Untergehen ist das Eine, unter der Oberfläche bleiben das Andere. ;-)

Donnerstag, 29. September 2011

Gevatter Hein ist ein launiger Gesell


»Was ist das für ein Geschrei, hoch droben im Geäst?«
»Das sind die dunklen Raben, Mylord. Die Vögel des Todes.«
»Wen rufen sie?«
»Sie rufen nicht – sie kotzen.«


»Bist du schon tot?«

»Nein. Und du?«

»Auch nicht, Quatschkopf! Wie lange dauert das denn noch?«

»Woher soll ich das wissen? Ich bringe mich gerade das erste Mal um! Immer kann dir nicht alles schnell genug gehen und dann verschusselst du alles. Wie immer, all die Jahre lang.«

»Ich habe gar nichts verschusselt! Aber man muß doch langsam mal was merken.«

»Vor nicht mal zehn Minuten haben wir uns hingelegt und die ganze Schachtel Schlaftabletten genommen. Nein, nicht einmal zehn! Du mußtest ja unbedingt noch einmal pullern gehen! Also vor fünf Minuten. So schnell wirkt das Zeug nicht!«

»Woher willst du das wissen? Ich denke, du bringst dich das erstemal um? Gut, dann dauert es eben noch. Aber das man so rein gar nichts merkt?«

»Was willst du denn merken? Das ein paar Engel angeflattert kommen? Oder das über dir ein gleißendes Licht erscheint?«

»Ach, ein paar Engel wären schön – hast du den Elektriker abbestellt? Wegen dem Hauslicht? Der wollte doch morgen früh kommen und mal nachschauen? Der kann sich doch jetzt die Mühe sparen.«

»Ja klar, nach dir mag die Sintflut kommen. Wie damals, vor 50 Jahren nach unserer Hochzeit. Nichts hast du mir gelassen! Mein schönes Dorf. Der Bagger ist gekommen, weil ich nicht mehr da war. Aber ich mußte ja unbedingt hierher ziehen. In das Anwesen! In die Immobilie! Die schöne Stadtvilla! Das ich nicht lache! Krummgebuckelt habe ich mich all die Jahre, um diese Ruine am Leben zu erhalten. Deine Eltern wußten schon, warum sie gleich die Augen zu gemacht haben, kaum das ich hier war. Alles instand gehalten habe ich! Und dabei bleibt es auch.«

»Laß meine Eltern aus dem Spiel! Die sind doch beide bei einem Unfall ums Leben gekommen.«

»Eben! Deine Mutter ist umgekommen, weil das Hauslicht nicht ging und dein Vater, weil er es selber reparieren wollte! Dieser Dussel, mit einer Vorkriegs-Kneifzange ist er da ran. An den Schaltschrank! Einen sauberen Lichtbogen hat dein alter Herr da gezogen. Der hatte sein gleißendes Licht beim Ableben! Die halbe Bude wäre beinahe abgebrannt.«

»Die halbe Bude! So ein Quatsch. Dort, wo er gestanden hat, war nur der Teppich ein wenig verschmort. Das habe ich mit dem Patent-Fleckentferner von Pinkerton fast weg bekommen. Seit dem liegt der rote Läufer darüber, den du schon seit Monaten mal ausklopfen wolltest. Die halbe Bude wäre beinahe abgebrannt! Das sieht dir ähnlich. Die große Klappe hast du genau, wie vor 50 Jahren. Ja, zu unserer Hochzeit! Was hast du mir damals alles versprochen. Wenn ich daran denke ...!«

»Egal. Das Hauslicht wird repariert! Von einem Profi. Ich lasse mir doch nicht nachsagen, daß ich mich um nichts gekümmert hätte. Den habe ich gestern noch mal angerufen und Bescheid gesagt.«

»Worüber denn? Das er von zwei Leichen begrüßt wird? Falls das Projekt denn jemals klappen sollte.«

»Nein, dann wäre er in Vorkasse gegangen. Ich habe ihm nur erzählt, wo der Schlüssel für die Haustür liegt, falls du es verschlafen solltest.«

»Ich? Verschlafen? Quatsch. Das habe ich noch nie und der Wecker ist gestellt.«

»Wozu?«

»Was wozu? Damit der klingelt? Und ich nicht verschlafe? Ach so – morgen wach ich ja nicht mehr auf.«

»Nein!«

»Ich glaube erst daran, wenn ich es sehe. Du und deine Projekte. Wann ist das jemals gut gegangen?«

