Untergehen ist das Eine, unter der Oberfläche bleiben das Andere. ;-)

Mittwoch, 16. März 2011

Montag, 14. März 2011

Mottenkiste

In dieser Jahreszeit werden gewöhnlich Erinnerungen wach, an eine Zeit, in der man jung und ungestüm war. Passend dazu und zum Thema Frühling habe ich ein paar verstaubte Cartoons ausgegraben. Hach, waren das Zeiten ...





Samstag, 5. März 2011

iTantchen


Danke Mali! 73

»Huhu! Mein Schunge! Bist du am Hörer? Gut. Hast du deinen Computer an? Mir müssen mal was gucken! Die Ungarn kommen doch morgen.«

Aha. Tantchen am Telefon. Mit einer klaren Aussage.

»Du hast doch deinen Rechner immer an! Warst du heute schon mal draußen? Bei dem Wetter! Guck mal aus dem Fenster. Siehst du überhaupt etwas durch die Scheiben? Wann hast du die das letzte Mal geputzt?«

Voriges Jahr. Denk ich mal. Was soll da draußen schon sein? Die Sonne scheint eben. Das ist nun mal so im Frühling. Deswegen muß ich nicht gleich die Fenster putzen. Einfach aufmachen reicht.

»Gestern? Richtig mit klaren Wasser und Zeitungspapier? Da staune ich aber. Sollte aus dir doch noch was werden? Der Herbert sagte immer ...«

Der Herbert muß zu Lebzeiten ständig gequasselt haben. Tantchen ist schon die Härte. Wenn die Quasselstrippe immer noch mit Tantchen unterwegs wäre, würde meine Lebenserwartung in den sozialverträglichen Bereich abrutschen. Mein Gott!

»Der hilft dir jetzt auch nicht mehr. Der hat genug mit seinen Christen zu tun. Wann ist dieses Jahr eigentlich Ostern? Hast du da schon was vor? Wollen wir wieder bei der Tina im Garten grillen? Ist das ein Wetterchen! Es wird Frühling! Hast du eigentlich inzwischen eine Freundin? Du hast doch schon ganz schön lange keine! Wie hieß die Letzte? Das war doch die kleine Pummelige!«

Die hieß auch irgendwie. Die kleine Speckige hatte ich vor ca. 25 Jahren, für genau eine Woche! Seitdem gab es da noch einige, deren Namen ich mir unmöglich merken konnte und wollte. Aber Tantchen reitet immer noch auf dieser längst verjährten Geschichte herum. Warum auch immer. Diese Trulla ist garantiert schon dreimal geschieden, hat fünf schwer adipöse Kinder und ihr Hausarzt schickt sie zur Gewichtskontrolle auf die Schwerlastwaage des ortsansässigen Altmetallhandels.

»Die Tina wäre eigentlich auch was für dich. Aber die steht eher auf Männer. Du, bei der mußt du mal nach dem Rechten sehen. Der ihr Computer spinnt. Immer wenn ich bei der klingele, hat die kein Internet mehr. Das ist doch nicht normal, daß bei der fünfmal am Tag das Netz zusammenbricht.«

Kein Problem. Ich lege der Tina die Wohnungsklingel tot und schon ist ein stabiler Internetzugang gewährleistet.

»Du spinnst, mein Schunge! Da ruf ich die eben an. So, wie dich jetzt! Hast du deinen Computer nun mal an? Das dauert wieder! Mein Schunge, ich habe keine Zeit! Die Ungarn kommen doch morgen. Können wir nun endlich mal gucken?«

Ja, klar. Die Möhre läuft seit heute früh ununterbrochen. Der Frühling ist auch in den sozialen Netzwerken ausgebrochen. Eine zarte, frische Knospe an meinem Kerbholz würde mir ganz gut tun. Aber die heiße Phase ist dort noch nicht in Sicht. Da kann ich nebenbei auch ein bißchen für Tantchen fahnden. Aber nach was oder wem soll ich nun gucken?

»Na, ob das bei mir unten an der Ecke ein normaler Arzt ist!«

Was? Wie bitte? Wer spinnt hier? Außerdem: Wer in diesem Land noch eine Arztpraxis führt, kann nicht normal sein.

»Mein Schunge! Denk doch mal ein bißchen mit! Bis vor kurzen war dort ein Orthopäde. Der ist verstorben. Das war eine schöne Beerdigung. Seine Kinder und Enkel waren da und sogar seine Geschiedene. Die hatte herrliche Blumen dabei. Ich möchte mal wissen, wo sie die her hat. Da müssen wir dann mal gucken.«

Bloß nicht. Da leite ich Tantchen direkt zu meiner vietnamesischen Lotusblüte in ihren Blumenladen unten an der Kreuzung. Diese Knospe wäre etwas für mich. Probehalber zumindest. Nur ist ihr Kulturkreis ein wenig zu unflexibel bei solchen Experimenten.

