Untergehen ist das Eine, unter der Oberfläche bleiben das Andere. ;-)

Sonntag, 26. Mai 2013

Tantchen – es gibt Tage, da …


Scheiß Telefon.

»Mein Schunge! Habe ich dich geweckt?«

Es ist 17.00 Uhr. Hinter mir liegt ein Tag, wie er beschissener nicht sein kann. Schwamm darüber – das ganze Leben scheint aus deprimierenden Tagen zu bestehen. Mal mehr, mal weniger. Man verläßt früh geduscht das Haus, um abends angepisst wieder heimzukehren. Das ist eine Konstante im Leben, auf die man sich verlassen kann. Die unbekannte Variable in dieser Ungleichung sind Tantchens Heimsuchungen. Persönlich oder fernmündlich. Worauf man sich wiederum bei diesen verlassen kann ist, daß sie einen ereilen, wenn man sie am wenigstens gebrauchen kann – wenn man mit den Nerven sowieso schon am Ende ist – und das Tantchen noch ein letztes, brachliegendes Nervenbündel findet, was sie einen rauben kann.

»Du klingst so verpennt. Aber jetzt werde mal munter. Ich rufe gerade an!«

Wen?

»Dich! Mein Gott, um diese Uhrzeit solltest du aber fit sein. Jetzt höre mal zu! Du hast doch eine Waage. Die Personenwaage, die ich dir mal geschenkt habe.«

VEB Junkalor Dessau. Die liegt original verpackt unter meinem Schrank. Seit genau 28 Jahren.

»Stelle dich mal darauf. Die Schuhe kannst du anlassen.«

Widerstand zwecklos.

»Schau mal nach unten! Siehst du was?«

Ja, die Waage.

»Ich meine: Ob du was erkennen kannst! Dein Gewicht! Die Zahl auf der Scheibe, die sich dreht, wenn du darauf steigst und die stehen bleibt, wenn du aufhörst mit zappeln!«

Ohne Brille nicht.

»Hm, die Gustl auch nicht. Aber die sieht sie auch mit Brille nicht. Komisch.«

So expandiert, wie Gustls Körperfülle sich ergießt, wird sie nicht einmal die Waage sehen können.

»Stimmt. Wie weit geht deine Waage eigentlich? Maximallast?«

125kg.

»Das wird nicht reichen. Gut, diese Waage war für DDR-Bürger gedacht. Wir wogen ja nichts. Besonders nach dem Krieg …«

Vor dem Krieg gab es keine DDR-Bürger.

»… Da gab es auch ja auch kaum was zu essen. Nichts gab es da. Nur Lebensmittelmarken …«

Bla, bla, bla. Damals wußten sie nicht, wie sie das Fett auf die Hüften bekommen und heute jammern sie herum, weil sie welches darauf haben.

»Stelle dir doch mal spaßeshalber vor, du wärst die Gustl und mache dich ein bißchen schwerer. So um die 150kg müßtest du dann wiegen.«

Wie soll ich das machen? Spontan meine Dichte erhöhen, damit die Nachbarschaft mit auf die Waage paßt? 150kg? Wo soll ich jetzt 60kg hernehmen?

»Laß dir was einfallen! Stelle dich nicht so an! Da rufe ich dich schon mal an, weil ich einmal deine Hilfe brauche …«

Einmal? Einmal? Wer ruft ständig an und will irgendwas? Ach, egal. Da lasse ich mir eben was einfallen. Die Waage brauche ich dafür nicht.

»Und? Was siehst du? Steht da jetzt eine 25? Zeigt die jetzt 25kg an?

Nein. Warum sollte sie?

»Ich dachte, die überdreht vielleicht. Die Anzeige geht bis 125kg und wenn man 150kg darauf packt, zeigt sie wieder 25kg an. Das wäre doch möglich gewesen!«

Möglich ist alles. Nur eins nicht: Das ich das Telefon jetzt in die Ecke schmeiße. So sehr, wie ich mir das wünsche. Aber das traue ich mich nicht.

»Na gut, dann eben nicht. Mir hätte das sowieso nicht weiter geholfen, weil die Gustl die Waage eh nicht sehen kann.«

Klasse. Ich breche mir hier einen ab und ihr hilft das sowieso nicht weiter. Wie wäre es mit einer sprechenden Personenwaage? Die gibt es in der Kaufhalle nebenan für 12 Euro? Das ist auch eine Waage für Bundesbürger. Die schafft bis 180kg! Hören wird die Gustl ja noch was. Wozu braucht die eigentlich noch eine Waage? Für den Sargtischler? Macht der neuerdings Schwerlasterdmöbel?

