Gestern trieb mich eine geheimnisvolle Macht auf meinen Dachboden. Ohne zu wissen warum, hebelte ich dort ein Bodenbrett auf. Es war glatt und schwer wie eine alte Schiffsplanke. Darunter fand ich in einem Fetzen vergammelten Segeltuchs zwei Dinge. Eine Daguerreotypie und ein zusammengefaltetes Stück Papier. Seltsam. Bei dem Photo handelt es sich eindeutig um das Abbild einer uralten Kultstätte. (Ausschnittsvergrößerung)
Deutlich sind 4 Schädel und verschiedene wertvolle Opfergaben zu sehen. Auch die Eule, daß Sinnbild für Weisheit und Klugheit, ist klar zu erkennen. Sie symbolisiert dem Betrachter genau zwei Dinge. Entweder »Du bist erleuchtet!« oder »Du hast ein Ding an der Waffel«. Zweifellos handelt sich hier um den verschollenen Hauptaltar des mythischen Tuutuu-Kultes. Dieses Rätsel war also schnell gelöst.
Der Zettel bereitete mir da schon mehr Kopfzerbrechen. Unterzeichnet ist er mit dem Stempel des Korsaren Captain Yellowbeard. Über ihn ist so gut wie nichts bekannt geworden. Das mag in einem daran liegen, daß er unter verschiedenen Namen; wie Captain Bluebeard, Captain Redbeard, Captain Greenbeard und Captain Buntbeard sein Unwesen trieb, oder aber, weil er als Pirat ziemlich erfolglos war. Sein bürgerlicher Name lautet Dietrich von der Hasze, was ihn hinlänglich als einer meiner Urahnen ausweist. Von ihm ist nur überliefert, daß er eine sehr merkwürdige Art von Humor besaß, und daß er als Vorreiter der modernen Kunst gilt. Seine Skizzen sind bahnbrechend. Ihnen fehlt jede Form von Ästhetik und sie sind völlig unverständlich. Er wird auch als sehr früher Wegbereiter der Bauhausstils gehandelt. Alles in allem ist dieser Zettel also zweifellos echt. Aber was sagt er aus? Auf ihm ist rechts unten ein Pfeil mit einem Fragezeichen eingezeichnet. Ich kam zu dem Schluß, daß es sich um einen Joke des Captains handeln muß. Es kann sich nur um die minimalistische Darstellung einer Windrose handeln, wobei das Fragezeichen für ein N also Norden steht. Somit handelt es sich um einen Lageplan. Klar. So gesehen kommt mir vieles darauf bekannt vor. Die Bäume, Wege, Brücken und das fehlen von öffentlichen Toiletten – das kann nur mein Stadtteil sein. Der Plan bestätigte – eingenordet und mit aktuellen Kartenmaterial verglichen – meinen Verdacht. Aber auf was weißt er hin? Auf die verschollene Kultstätte? Auffällig an ihm ist nur, oben rechts, die Stelle, die von vier Pfeilen (?) eingekreist wird. Ein kleiner Ausflug heute führte mich dahin.
Sofort erkannte ich in der Skulptur den versteckten Hinweis auf den Schatz (?). Die Redewendung »Weiß der Geier!« oder »Das weiß der Geier!« wird ja Captain Yellowbeard als Urheber zugeschrieben. Also quetschte ich den Vogel aus. Seine Schutzbehauptung, daß er kein Geier sondern ein Flamingo wäre, lies ich nicht gelten und nach langwierigen Verhandlungen wies er mir den Weg zu der Stelle, wo ich ungezügelt graben sollte. Diese Unternehmung leitete ich natürlich sofort ein.
Eine Übersicht zeigt mein überlegtes und planvolles Vorgehen.
1: Das Grabungsfeld. Viel Wert lege ich auf ordentliches Ausgrabungswerkzeug. Von Profis für Profis. Was sonst?
2: Ein Fußball
3: Ein Fluchtwagen
4: Die Operationszentrale
Natürlich ließ ich das Gelände durch Einsatzkräfte der Deutschen Volkspolizei abriegeln. Diese legten mir freundlicherweise auch eine Telefondirektleitung zur nächsten Notaufnahme und zum Pizzadienst meines Vertrauens.
Ich brauchte gar nicht tief graben.
Da lagen sie. Die vier Schädel. Und sonst nix. Keine wertvollen Opfergaben. Captain Yellowbeards merkwürdige Art von Humor hat sich überraschend bestätigt. Der A...!!!