»Eben, keine Experimente. Ist das nun ein normaler Arzt? Ein Hausarzt? Also der, der die Praxis übernommen hat? Das mit den Ungarn erzähl ich dir gleich. Willst du nicht mitkommen? Morgen Nachmittag? Zur Beerdigung von der Tante Erna? Da müssen wir dann auch nochmal gucken!«

Ich gehe in die Asche ...

»Nein, nicht du! Die Erna bringen wir morgen unter die Erde. Willst du wirklich nicht mitkommen? Sonst hat es dir doch auch immer gefallen. Du verpaßt was! Wir trauern morgen in internationaler Besetzung! Die Ungarn kommen doch morgen extra deswegen her. Das lassen die sich nicht nehmen! Ich habe mir schon überlegt, ob ich hinterher gleich meinen diesjährigen Geburtstag feiere. Wenn wir schon mal alle so hübsch beisammen sind ...«

Tantchens berühmter Geburtstag. Keiner weiß, wann der wirklich ist und sie feiert ihn, wann es ihr gerade mal paßt.

»... aber dann habe ich mir überlegt, daß ich ihn wieder bei dir im Garten begehe. Du kannst doch so schön Rouladen und Rotkraut kochen. So wie voriges Jahr. War das eine schöne Feier!«

Broken Arrow! Seit dem muß ich kotzen, wenn ich nur eine rote Johannisbeere sehe. Und duschen, und ..., und ...

»Wegen des Termins sage ich dir noch Bescheid. Jetzt gucken wir erstmal nach dem Arzt. Ob das nun ein normaler Doktor ist oder nicht.«

Unter der Adresse steht im Online-Ärzteverzeichnis Dresdens noch der Orthopäde. Das ist ja kein Wunder. Ehe der sich da neu eingetragen hat, vergeht eine Weile.

»Du und dein Internet! Nichts weiß das! Das habe ich mir schon gedacht. Was mache ich denn nun?«

Die Treppe runtergehen? 20m laufen und dort auf das neue Praxisschild gucken?

»Dafür habe ich jetzt keine Zeit! Und morgen früh muß ich in die andere Richtung. Zum Hauptbahnhof. Die Ungarn abholen. Das kann dauern. Nachmittags ist gleich die Beerdigung. Da habe ich keine Zeit, um mir großartig einen Doktor zu suchen! Mein Schunge! Denk doch mal ein bißchen mit!«

Wie wäre es mit anrufen? Der neue Arzt wird ja den Telefonanschluß mit übernommen haben.

»Meinst du, daß geht? Ob der, wenn das ein richtiger Arzt ist, einen Termin für mich hat? Mir fehlt ja eigentlich nichts. Aber ich muß den Doktor ja erst einmal ausprobieren, bevor ich mich ernsthaft an ihn wende. Meine Hausärztin ist doch gestorben. Da war ich nicht bei der Beerdigung. Das werde ich mir nie verzeihen. Aber ich war krank. Grippe oder so etwas. Habe ich mich schlapp gefühlt. Wie nach dem Krieg. Als es nichts zu essen gab. Seit dem kannten wir uns. Eine ganz Lustige war das. Was hatten wir für einen Spaß all die Jahre! Nun ist sie tot. Naja, das kann man nicht ändern. Da werde ich den Heini dann mal anrufen.«

Mach das Tantchen. Der nimmt dich sofort dran, wenn es der richtige Doktor ist. Du legst dich bei ihm auf die Couch, erzählst ein bißchen was, er hört dir zu und alles wird gut.

»Hoffentlich ist das nicht wieder so ein Orthopäde! Das könnte der Gustl so passen. Die mit ihren Stützstrümpfen oder den orthopädischen Schuhen. Jedes Jahr braucht die ein neues Paar Latschen. Dabei geht die doch gar nicht mehr aus dem Haus. Die sieht doch nichts mehr!«

Die Ungarn? Tante Erna? Ich habe auch keine Zeit. Die Kaufhalle macht heute Abend irgendwann zu.

»Oder so ein Pfuscher, wie der Hilde ihr Hausarzt? Die schwört auf den. Dort sollte ich hingehen! Da war ich auch! Jetzt ist mir klar, warum die Hilde sich standhaft weigert krank zu werden. Das ist so ein junger, sportlicher Typ. Gutaussehend und noch keine siebzig. Der hält sich eine Arzthelferin, die mindestens dreißig Jahre jünger ist als er. Was sagt man dazu? Also, nein, ich weiß nicht. Ich habe dort angerufen ...«

Ach?