»Die hört eben nichts mehr! Mein Schunge! Du mußt mich doch für total von gestern halten!«

Bestimmt nicht. Tantchen ist zwar streng genommen von gestern, aber im hier und heute angekommen.

»Was denkst du, was ich der Gustl vor sechs Wochen zu ihren Geburtstag geschenkt habe? Eben diese sprechende Waage! Die will plötzlich wieder schlank und fit werden! Die spinnt! Die ist fast einhundert Jahre alt! Seitdem habe ich keine ruhige Minute mehr! Ständig ruft die mich an, und will wissen, ob sie zu- oder abgenommen hat!«

Was? Woher soll Tantchen das wissen?

»Weil sie den Telefonhörer an die Waage hält! Die versteht ihre eigene Waage nicht! Mein Gott! Die ruft mich an, dann steigt sie auf die Waage und bückt sich. Das dauert ewig, ehe die unten ist! Meistens ist die Waage da schon fertig mit quasseln. Also fängt das Spiel von vorne an! Manchmal verstehe ich die Waage nicht. Dann muß die Gustl auch noch mal darauf!«

Ich schmeiße nicht das Telefon, sondern mich weg! Köstlich! Und wenn sie sich erst bückt und dann auf die Waage steigt?`

»Haha! Hast du das einmal versucht? Das geht nicht! Da fällt sie um!«

Da bleibt nur die Variante übrig, erst den Telefonhörer neben die Waage zu legen und dann hinaufzusteigen.

»Soweit sind wir jetzt auch schon. Nach sechs geschlagenen Wochen. Aber eine Lösung ist das auch nicht. Eigentlich wollte ich ihr deine Waage vermachen. Du brauchst die ja sowieso nicht.«

Stimmt. Ich brauche sie nicht und traue mich nicht, seit 28 Jahren, sie wegzuschmeißen, weil sie ein Geschenk von Tantchen ist. Ein Geschenk, was ich bekommen habe, weil ich es sowieso nicht brauche. Prima.

»Aber, wie wir herausgefunden haben, eignet sie sich ja nicht für Gustls Ansprüche.«

Ansprüche ist gut. Man ist nicht zu fett, sondern hat nur andere Ansprüche.

»Eigentlich brauche ich nur eine Waage, die nur mehr oder weniger anzeigt. Kannst du mal im Internet gucken? Den Spaß würde ich mir auch was kosten lassen. Ich dachte da so an die zwanzig Euro. Das ist mir die Gustl wert.

Mehr oder weniger anzeigen? Was soll das sein?

»Na, der Gustl würde reichen, wenn sie wüßte, ob sie zu- oder abgenommen hat. Das genaue Gewicht darf ich ihr gar nicht verraten. Sie meint, daß würde sie zu sehr mitnehmen. Ich sage immer nur: mehr als heute früh, mehr als nach dem Mittagessen oder eben weniger als gestern Abend.«

Da brauche ich nicht im Internet suchen. Der Schrotthändler um die Ecke hat so ein Teil. Man hängt ein Gegengewicht, meist 200kg oder mehr, ein und knallt die Ladefläche mit alten Schrauben, Altmetall eben, voll. Der Zeiger bewegt sich nur, wenn man nahe an dem vorgegebenen Gewicht ist. Ich glaube, plus oder minus 20kg. Das müßte reichen. Die Skala ist in Augenhöhe und mit bloßen Augen, auch mit -20 Dioptrien, gut zu erkennen. Das Gegengewicht kann man ja abdecken, so das man nicht erkennt, wie viel es wiegt, wenn das die Gustl zu sehr mit nimmt. Einfach eine alte Socke darüber ziehen.

»Ich glaube, du läßt es etwas an der Ernsthaftigkeit bei der Lösung für Probleme älterer Menschen fehlen. Ich brauche etwas handliches und nicht eine halbe Schrottpresse! Du guckst jetzt sofort im Internet nach etwas brauchbaren und rufst mich in 2h zurück. Wenn du nichts findest, klingelst du den Schrotthändler an und fragst, was er für das Teil haben will und ob er es auch anliefert. Dann muß ich eben in den sauren Apfel beißen und ihr das Ding kaufen. Noch eine Woche halte ich das Theater nicht aus. Platz dafür hat sie sicher noch, wenn sie den Schrank aus dem Schlafzimmer neben dem im Korridor stellt. Das heißt, wenn du ihn dort hinstellst. Wann hast du morgen Zeit? Aber das müßte schon am Vormittag sein. Morgen ist Donnerstag, da halten wir nachmittags unser Kaffeekränzchen ab. Da hat die Gustl keine Zeit. Apropos Kränzchen: Der Bäcker bei dir hat doch solche leckeren Erdbeerschnittchen. Bringst du bitte 5 Stück davon, es können auch ein paar mehr sein, der Gustl mit, wenn du ihren Schrank umstellst? Dann haben wir gleich was Gutes zum Kaffee trinken. Und wenn du einmal beim Bäcker bist, gegenüber ist doch …«