»Das wirst du schon sehen! Hoffentlich klingelt der Wecker auch!«

»Wozu?«

»Damit du es ... Wie habe ich es nur 50 Jahre mit dir ausgehalten?«

»Was fragst du mich? Frag doch deinen Vater. Ihr kommt doch alle aus so einer Helden-Dynastie. Was ist der mir mit eurer Familiengeschichte auf den Nerv gefallen! Seit 1745 ...«

»Seit 1745 ist keiner meiner Urahnen in seinem Bett gestorben! Alle sind sie im Feld der Ehre geblieben oder sonst einen unnatürlichen Tod gestorben. Wie mein Namenspatron, der Begründer unserer Familiengeschichte. August der Wilderer hat der geheißen. Das war ein unerschrockener Rebell, wie alle meine Ahnen es waren!«

»Ach, der August! Nach dem alle Erstgeborenen, ab 1828 in eurer Sippe benannt wurden, obwohl der Dietrich hieß, wie du es selber vor ein paar Jahren herausgefunden hast. Weißt du noch, wie du großartig deine Familienchronik schreiben wolltest und dabei auf Friedhöfen und im Internet rumgekrochen bist? Was für eine Pleite!«

»Ja, aber …«

»Was für eine Pleite! Ich hätte davon ja gar nichts mitbekommen, wenn ich nicht ab und zu deinen Schreibtisch aufgeräumt hätte. Dietrich hättet ihr alle heißen können! Wenn der Pfarrer sich nicht geirrt hätte, und der Zahlendreher nicht gewesen wäre. Dein ach so heldenhafter Urahn stand ja nur im Geburtenregister aber nicht im Friedhofsbuch. Logisch, dein Vorfahr war ja angeblich heimlich nach Amerika ausgewandert und hat dort sein Glück gemacht, nachdem er das halbe Dorf geschwängert haben soll. Dem konnte man ja alles in die Schuhe schieben, nachdem er verschwunden war. Der Gipfel ist, daß keiner weiß, ob du wirklich von dem abstammst oder dein Ur-Ur-Dingsda ein Balg vom Dorfpfarrer ist. Umtriebig wären ja beide gewesen und ...«

»Also der August, der Dietrich war schon mein Ahn. Umtriebig war ich ja …«

»Hör mir auf mit den alten Geschichten! Von der Leiter bist du gefallen, als du bei der Ursel ... Ich habe dich wahrscheinlich nur aus Mitleid geheiratet. Keine hat dich rangelassen, egal, wie oft du es versuchst hast. Obwohl, diese Hartnäckigkeit hat mich dann doch beeindruckt. Egal. Ich glaub dir ja, daß du wirklich vom August abstammst. Der war genau so ein Dussel, wie du einer bist. Angeblich waren sie ihm wegen seiner Wilderei auf den Fersen, deswegen hätte er ja untertauchen müssen. Die Wahrheit ist, daß er in sein eigenes Tellereisen gelatscht ist und das in einer Gegend, wo es wegen der großen Treibjagden des Markgrafen schon seit Jahrzehnten kein Wild mehr gab. Deswegen ist seine Wilderei auch niemanden aufgefallen und der Förster hat ihn erst 20 Jahre nach seinem Tod dort gefunden. Verhungert ist er!«

»Die Rechnung morgen bezahlt schön deine Tochter. Die ist doch so scharf auf das Haus hier.«

»Lenk nicht ab, wenn es konkret wird! Deine Ahnen sind allesamt einen unrühmlichen Tod gestorben! Der eine ist von der Scheune gefallen, der andere am Kommißbrot erstickt, dem nächsten ist beim Schnapsbrennen die Bude um die Ohren geflogen und ein ganz anderer ist nachträglich an der Pest verstorben. So sieht sie aus, deine Ahnengalerie!«

»Dein Sohn wird sich ja kaum um das Haus kümmern, geschweige denn, den Elektriker bezahlen.«

»Das sind unsere Kinder. Du hast ja nie etwas alleine fertig bekommen. Immer hast du mich dafür gebraucht. Mein Gott, all die Jahre ging das so. Der große Baulöwe und Macher fing immer etwas an – Projekt hast du es immer genannt – natürlich ohne mich zu fragen und wenn es dann den Bach runterging, was alle deine Projekte taten, mußte ich helfend eingreifen. Wie beim Hühnerstall oder dem Gartenteich – du erinnerst dich? Oder der Laube und dem Bungalow? Ganz zu schweigen von der Treppe oder deiner Schnapsidee von der automatischen Hofeinfahrt? Gut, einiges habe ich auch verschusselt, wie das Kürbisbeet, aber das ist nichts, im Vergleich zu deinen …«

