es eine Kurzschlußreaktion, saß ihr die Polizei bereits im Nacken. Nach Joes Tod war sie in den Staaten von der Bildfläche verschwunden. Was lag also näher als sie zu verdächtigen?
Ob sie ihr den Mord nachweisen konnten, war fraglich, aber auch nicht wichtig. Sie war mit seinem Tod »verbrannt«, also für ihre Auftraggeber nutzlos geworden. Mit Sicherheit saß schon jemand im Flugzeug, der dafür sorgen sollte, daß sie dauerhaft die Klappe hielt, bevor die Polizei sie erwischte. Denn wer wußte schon, was sie sonst noch auf dem Kerbholz hatte und mit welchen Pfunden sie vor Gericht und mit der Polizei zu dealen gedachte, um sich selbst zu retten.
Ihre letzte Chance war es, die Dokumente herbeizuschaffen und an ihre Auftraggeber zu übergeben. Diese, davon konnte er ausgehen, würden sie benutzen, um mit Joes Imperium Tabula Rasa zu spielen, wenn sie es nicht sowieso schon taten. Aber sie würde sie nicht bekommen. Nicht von ihm. Das war ihm jetzt endlich klar.

»Ob wir das Haus beobachten lassen sollen?« Die beiden Polizisten standen unschlüssig unten auf der Straße.
»Was haben wir in der Hand, um das rechtfertigen zu können? Nichts!« Beide zündeten sich eine Zigarette an und beim Feuergeben verbrannte sich einer von ihnen die Finger.
»Nichts haben wir in der Hand. Gar nichts. Nur dieses Bild von seiner neuen Sekretärin, die wohl auch seine Geliebte war.« Beide schauten hilflos zu M.s Wohnung.
»Aber sie ist seitdem verschwunden«, warf der eine ein.
»Na und? Sie wird ja kaum seiner Ehefrau die Aufwartung machen«, gab der andere zu bedenken. Er klopfte ihm sacht mit der flachen Hand auf die Schulter und drängte ihn zum Gehen.
»Die Frau geht uns schon nicht durch die Lappen. Die Fahndung nach ihr ist über Interpol in Gange. Auch wenn wir nicht wissen, wie sie wirklich heißt, so ein hübscher Käfer prägt sich bei jedem Polizisten, der einmal das Bild hier gesehen hat, ein. Und wenn nicht, ist das auch nicht schlimm. Genau genommen hat sie uns nur einen Gefallen getan. Ein Verbrecher weniger, an den wir nicht herangekommen wären. Komm, wir gehen Mittag essen. Heute ist Donnerstag. Da geht’s zu Mac Donalds.« Beide lachten, stiegen in ihren Dienstwagen und fuhren davon.

Die Polizisten sah er nur aus den Augenwinkeln. Sie stiegen in dem Moment aus ihrem Auto, als er mit ihr das Lokal verließ. Er konnte nicht wissen, wie nahe sie beide eben am Supergau vorbeigeschrammt waren. Nein, nur sie. Er hatte sie gerade erst kennengelernt, nachdem sie ihn gestern angefahren hatte. Damit war er aus dem Schneider.
 Aber sie säße bis zur Halskrause im Schlamassel. In ihrer Manteltasche verbarg sie ihre Kanone. Das war ein Fehler, der dem Joker nie unterlaufen wäre. Der war sauber, was nicht hieß, das er keine Waffe besaß.
Er hatte sogar mehrere davon und er kam schnell an eine heran, egal, wo er sich gerade befand. Wie er das anstellte, war sein bestgehütetes Geheimnis. Aber im Grunde bestand es nur daraus, weit vorauszudenken, genug Leute zu kennen, die keinen Verdacht schöpften, wenn er überraschend auftauchte, und seine Begabung zu nutzen, Offensichtliches unsichtbar machen zu können.
Jetzt galt es, die Frau neben ihm verschwinden zu lassen. Zumindest für die nächsten zwei Tage. Dann war sie Geschichte und nicht mehr sein Problem.




3 Kommentare:

  1. Nee, der lebt nicht mehr, habs selst gesehen, hing neulich an ner Wand. Wahrscheinlich vom Erzgebirgskommando drangenagelt! ;o)

    Falco... hmm. Da hätte mein Gehirn passend zur Geschichte auch noch »Mutter, der Mann mit dem Koks ist da« assoziiert.

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  2. Falco legt gerade falsche Spuren.

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