Es gibt Tage, da nimmt man frisch geduscht den Telefonhörer ab, um ihn ein paar Stunden später …

Freitag, 3. Mai 2013

Der Tod eines Seelenbaumes


Nun ist er von uns gegangen. Endgültig. Vielleicht ist er ja schon länger tot, ich habe es nur nicht wahrhaben wollen. Was sogar wahrscheinlich ist, denn groß verändert hat er sich im letzten Jahr nicht. (klick: Label Seelenbaum, da steht alles, was man wissen muß.) Beständig ist eben nur der Tod oder die qualifizierte Facharbeit der für solche Seelenbäume zuständigen Berufsgruppe. Sein Ableben ist der Nährboden in meiner Petrischale für aufkeimende und üppig wuchernde Feindbilder. Ich bin auch nur ein Mensch, ein Teil dieser Gesellschaft, und als solcher auf Konstanten im Leben angewiesen. Dazu gehört ein gediegenes und gepflegtes Feindbild. Nicht, daß eine Demokratie ohne trockene Bürgerkriege auskäme, daß könnte sie schon, aber dieser, in den Farben der BRD, scheint dies unmöglich zu sein. Ein gemütliches, ergebnisorientiertes miteinander schwatzen anstatt einen sinnlosen Grabenkrieg palavern täte diesem Land ganz gut. Aber das hat es vermutlich nicht einmal im Urkommunismus gegeben. Sonst hätte man ihn ja beibehalten.

Zurück zum Feindbild. Ich bin da flexibel und auch zum Nachgeben bereit. Mir wurde weder die Weisheit mit dem goldenen Löffel eingeprügelt, noch erhebe ich den Anspruch für das Alleinvertretungsrecht der Wahrheit. Welche für sich allein gesehen schon ein heikel Ding ist, auf deren Pfaden man nie weiß, ob man wandelt oder irrt. Insofern kann ich die Anklage bitterböser Zungen der Berufsgruppe der Seelenklempner, Seelenbaumpflanzern und der Seelenführer gegenüber, man könne, wenn man gedenkt sich ihnen anzuvertrauen, auch gleich von einem 10m Turm in ein mit Schaum gefülltes Schwimmbecken springen – das Ergebnis wäre gleich – weder bestätigen noch teilen. Ich selbst wurde ja noch nie in meinem Leben genötigt mich deren Hilfe auszuliefern. So, wie dieser Gesop-Seelenbaum.

Aber man kann bekanntlich nicht von einem Mißgeschick ausgehend, gleich das gesamte Werk einer Berufsgruppe in Zweifel ziehen. Der Staat tut dies ja auch nicht. Würde er sonst Gehälter und Fördermittel sprudeln lassen, wenn er annehmen müßte, daß sie im blinden Aktionismus und purer Selbstbeweihräucherung versickern? Mitnichten. Er würde nie auf die Idee kommen, des Steuerzahlers Geld zu verpulvern in dem er Projekte am Leben erhält, die sich ausschließlich mit sich selbst beschäftigen und deren Nachhaltigkeit (welch gelungenes Schlagwort!) obendrein gegen Null tendiert. Nein, er baut auf qualifiziertes Fachpersonal, welches eine fachlich fundierte, aufopferungsvolle Leistung zum Wohle der Gesellschaft vollbringt. (Man möge mir meine Einfallslosigkeit bei den entsprechenden Termini verzeihen. Ich bin nicht mit so einem umfassenden Sprachschatz gesegnet, wie diese Kräfte ihn sich zu eigen machten, die ich gerade versuche zu beschreiben. Was war gleich kognitiv?)

Zurück zum Seelenbaum. Auch wenn er sich zu Lebzeiten bei seinen Hegern nicht über Fürsorge und Beliebtheit erfreuen konnte, von gottgefälligen bunten Zetteln, in seiner sich in eine grüne Pracht entfalten wollender Krone gebammelt, abgesehen, so scheint er als toter Stumpf das Herz manch Wanderers zu rühren.