»Weil der schwul ist.«

»Wer? Der Elektriker? Das wäre mir neu. Der hat doch drei Kinder und erst neulich habe ich gesehen, wie der um die Christel von der Post herumscharwenzelte. Der soll …«

»Dein Sohn!«

»Mein Sohn? Wieso soll der plötzlich schwul sein? Der ist erst Vierzig! In dem Alter weiß man heutzutage noch nicht, was man will! Deswegen muß der nicht gleich schwul sein und seine Rechnungen nicht bezahlen. Außerdem erben beide Kinder zu gleichen Teilen, da kann sich deine Tochter auch an der Rechnung beteiligen.«

»Die hat auf dein Anraten hin Sozialpädagogik studiert! Die will unbedingt mein Haus ergattern, aber sie wird keinen Deut dafür bezahlen.«

»Ich dachte, bevor aus der gar nichts mehr wird … Gut, dann muß eben dein Sohn ran. Wieso soll der plötzlich schwul sein? Ich verstehe das nicht!«

»Ich war vorhin oben, in seinem Zimmer, um Bescheid zu sagen.«

»Worüber? Das seine Alten gedenken Abzuleben? Sein Essen für morgen steht übrigens im Kühlschrank.«

»Nein, dann wäre er wegen seinem Taschengeld auch in Vorkasse gegangen. Der soll mal schön erben und damit klar kommen. Das er wenigstens etwas in seinem Leben zustande bringt. Ich habe ihm nur gesagt, daß sein Frühstücksei für morgen schon neben seinem Teller liegt und er es nur fünf Minuten kochen muß, falls du es morgen verschlafen solltest.«

»Blödsinn, ich habe mir doch den Wecker gestellt.«

»Wozu?«

»Laß mich doch in Ruhe mit deinem Scheiß! Mein Gott! Wenn das Ei schon draußen liegt, also schon Zimmertemperatur hat, braucht es nur noch vier Minuten, um gar zu werden. Fünf ist zu lang! Das wird ihm zu hart sein! Na ja, er wird es überleben.«

»Das denk ich auch. Und wenn nicht, ist es nicht mehr unser Problem. Dann ist auch die Familienschande gleich getilgt und deine Tochter kann hier problemlos einziehen, um das Haus verkommen zu lassen.«

»Was für eine Familien...? Weil dein Nachwuchs andersherum veranlagt sein soll? Wie kommst du nun überhaupt darauf?«

»Na, als ich vorhin zu ihm hoch gestiegen bin – heute ist schon Mittwoch und seine Treppe ist schon wieder nicht gekehrt!«

»Ach so. Na dann ist er eben vom anderen Ufer! Na und? Deine Urahnen wären auch allesamt schwul gewesen, wenn es damals die Homosexualität schon gegeben hätte! Das waren auch allesamt Versager. Seit 1745!«

»Das waren sie nicht! Die waren nur ihrer Zeit weit voraus und sie wurden nicht verstanden. Wie alle Genies der Geschichte! Keiner von ihnen ist einen natürlichen Tod gestorben, wie …«

»So, wie du jetzt, du Genie. Was macht dein Projekt? Merkst du schon was? Ich merk nichts. Ich werde nicht mal müde. Das will was heißen, wenn ich neben dir liege! Ob ich eine Milch trinke? Mit Honig? Ob sich das mit den Tabletten verträgt?«

»Uuuurgghhhhh.«

»Was sagst du? Ich verstehe dich nicht. Aber das habe ich eh all die Jahre nicht getan. 50 Jahre! Wenn man sich das mal so überlegt – wie schnell die Zeit fort ist und was man so alles hätte erledigen können, wenn man nicht verheiratet gewesen wäre.«

»Brrrrrrhhhhhguuuuuu.«

»Was? Kommt bei dir schon einer gucken? So einer, mit zwei Hörnern und einen Pferdehuf aus Stahl? Wird’s dunkel? Oder ob ich mir einen Kaffee mache? Aber da müßte ich in die Küche und das Hauslicht geht ja nicht. Appetit hätte ich schon!«