»... und sofort einen Termin bekommen. Ganz nett ist es da schon. Ein paar schöne Grünpflanzen – so Palmenzeug – dekorieren das Wartezimmer und sogar frische Schnittblumen – Freesien – standen auf dem Tisch. Die Apothekenrundschau lag griffbereit daneben. So weit war alles in Ordnung. Aber dann ruft der Doktor den nächsten Patienten zu sich. Der Mann sah total verschnupft aus. Und gehustet hat der! Die Augen glänzten fiebrig – ganz glasig waren die. Mindestens 40°C Fieber haben den Kerl geschüttelt. Das war eindeutig eine Bronchitis! Und was soll ich dir sagen? Keine 15min war der drin! So schnell kann man doch keinen Patienten richtig untersuchen. Der hätte doch zumindest mal die Lunge abhören müssen. Also nein, dachte ich mir. So einen Schludrian lasse ich nicht an meine Gesundheit und bin wieder gegangen.«

Das ist jetzt alles nicht wahr ...

»Siehste! Das darf ich morgen, zu Tante Ernas Beerdigung, nicht vergessen zu erzählen. Da ist die Hilde ja auch vor Ort. Ich weiß gar nicht, ob ich die abholen muß. Also die Ungarn, die Erzsi und die Marika sitzen hinten. Da paßt die Hilde nicht mehr rein. Die müßte mit vorne sitzen. Falls du doch noch mitkommen möchtest: Sag Bescheid! Da borge ich mir wieder von der Gustl das Auto. Das ist größer, da paßt du hinten mit rein.«

Mit Sicherheit nicht.

»Aber da wir gerade bei der Erna sind: Kannst du mal gucken, wer morgen noch so alles kommt?«

Wie bitte? Gibt es irgendwo eine Web-Seite, wo man sich in eine Gästeliste eintragen kann? Damit die Friedhofsverwaltung weiß, mit wem sie rechnen muß? Ob sich ein Catering und ein Alleinunterhalter lohnt?

»Quatschkopf! Bei Facebook sollst du gucken! In ihre Freundesliste. Dort mal durchzählen. Alles, was über Sechzig ist, kommt morgen auch zu ihrer Beerdigung!«

Tantchen muß irgendwann mal gegen einen Grabstein geknallt sein.

»Nein, jetzt, wo du es sagst ... Die war doch x-mal verheiratet. Probier mal Müller, Meier und Lehmann. Einer von den drei Namen müßte es sein. Aber mach hin! Ich habe nicht ewig Zeit für so einen Firlefanz!«

Du sagst es Tantchen. Selbst wenn ich jetzt nach einer Erna Müller, Meier oder was weiß ich noch suchen würde: Wer sagt mir, daß diese alte Schachtel überhaupt bei Facebook ist? Und wenn ja: Wer sagt mir, bei schätzungsweise 300.000 Treffern, um welche es sich dabei handelt? Ich habe doch keine Ahnung, wie die aussieht!

»Die ist bei Facebook! Die war allen technischen Neuerungen stets aufgeschlossen. Die Erna war von uns die Erste, die sich in die Elektrische getraut hat. In die Straßenbahn. Elektrisches Licht hatte die auch mit als Erste auf ihrem Dorf. Da haben die Bauern gestaunt, sage ich dir! Die haben zwar auch schon mit Dampf das Stroh gedroschen, aber die Erna war denen immer eine Nase lang voraus. Zu erkennen ist sie ganz einfach: Die hatte wunderschöne lange, gelockte Haare. Braun glaube ich. Das ging so mehr ins rötliche. Also Kastanienbraun. Wegen ihrer Haarpracht haben die Dörfler sie auch Medusa genannt. Aber nur, wenn die weggeguckt und nicht zugehört hat. Naja, von denen lebt auch keiner mehr.«

Wen wundert das? Medusa. Köstlich. Wieviel mal war die verheiratet? Und wer soll da noch zur Beerdigung kommen? Castor und Pollux?

»Guckst du nun endlich mal mein Schunge, oder muß ich erst vorbei kommen?«

Nein, du hast keine Zeit Tantchen. Und ich auch nicht.

»Also ca. 30 Leute. Gut, das ist eine überschaubare Größe. Die schaffe ich schon. Und du bist dir sicher, daß es die richtige Tante Erna ist?«

Oh, ja. Das ist so sicher, wie das Ahoi in der Kirche. Da das Internet mich bei Tantchen nicht weiterbringt, habe ich den Rechner schon heruntergefahren und verlasse mich nun ausschließlich auf meine mentalen Kräfte.