Politisch korrekt, der Weltanschauung der »Kampftag-der-Arbeiterklasse-Wandergruppe« angepaßt wurde er in einen Lebensbaum umgetauft. Ist das nun Zynismus pur oder verzweifelter Optimismus? Beides würde der SPD gut zu Gesicht stehen. Aber da ich weiß, daß sie schon längst keine Arbeiterpartei mehr ist und Rosa Luxemburg bei denen in die Kategorie lustige Folklore fällt, kann es sich bei den Wanderfreunden wohl kaum um Genossen handeln. Außerdem haben die brisantere Themen, z.B. Steinbrücks zu mickriges Kanzlergehalt (Warum geht der nicht gleich zu Gazprom? Nehmen die nur gescheiterte Altkanzler?), den getrennten Sportunterricht, Weinpreise, europäische Clowns usw. zu debattieren anstatt bodenständige Luft, zu Fuß im Wald, zu atmen.



Wer auch immer den toten Baum mit Zetteln bestückte und lustige Konterfeis an der Tafel hinterließ – soll das Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht sein? – sie haben eher meine Sympathie, als jene, die vorher ihren bunten Müll an mein Seelenbäumchen bastelten.

Womit wir wieder beim Thema wären. Langsam wird es peinlich für die, die sich am Täfelchen huldigen. Oder ist es üble Berechnung? Intrigante Seelenbaumsägerei am Thron eigener Vorgesetzter? Wer weiß das schon?


Vielleicht sollten sie die Tafel versetzen. Hier stehen insgesamt sechs Bäumchen (drei weiter stadteinwärts), die man zu einem Seelenbaum küren könnte. Es kann ja nicht so schwer sein, eine Tafel anzuschlagen, ohne den Baum gleich hinzurichten. Und wenn doch: Man hat ja sechs Versuche. Es kann ja nicht immer alles schiefgehen.

Nachtrag: Keine 5 Stunden später bot sich mir folgendes Bild, was ich mal unkommentiert lasse.







Aber mal ganz ehrlich und unter uns: Es ist doch völlig egal, ob der Baum tot oder lebendig ist. Solange es Menschen gibt, die ihm die Macht über sich anvertrauen, an ihn glauben, macht der sein Ding und alles wird gut.

Mittwoch, 1. Mai 2013

mobiler Geierservice


Der Titel führt etwas in die Irre – Geier waren weder vor Ort, noch sind sie Mitglied im mobilen Ensemble des geladenen Falkners – aber wir haben im Moment Kapitalismus und somit kann ich mit der Wahrheit etwas flexibler umgehen, um das berechtigte Interesse dieser, von mir im Folgenden angepriesenen, Kleinkunsttruppe nach Gewinnmaximierung voranzutreiben. Klappern gehört zum Handwerk. Das weiß jeder. Aber jeder weiß auch, daß es in dieser fortgeschrittenen Gesellschaftsordnung im Endstadium einem fast unmöglich gemacht wird, über etwas zu berichten ohne Post von einem, sagen wir: geschäftstüchtigen Anwalt zu bekommen. Dieser ist verpflichtet, eine schon unüberschaubare Ansammlung von verschiedenen Rechten im Interesse seines Geldbeutels durchzusetzen.

Was es da nicht alles gibt: Persönlichkeitsrecht (was als solches gar nicht ausdrücklich geregelt ist), das Bildnisrecht und das Recht am eigenen gesprochenen und geschriebenen Wort, Urheberrecht, Schutz der Menschenwürde und diverse andere Schutzrechte. Das sieht keine Sau mehr durch. Ich weiß nicht mal, ob ich ein Schwein als Schwein oder Sau bezeichnen darf oder ob das Tierschutzgesetz dies verbietet. Obwohl de jure Tiere keine Persönlichkeit besitzen, ich sie demnach nicht beleidigen kann, und als Sache gelten. Tierquälerei wäre demnach eine Sachbeschädigung. Eine grundlose, vorsätzliche Sachbeschädigung mit Todesfolge ist auch verboten – fragen sie ihren Tierarzt – auch wenn die Sache zu meinem Eigentum gehört. Was wiederum irgendein Schutzrecht genießt.