»Wuuuuuurgghscghhhhhkrkrkrk.«

»Im Schlaf mit dem Zähneknirschen kann der immer noch. Erst mit den Zweiten, dann mit den Dritten. Nächtelang habe ich deswegen wach gelegen. Aber das ist ja nun vorbei. Bloß, ich merke immer noch nichts. Ob ich mir einen kleinen Schnaps genehmige? Damit mir ein bißchen schwummrig wird? Aber Tabletten und Schnaps? Ob das so gut ist, weiß ich nicht. Aber das muß ja auf dem Beipackzettel stehen, ob sich das verträgt.«

»Pffffhhhhhhhhh.«

»Komisch. Die Tabletten liegen noch hier. Ob ich die nicht genommen habe? Klar, ich war doch noch mal pullern. Sicherheitshalber. Ich komme ja auch nicht aus dem Haus, ohne vorher auf die Toilette zu gehen. Da habe ich die wohl vergessen.«

»Arrrghhhhh.«

»Verschusselt. Mist. Aber, wenn ich mir es so recht überlege – da kann ich jetzt auch einen Schnaps trinken. Damit mir wenigstens ein wenig drehende wird. Da nehme ich den guten Wodka von seinem Siebzigsten aus der Anrichte. Da muß ich auch nicht noch mal durch das Haus in die Küche.«

»Uuuuurrrghhhhh.«

»Für besondere Anlässe wollte der sich den aufheben. Den haben wir ja jetzt. Lecker! Ob ich mir noch einen ...? Ach, bevor der schlecht wird!«

»***«

»Warum wollten wir uns eigentlich umbringen? Komisch, darüber haben wir gar nicht geredet. Aber wann haben wir das schon mal? Miteinander geredet? Das muß vor der Hochzeit gewesen sein. Wenn man sich das mal überlegt ...«

»†††«

»Und was mach ich nun? Zum Ableben habe ich eigentlich keine Lust. Der immer mit seinen Ideen! Seinen Projekten! Ach, da soll er mal schön selber sehen, wie er damit klar kommt. Ich mach seinen Mist einfach nicht mehr mit! Darauf kann ich mir eigentlich noch einen kleinen genehmigen. Einen kleinen. Es soll ja nicht heißen, das ich gefeiert hätte!«

»000«

»Morgen frage ich mal den Elektriker, ob wir den Erblasser zusammen in den Hausflur kriegen. Vor den Schaltschrank für das Hauslicht. Ich schmeiß den Läufer weg und drück ihm die Zange in die Hand. Dann wird es heißen, er hätte, wie mein Vater, beim Reparieren einen Schlag bekommen. Die Brandspuren im Teppich sind ja noch da. Die habe ich damals nicht ganz weg bekommen. Genau so machen wir das. Das ist schon in seinem Sinne. Da ist er wenigstens nicht im Bett an einer Überdosis Schlaftabletten gestorben und somit gebührend in seine Familienchronik eingegangen. Dann ist auch gleich Mittag und nach dem Kaffee trinken gehe ich mal mit dem Sohn zum Arzt. Soll der mal gucken. Schwul! Ich glaub es nicht.«

»000!!!«

»Und? Bist du nun tot?«

Dienstag, 20. September 2011

Weinscheiße


Jetzt stehen die Winzer wieder auf ihren Weinbergen, wie die alten Kapitäne es auf ihren Schiffen taten, schauen durch die Refraktometer auf den Öchslegrad ihres Traubensaftes, wie die Nautiker früher durch den Sextanten die Sonne suchten und sie fragen sich besorgt, wie die Fahrensleut auf Hoher See, wohin die Reise geht.

Bei Seeleuten damals, auf ihren Seelenverkäufern, war die Antwort klar. Es gab nur zwei Möglichkeiten. Entweder sie sanken vor Gibraltar mit der Pest an Bord oder sie erreichten mit Skorbut und ohne Zähne ihren Zielhafen, um beim Tingeltangel an Land ihre Heuer mit billigem Rum zu versaufen und sich darob die Syphilis einzuhandeln. Glückte die Heimreise, an Gibraltar vorbei, strandeten sie in einer Hafenkneipe und das Spiel begann von vorn.