»Das ist sie! Etwas faltig um die Augen – das paßt. Das sind ihre Lachfalten. Auf dem Dorf ist es um die Männer nicht sonderlich gut bestellt. Die brauchbaren sind ja im Krieg geblieben. Sie hats mit Humor getragen. Das war so eine Lustige, wie meine Ärztin.«

Lustig. Stimmt. Wenn eine Frau über Neunzig keine Falten im Gesicht hat, wird es weniger lustig. Dann handelt es sich um eine Untote aus Siebenbürgen oder Linda de Mol.

»So mein Schunge. Wir haben es gleich geschafft. Guck mal, ob der Horvath Istvan noch in Budapest wohnt.«

Horvath Istvan? So heißt jeder zweite Ungar. Jeder dritte hat einen Schnauzbart und jeder vierte eine Glatze. Bei Google gibt es dazu mindestens 25.000 Einträge, bei Facebook 2500 Profile aber bei meiner mental optimierten Suchmaschine nur einen Volltreffer.

»Ja, genau! Das ist er! Sein schütteres Haupthaar hat er immer unter einem Pusztahut versteckt. Ist das schon wieder lange her. Das der noch lebt – Sachen gibts, die gibt es gar nicht. Und auf welcher Straße wohnt der da?«

Das ist eine gute Frage. Aber mein Astral-Körper wälzt gerade im Budapester Einwohnermeldeamt die Bücher. In der Sàndor-Petöfi-Straße wird er fündig. Klar, wo sonst könnte der Horvath Istvan wohnen, wenn nicht in der Straße, die nach dem ungarischen Nationaldichter Nummer 1 benannt ist?

»In der Petöfi-Utca? Ich dachte in der Biro-Lajos-Utca. Die ist ja in der Nähe vom Busbahnhof. Aber die Petöfi? Kann man von dort bis zur Népliget-Autobus-Station laufen? Geht das?«

Nein. Mein drittes Auge studiert gerade die Meßtischblätter Budapests. Die gehen nicht. Besser nicht. Oder sicherheitshalber nicht.

»Schade. Sonst hätte ich die Marika und die Erzsi noch mal angerufen. Bevor die in den Bus steigen – der fährt von dort 22.15 Uhr los – hätten die ja beim Istvan noch Abendbrot essen können. Die haben sich ja auch schon lange nicht mehr gesehen und so wären die frisch gestärkt morgen früh, gegen 9.00 Uhr, hier am Hauptbahnhof angekommen.«

Was? Die wollen mit dem Bus kommen? Das sind elf Stunden Fahrt!

»Nein, die wollten nicht. An den Flieger hatten sie gedacht. Das habe ich denen aber ausgeredet. Am Flughafen bekomme ich doch keinen Parkplatz – ich weiß auch gar nicht, wo der Flughafen ist – aber am Bahnhof schon. Und mit dem Fernbus reist man auch billiger als mit dem Zug. Das haben sie eingesehen und sich die Busfahrkarte bestellt. So kommen die morgen früh, hier an der Bayrischen Straße an und ich hole die dort ab. Da schmiere ich denen eben ein paar Bemmen. So, nun muß ich aber mal Schluß machen, mein Schunge. Jetzt werde ich zusehen, daß ich in die Federn komme. Morgen früh muß ich ja fit sein. Ich bin heute schon viel zu zeitig aufgestanden. Die Ungarn hatten ja gesagt, daß sie am Donnerstag herkommen. Aber ich habe nicht bedacht, daß sie da erst am Freitag hier sind. Also war ich heute früh umsonst am Bahnhof.«

Das war gestern. Eigentlich hätte ich wissen müssen, daß ich nicht so einfach davonkomme.

»Huhu! Mein Schunge! Hörst du mich? Ich kann jetzt nicht so laut reden. Die Ungarn schlafen doch noch. Die sind heute früh, wie geplant 9.00 Uhr am Bahnhof eingetroffen. Du meine Güte, sahen die geschafft aus! Die haben doch die ganze Nacht im Bus gesessen und kein Auge zugetan. Meine Bemmen haben die gar nicht angeguckt, sondern sind gleich bei mir auf die Couch gefallen. Jetzt schlafen die wie tot! Und ich bin schuld! Mit dem Flieger wären die doch gestern Abend schon hier gewesen. Aber das ging nicht, wegen meinem Parkplatz. Die ratzen was weg, sag ich dir. Nur, wir müssen langsam los. Es ist schon spät! Aber jetzt traue ich mich nicht, die Beiden zu wecken. Verstehst du mich? Was ich damit sagen will: Kannst du mich nicht gleich mal zurückrufen? Vielleicht macht das Telefonklingeln sie wach? Da bin ich das wenigstens nicht, der sie jetzt weckt. Oder wir lassen sie schlafen und du kommst dafür mit?«

QWERTZ.