Sei es, wie es sei. Ich habe beschlossen, mich im folgenden Artikel etwas ängstlich zu geben und alles, was irgendwie im Verdacht steht ein Recht zu beeinträchtigen, unkenntlich zu machen. Entweder durch verpixelte Photos oder durch ein »Piep« »Ton« im Text. Letzteres paßt auch gut zum Thema.

Eines wunderschönen Morgens erreichte mich also die Kunde, daß in der »Piep« der Falkner vom »Piep« eine Vogelvorführung abhält. So etwas gilt als pädagogisch wertvoll und als Abwechslung im trüben »Piep« Alltag. Außerdem beugt es Fehlbildung in Heimatkunde/Sachunterricht von Stadtlehrern vor, fördert das Allgemeinwissen und falls die Vorführung bei meinem Obhutling auf Desinteresse stoßen sollte, dessen eigentlich verantwortliche »Piep« der »Piep« frönt und demzufolge einen Tag geschlossen blieb, war man zumindest ein paar Stunden an der frischen Luft.

Die Flugshow sollte Punkt »Piep« in »Piep« stattfinden. Die Kinder waren pünktlich, der Falkner »Piep«. »Piep, piepiep piep piepiepiep! Piep pieppiep.«

Der flexibel gehaltene Termin ermöglichte mir und »Piep«, meinem temporären Obhutling, den Besuch des angegliederten »Piep« Spielplatzes. Was sich wenig spektakulär gestaltete. »Piep« geprüfte und abgenommene Mehrzweckspielgroßgeräte und –bauten. So etwas hatten wir früher auf dem Dorf auch. Nur hieß der Spielplatz Wald, die Großgeräte wurden von uns selbst gebaut und das Material dafür in der LPG geklaut. Einen »Piep« Prüfer hätte vermutlich beim Anblick unserer Werkeleien der Herzstillstand ereilt, deshalb bekam unser Reich auch niemand Ü 10 zu sehen. Die Lebensgefahr gehörte damals nicht zu den Dingen die uns Sorgen bereitete.

Zum korrigierten Termin traf der Falkner mit seinem Ensemble frohgemut, bremsenquietschend und vorbildlich pünktlich ein. Der Mann machte nicht viel Federlesen und erklärte den hauseigenen Spielplatz gleich zur Manege. Was »piep« zu seinen »piep« Ideen am Morgen gehörte, wie er später feststellen mußte.

Während er gekonnt die Herzen der Kleinen im Handstreich nahm, warf ich einen Blick in seine Künstlergarderobe.

(Anmerkung: Das Kampfgeflügel habe ich von meiner Regelung ausgenommen bzw. ich habe es gefragt, ob ich sie photographieren und bildnerisch darstellen, also veröffentlichen darf. Dem Wanderfalken war es egal, weil er sowieso vermummt und damit nicht wiederzuerkennen ist, und der Rest der Belegschaft meinte nur, daß ich mich zum Geier scheren soll, was mich zur Titelgebung inspirierte.)


Turmfalke, Wanderfalke, ein sibirischer Uhu und ein normaler, alle sind nicht angeschnallt oder durch Spanngurte gesichert. Die sitzen nur auf ihren Ständer. Toll. Der Weißkopfseeadler hockt vor dem Auto auf seiner Stange und für den Steinadler ist schon Showtime.



Der deutsche Todesvogel, der Waldkauz, fährt natürlich auf dem Beifahrersitz mit. War vorhersehbar. Er ist natürlich auch nicht angeschnallt.
Mir ist schon klar, daß ich über die Transportbedingungen des Federviehs eigentlich nichts hätte schreiben dürfen. Immerhin greife ich damit massiv in die Persönlichkeitsrechte des Fahrzeugführers ein. Er möge es mir verzeihen. Irgendwas Konkretes möchte ich schon verfassen, sonst tendiert der Informationsgehalt meines Berichtes gegen Null und ich verspreche auch, bei einer eventuellen Befragung durch die Strafverfolgungsbehörden dicht zu halten. Schließlich gibt es auch ein Informantenschutzrecht. Zumindest hoffe ich das.


Der Falkner, eine sympathische Mischung aus »Piep« und »Piep« macht seine Sache gut und professionell. Er stellt die Viecher kurz vor, erläutert ihre Lebens- und Freßgewohnheiten in freier Wildbahn und bezieht die Kinder auf unterhaltsame Art dabei mit ein. Die sind begeistert, antworten brav im Chor und lauschen ansonsten seinen Ausführungen.