Bei den anbauenden Weinfreunden, ob im Nebenerwerb oder hauptleidend, ist das Spiel, auch wenn es sich jährlich wiederholt, etwas komplizierter. Was dem Weinstock und den Reben so alles passieren kann! Wetter zum Beispiel. Zu viel oder zu wenig Regen. Wind im Allgemeinen und starker Wind im Besonderen. Wind von der falschen Seite, vor allem bei Frost. Wenn dieser im Frühling falsch den Weinberg nach oben ventiliert, erstarrt der Winzer zu Eis. Dann drohen die jungen Triebe zu erfrieren. Eis ist auch ein heikles Thema. Nicht im Spätherbst beim Eisweinpoker, da zockt der Winzer nur, aber im Frühling bei der Schneeschmelze. Da sickert das Wasser heimtückisch in den Weinberg, um auf den Frost zu warten. Der läßt sich nicht lumpen und kriecht ebenfalls in den Berg. Was passiert als nächstes? Richtig! Der Winzer steht mit Schnappatmung vor dem Thermometer oder er hyperventiliert beim Wetterbericht. Warum? Weil seine Weinbergsmauern unter dieser Konstellation ein gewisses Eigenleben entwickeln.


Man muß sich das so vorstellen: Pulverdampf, Schlachtenlärm, Soldaten im Rotrock laden ihre Kanonen nach. Die Lunte zischt, der Feuerbefehl wird geschrieen, der Donner läßt die Trommelfelle platzen, die Kugeln ziehen ihre Bahn durch Rauch und Feuer, sie finden ihr Ziel, die Stadtmauer birst und deren Steine werden in den Himmel geschleudert. Nur, daß weder Kanonen, Feuer und Rauch zu sehen sind und das anstatt der mächtigen Stadtbewehrung die mickrigen Weinbergsmauern in sich zusammenfallen. Wasser, welches gefriert, dehnt sich aus und die aus losen Steinen bestehenden Mauern haben dieser Urgewalt nichts entgegenzusetzen, so daß sie vom Erdreich, besser vom Weinbergreich, verdrängt bersten müssen. Aber genau diese Bruchsteinmauern braucht der Weinstock zum wohlfeilen atmen und gedeihen, so daß dem Winzer nichts anderes übrigbleibt, als diese wieder zu errichten. Dabei träumt er vom süßen Seemannstod am Kap der guten Hoffnung.

Damit nicht genug an Ungemach, was den Weinbauer, so über das Jahr verteilt, erwartet. Ich kann unmöglich alle Seuchen, Flüche, Bannstrahle und Wetterwidrigkeiten aufzählen, denen der Winzer trotzen muß, ohne mich im Nichts zu verlieren. Vielleicht erwähne ich doch noch nur die wichtigste Plage: den Weinkenner.

Denn wie es der Teufel so will: Irgendwie hängen im Herbst immer ein paar Trauben am Weinstock, die gekeltert werden wollen. Seit Bischof Benno geht das so im Meißner Land, und selbst, als Gott die Reblaus sandt, um diesem Treiben Einhalt zu gebieten, überstand hier und da ein einsamer Weinstock diese Attacke, genau so, wie die Weinkenner von der Pest nicht ausgerottet wurden. Eine Seuche hackt der anderen ja kein Auge aus.


Wobei anzumerken ist, daß im sächsischen Lande der Weinspezialist dem Winzer immer wohlgesonnen ist. Da kann der jammern und klagen und vergären, was er so im Weinberg findet – es wird immer ein Spitzenwein gepriesen. Ob das Unterbewußtsein des Weinprüfers durch den Heimatkundeunterricht so programmiert wurde oder ob ein über 800 Jahre alter Gendefekt die Wahrnehmung des Kenners zu trüben scheint, weiß ich nicht. Jedenfalls fällt das Urteil über den sächsische Wein immer so gut aus, daß ihn selbst der Winzer nicht mehr wiedererkennt.
Der will ihn ja nur anbauen, dann gut verkaufen und zur Not selber trinken, aber um den Weingourmet kommt er nicht herum. Dieser muß den Rebensaft für den Handel benoten, charakterisieren und er interpretiert dabei hinein, was die deutsche Sprache hergibt. Vollmundig, leicht bis mittelschwerer Körper, breite gefällige Art, leicht und spritzig, gehaltvoll, feinrassig – das sind alles Begriffe, die auch gut auf eine zur Auswahl stehenden Frau passen könnten und so angewandt, kann ich damit auch etwas anfangen. Aber beim Wein? Die beschriebenen Aromen lesen sich, wie ein Einkaufszettel für den Blumen-, Obst- und Gemüseladen eines experimentellen Kochstudios. Es ist außerordentlich bemerkenswert, was ein Weinkennergaumen da alles heraus schmecken und zu unterscheiden vermag. Da wird der Winzer blaß und er schaut zweifelnd auf seinen Weinberg, so wie die alten Kapitäne in verlassenes Fahrwasser.

Wenn ich die Charakteristika des Weines auf dem Flaschenetikett studiert habe, wundere ich mich jedesmal, daß der Inhalt wider Erwarten trotzdem schmeckt. Lustig sind auch immer die Hinweise, zu welcher Gelegenheit der Wein empfohlen wird. Immer lese ich da etwas von Käse, Wild, Geflügel oder Fisch, also ausschließlich über verschiedene Gerichte, aber nie verliert man ein Wort darüber, wie sehr so ein Wein einen gelungenen Ehekrach oder einen gepflegten Beischlaf krönen kann.

Selbsternannte Kenner haben alle eines gemeinsam: Sie zelebrieren ihr Ego auf Kosten anderer Arbeit. Und sie profitieren letztendlich von fremder Müh und von denen, die noch weniger Ahnung von der jeweiligen Materie haben, als sie selbst, und die den Spezialisten Glauben schenken müssen, weil sie sich auf ihren eigenen Geschmack und Verstand nicht verlassen können.

Der Winzer muß dem Treiben seiner Gönner ohnmächtig zusehen, will er doch seinen Wein verkaufen. Er macht alles mit, was sein Überleben sichert: 12 Weinproben am Tag, mit Gedudel und Gefiedel eines angekarrten Barden und dem falschen Lobgesang eines Vorführkünstlers, bei dem man nicht sicher weiß, wen oder was er wirklich vor- oder hinters Licht führt. 10 Marathonwanderungen durch das Anbaugebiet, mit Picknick, Weinprobe und literarischen Ergüssen aller Art, wobei der Gast alles zertrampelt, schändet und verschmutzt, was er im lauschigen Idyll eines friedlich gedeihenden Weinberges vorfindet. Die Hatz auf die nächste unsägliche Weinkönigin durch Wald und Flur, durch Schweineställe, Schreib- und Sponsorenstuben über Schulhöfe, Krankenhäuser und Werbeagenturen, bis man so ein armes Luder, was sich nicht zu wehren weiß, erlegt und zur abgekasperten Wahl aufgebahrt hat.

Ihr Requiem bildet die deutsche Weingeschichte, für die sie gar nichts kann, Anekdoten, barocke Saufgeschichten, welche sie auf Befehl herunterleiert und denen sie ein Lächeln schenkt, was man als frivol bezeichnet wünscht, was aber so herb, mit Verlaub: so sauer ist, wie der Wein, den sie lobpreisen muß. Sauer macht bekanntlich lustig und so verbreitet sich nicht nur Heiterkeit durchs Ländle, sondern auch auf das Antlitz des leidgeprüften Weinbauers. Der weiß, daß er zwar die Pest an Bord hat, aber nicht mit ihr untergehen kann.


Dabei ist alles nur vergorener Traubensaft. Da ist nicht einmal Kohlensäure drin.

Was ist denn gegen einen ehrlichen, sulfitgeschwängerten Liter Billigwein mit Freunden genossen einzuwenden? Nichts. Die alten Römer soffen und mordeten mit nichts anderem im Wanst ihre Feinde oder ihre eigene Birne ins Nirvana. Zu Goethes Zeiten brachte es der Wein nur auf ca. 5% Alkoholgehalt und am sächsischen Hof, beim August, sah es nicht anders aus. Saures, gepantschtes Zeug, fern von jedem Öchslegrad, das den Winzer heute hinter Gitter bringen würde. Der Genuß ergab sich eher aus dem Zusammenspiel weiterer Faktoren, welche man so schön mit »Wein, Weib, Gesang« auf den Punkt gebracht hat.

Will man nur dem Alkoholmißbrauch frönen, kann man das auch mit Weinverschnitt aus Ländern der EU tun. Wenn er einem schmeckt, steht dem nichts entgegen. Es muß nicht der besondere Jahrgangswein von einem herrschaftlichen Gut sein, der nach Modder mit einer Zimtnote riecht und nach gefallenem Soldaten im Moor für 63€ reingefallen schmeckt. Alkoholsucht wird nicht besser, bloß weil man sie kulturell umrahmt. Es macht keinen Unterschied, ob man sich mit dem Fusel allein auf der Parkbank die Kante gibt oder sich dies kulturvoll, bei einer Ausstellungseröffnung, mit einem Edeltropfen gönnt, wenn man sich auf dem Heimweg gemeinsam unter dem Bus wiederfindet.

Womit wir bei den unvermeidlichen Weinfesten wären. Ich persönlich kenne nur derer drei: Die in Meißen und Radebeul und das vom hiesigen Baumarkt. Über letzteres hülle ich mal den Mantel des Schweigens und des Vergessens.