Sogar kuscheln ist erlaubt. Nicht mit dem Falkner – obwohl einige anwesende »piep« dies »piep piep pieppieepiep piep piep«, sondern mit dem Vorgeführten. Schon mal einen sibirischen Uhu gestreichelt? Der faßt sich so an, wie sein ausgestopfter Pedant aus meinem Heimatkundeunterricht. Wenn er vorher in der Sonne gestanden hat. Genau wie sein noch lebender Pedant, hätte er sicher noch gern einen Freiflug gehabt, nicht nur den von uns initiierten in der Pause, aber es war beiden nicht mehr vergönnt. Ein Blick des Falkners in den von Baumkronen umrahmten Himmel, sein: »Piep piep! Piep.« vereitelte die Starterlaubnis. Was den Kindern gar nicht auffiel. Die kennen wahrscheinlich nur angeleinte Tiere.

Langsam vergeht mir der Pfad der freiheitlich-demokratischen, von Schutzrechten begleiteten Berichterstattung. Beim Schreiben bin ich jetzt das zweite Mal eingeschlafen. Deswegen werde ich jetzt mal kurz die Kehrseite des Spektakels näher beleuchten:


Die dunkle Seite des Falkners ist seine TASCHE DES TODES. Ganz beiläufig, völlig unauffällig, griff der Mann ab und zu da rein, riß mit einer Hand etwas entzwei und schob es den hungrigen Vögeln in den Schnabel. So wie ein Zauberer geschickt Karten in der Hand verschwinden und wieder auftauchen lassen kann, so hantierte dieser Meister zwischen seiner Tasche und dem Vogelkropf, falls Greifvögel so etwas besitzen. Dabei erzählt er scheinheilig, daß dieser Vogel heute schon acht Küken verdrückt hätte. Küken? Ja, was sonst? Niemand, außer bekloppte Veganer, erwarten, daß ein Raubvogel an einer Möhre mümmelt. Aber: Der verfüttert hier Küken? Vor den Augen der Kinder? Als würde er es beweisen wollen, holte er just so ein niedliches aber totes Tier aus der Tasche und ließ es den Vogel schlucken.

Ich erwartete einen Sturm der Entrüstung und tausende Gedanken durchblitzten meinen Kopf: Wo hat der die Küken her? Sind die ermordet worden oder schon tot aus dem Ei geschlüpft? Was richtet das Massaker jetzt in Kinderhirnen an? Müssen die jetzt alle zum Psycho? Elektroschocks? Traumatherapie? Wie viele Küken murkst der Typ am Tag so ab? Was sagt der Tierschutz dazu? Gibt es nicht ein Kükenschutzrecht?

Aber der einzige der reif für Elektroschocks und dem Psycho ist, bin wahrscheinlich ich. Für die lieben kleinen Wänster war es die natürlichste Sache der Welt, daß die Geier Küken fressen und das wahrscheinlich auch, wenn sie noch lebendig wären und sich der Hakenschnabel durch ihre Schädel bohrt. Die Kleinen Racker hatten des Meisters Spiel schon längst durchschaut. Kinder sind immer auf »Aufnahme« geschaltet und verharren nicht wie ihre Eltern im »Stand by« Modus. Für sie war der Mittagsschlaf nicht gelaufen, wie ich annahm, sondern für mich. Ich träume nun nachts von toten Küken, wie sie mit einer Hand gevierteilt werden und im Maul verschiedener Personen landen. Die Welt könnte so schön sein, wenn diese Küken nicht wären.


So hatte eben jeder etwas von diesem Vormittag. Mein »Piep« seinen Spaß, die Kinder ihre Freude, ihre »piep« ein paar »piep« Phantasien, die Vögel eine Ausfahrt, der Falkner sein Honorar und ich meine Todesküken. Wenn ich nicht einschlafen kann, zähle ich tote, über mein Bett hopsende Küken. Das klappt wunderbar. Allerdings weiß ich nie, wann das Zählen aufhört und der Traum anfängt oder wann er endet.

Nachtrag: Wir leben schon in einer seltsamen Zeit. Alle wollen beschützt, anonym und unverbindlich sein und wir nennen das Freiheit. Dabei meinen wir frei von Verantwortung sein. Ich werde das Gefühl nicht los, daß wir, um so mehr wir diese Freiheit einfordern, um so mehr wir uns hinter Rechten verstecken, um so schneller werden wir diese wieder verlieren. Aber das soll hier nicht zum Gegenstand einer Betrachtung werden. Dafür ist schlicht kein Platz und dieser Blog ist auch nicht dafür gedacht.