Der Meißner Weinfestbesucher liebt es einfach und pragmatisch. Saufen, Kultur mitgrölen und leere Pullen entsorgen. So einfach kann Feiern sein. In Radebeul gestaltet sich dies verdeckter. Man legt Wert auf ein stilvolles Ambiente und schmückt sich mit dem Wandertheaterfestival. Es ist alles gediegen und schwer kulturvoll angehaucht, aber irgendwie latscht man doch nur eine Runde um den Anger, um dann endlich beim Bulgaren mit seinem leckeren Rotwein zu landen. Lange vorbei ist die Zeit, wo man in Altkötzschenbroda noch miteinander feierte. Damals verströmte Altkö noch den Charme des Dreißigjährigen Krieges und den des Waffenstillstandes, der 1645 zwischen Schweden und Sachsen dort im Pfarrhaus geschlossen wurde aus. Das muß vor etwa 15 Jahren gewesen sein, als man damit anfing, die Folgen des Krieges zu beseitigen. Von der jetzigen Kneipenmeile dort war noch nicht die Rede und der Geist des Kommerzes schwebte noch einsam über der Dresdner Neustadt.


Zu vorgerückter Stunde saß man, mit einem völlig unbekannten Menschen ausgelassen feiernd, in einer Baustelle oder lauschte in diversen Kartoffelkellern verschiedenen Jazzexperimenten. Überall wurde gelacht, geplauscht und gesungen, nur im Keller der Kirche oder des Pfarrhauses nicht. Dort saß einem Bibelkreis entsprungene, farblose Gottgefälligkeit züchtig beim tschechischen Wein, den der Pfarrer ausschenkte und schwieg still vor sich hin. Bevor der fromme Haufen in eine dem Feste unangemessene tiefe Demut und Andacht fallen konnte, lieh sich ein in meinem Gefolge befindlicher Barde vom Pastor eine Gitarre und spielte ungebeten lauthals auf. Natürlich Wein- und Sauflieder vom untersten Kaliber. Wer schon mal mit einer Schrotflinte in einen Hühnerstall geschossen hat, kennt die Wirkung, die des Künstlers kleines Gastspiel hervorrief. Da kam Leben in die Bude! Sozusagen. Unglaublich, wie Gläubige so ungläubig auf geweihten Boden schauen konnten. Ja, lang ist es her.


Noch länger her ist es, als mein Weingeschmack geprägt wurde. Damals waren wir jung, durstig und brauchten den Alkohol. Vertretungsweise machte ich mich auf, um ein paar Kisten Wein beim Großhandel oder beim VEB Obst-Gemüse-Speisekartoffeln zu besorgen. Genau weiß ich das nicht mehr. Mein Plan war es, 8 Kisten trockenen Rotwein auf Rechnung in das clubeigene Auto zu laden, in der Hoffnung, daß dieses 30 Jahre alte Gefährt nicht zusammenbricht. Für die 10km Rückfahrt hatte ich zwei Boxenstopps zum Zündkerzen entölen eingerechnet. Nicht gerechnet hatte ich allerdings mit dem eigenwilligen Versorgungssystems des Handels.

Der Raum war klein, verqualmt, muffig und die Tapete mindestens so alt wie unser Clubauto. Links und rechts standen jeweils drei Pulte mit einem schmalen Regal an der Stirnseite. Die Ablagen waren in kleine beschriftete Fächer unterteilt, in die genau ein Stapel Karteikarten im DIN A6 Format paßte. Ich stand also vor dem Betriebssystem Limo-Schnaps-Wein Version 1.0, dem Vorläufer von MS-DOS. Bei LSW 1.0 hätte man es belassen sollen, denn es arbeitet schnell, effizient, idioten- und absturzsicher, was ich damals aber noch nicht zu schätzen wußte. Die Logik war ganz einfach: Ein Fach stellte eine im Lager befindliche Getränkesorte dar und die darin befindlichen Karteikarten die Anzahl der vorrätigen Kisten. Nahm man eine Karteikarte raus, wanderte virtuell eine Weinkiste in mein Auto und die Karteikarte nach dem Lieferschein tippen in die Pulte auf der anderen Seite des Raumes. Einfacher geht’s nicht, um in einem Lager den Überblick zu behalten. Als ungeübter Kunde verliert man diesen allerdings schnell, wenn einem die sozialistischen Hausregeln nicht bekannt sind.

»Acht Kisten trockenen Rotwein? Das geht nicht. Davon geben wir höchstens 4 Kisten raus. Moment.«

Sie greift in das Regal und ich bekomme 16 Karteikarten in die Hand gedrückt.

»Ja, na klar 16. Was dachten sie denn?«

Na, vier? Mehr gibt sie doch nicht raus.

»Mein Gott! 4 Kisten trockenen Rotwein wollten sie! Das macht noch mal 4 Kisten lieblichen und dieselbe Anzahl Weißwein. Den habe ich halbe-halbe gemacht, also 4 Kisten herben und 4 Kisten lieblichen. Aber da läßt sich noch etwas machen. Sie können natürlich auch 2 Kisten herben und 6 Kisten von dem anderen bekommen.«

Toll. Aber ich wollte doch nur trockenen Rotwein!

»Wo kommen wir denn da hin, wenn hier jeder nur das mitnimmt, was er möchte?«

Keine Ahnung. Ich war überwältigt von der Schlagkraft unseres Handels und mir war klar, warum bei uns im Klublager der Weißwein palettenweise rumsteht. Kein Mensch trinkt das Zeug, aber gekauft werden muß es trotzdem, damit man überhaupt was zum Reinschütten hat.

»Nehmen sie nun die 16 Kisten mit? Sonst gibt’s gar nichts. Da fällt mir ein: Alkoholfrei muß ich auch noch loswerden ...«

So schnell, wie damals habe ich nie wieder 16 Weinkisten in ein Auto geworfen. Bloß weg da! Erst später ist mir aufgefallen, daß von den verschiedenen Weinsorten gar nicht die Rede war. Zur Debatte stand nur Rot- oder Weißwein, herb oder lieblich.

Im Club zurück habe ich mich für eine Radikalkur entschlossen, um die überflüssigen Weißweinbestände abzubauen. Da ich nur vertretungsweise der Herr über die Getränkebestände war, mußte alles schnell gehen. Bier habe ich komplett von der Getränkeliste gestrichen, sprich: keines eingekauft. Den Rotwein habe ich im Keller unter dem Leergut versteckt. So schnell würde niemand die 2000 leeren Flaschen wegschaffen. Dann bin ich losgezogen, um Glühweingewürz und Zitronen zu besorgen. Von da ab gab es jeden Abend von mir höchst selbst gepantschten, weißen Glühwein. Und das von Oktober an, bis weit in den Dezember. Erst lief der Verkauf etwas schleppend, aber dann fügten sich die jugendlichen Gaumen der Notwendigkeit.

So einfach war das damals. Heute würden sie mich für diesen Geniestreich teeren und federn. Aber unter sozialistischen Bedingungen war alles möglich. Wir konnten uns sogar als Weinexperten bezeichnen. Rot- oder Weißwein, herb oder lieblich.

Oder Glühwein, weiß, herb oder lieblich, mit oder ohne Zitrone.

Donnerstag, 15. September 2011

Hausmitteilung - Lagebericht Technik


Die Lage ist noch angespannt aber übersichtlich. Mein Portal zur Anderwelt sichert im Moment das Powerbook Titanium. Das heißt, was davon noch geht. Für die kaputte Tastatur ist mein altes Schreibdingsda eingesprungen, auf dem nur die Leertaste unpässlich ist. Den Part des Displays muß der Zweitmonitor meiner alten Würgstäschen übernehmen, weil ein Kabelbruch die kontinuierliche Versorgung des LCD mit Signalen verhindert. Nicht zu sehen ist mein zerlegtes Alu-book, was auf ein neues Inverterboard aus Hamburg wartet, das es wahrscheinlich auch wieder killt.

Seit 1993 nutze ich nun Macs und bis heute brauchte ich weder ein Ersatzteil noch sonst irgendwie Hilfe von außen. Meine Macs sind friedlich an Altersschwäche entschlafen, nachdem sie schon im Ruhestand waren. Aber Heutzutage? Na gut, immerhin kann ich wieder tippen.

Und wer jetzt fragt, ob wenigstens mein Lochstreifenlesegerät noch geht, bekommt ein paar auf die Nuss und Besuch von der Defekthexe!

Freitag, 2. September 2011

Vorfreude - schönste Freude


So, Octa. Der gemeinsame Weihnachtsmarktbesuch ist vorgemerkt, und die Mädels haben gestern schon mal ihr Rüstzeug für diesen Waffengang fit gemacht.

ACHTUnG! Es folgt ein wenig Kultur:


Eigentlich bin ich ja eher im Trash Metal zu Hause ... Aber, naja.