***
Mittwoch, 30. Juni 2010
Freitag, 25. Juni 2010
Fußball unter volkssportlich, agrarsozialen Bedingungen – ein Opferbericht.
Vorhin wäre mir beinahe ein Fußballfan am Einkaufswagen verendet. Ich hätte nur kurz nachstoßen müssen. Aber da er artig um Entschuldigung röchelte, habe ich es bei der einmaligen Kollision belassen. Es war auch ein zu schönes Bild, wie er mit fassungslosen Blick von meiner Blutgrätsche via Warenkorb niedergestreckt wurde und dabei seinen Kollegen in das Regal mit der Schmierschokolade riß. Da lag der Jungspund genau richtig. In dem braunen Zeug mit dem Fußball drauf, was sich Softis morgens aufs Brötchen schmieren. Wer so etwas ißt, spielt auch Fußball oder tut so, wie die zwei Deppen in ihren Faschingskostümen eben. Strafe muß sein. Das ist nunmal so. Beide, ganz in weiß und schwarz-rot-gelb, haben zuvor den Flaschenrücknahmeautomaten lahm gelegt. Badelatschen, Bermuda-Shorts – solche weiten, halblangen, braunen Höschen, wie sie jetzt an der Ostküste der USA wegen der Ölpest ganz groß in Mode sind – Schmuddel-T-Shirt, Basecap auf dümmlichen Grinsen und moderne Technik – das geht scheinbar nicht zusammen.
Dabei würde ich beiden eine frisch abgebrochene Lehre als Gas- und Wasserinstallateur zutrauen. Die dazugehörigen Dichtungsringe tragen sie noch im Ohrläppchen. In diese braucht der Meister nur mit dem Finger zu greifen, um ihre Köpfe an die Wand zu knallen. Wie bei dem Azubi, der bei mir eine Dusche einbauen sollte. Das ist ihm sogar gelungen, nur daß kein Wasser mangels Gefälle abfloß. Als Begründung für seine Missetat führte der Knallkopf an, daß dies in alten Gebäuden nunmal so wäre. Das Haus würde in sich arbeiten, da rüttelt sich das Gefälle von selbst ein. Der dazueilende Meister konnte meinen Finger nur noch mit Schmierseife aus dem Ohrring des Knallers befreien und hat die zertrümmerten Wandfliesen anstandslos ersetzt. Genau so pfuschten die beiden vor dem Automaten rum.
Was kann daran so schwer sein, eine Flasche in ein Loch zu schieben? Das Teil steht doch nicht erst seit gestern da? Da steht auch noch groß und breit dran: Mit dem Flaschenboden zu erst einlegen! Einlegen! Und nicht einwerfen! Wo ist der Flaschenboden? Unten! Wenn man die Flasche richtig herum hält! Was passiert, wenn man eine Flasche einwirft, auf der pfandfrei steht? Richtig! Sie kommt wieder heraus. Was passiert, wenn man gleich drei davon einwirft? Richtig! Störung! Also turnten sie zum zweiten Automaten. Dasselbe. Jede zweite Flasche spuckte die Mechanik wieder aus. Aber die zwei gaben nicht auf und verhedderten sich dabei noch in ihren dämlichen, als Mantel umgehängten, Dederon-Nationalflaggen. Das hatte was von Don Quichotte und Sancho Pansa im Kampf gegen Windmühlen oder einer Persiflage auf die drei Musketiere von Alexandre Dumas. Denn der Dritte im Bunde bewachte derweil ihren wild national-beflaggten Wagen. Das war so ein Schrauber-Azubi. Aber nicht so, wie man sie vom Autofernsehen her kennt. Dort schrauben sie alte Schrottkisten wieder flott. Der da pflegt den umgekehrten Weg zu nehmen. Der tunt so lange an einem Neuwagen, bis dieser reif für die Presse ist. Dabei kann man diesen Pfusch schon ab Werk käuflich erwerben. Ich kenne mich da nicht so aus, aber wenn ein Autokonzern dringend Staatshilfen braucht, um weiter produzieren zu können, kann es sich doch nur um solchen handeln. Diese Staatshilfe würde ich sogar begrüßen, schon um die Belegschaft vor dem eigenen Betriebsrat zu schützen, aber nicht in Form von einer Finanzspritze, sondern eher mit einer Sachspende. Die könnte von einer Jagdbomberstaffel der Bundeswehr über den Betriebsgeländen ausgeklinkt werden und den Rest besorgen dann Räumpanzer. Haben wir nun die Marktwirtschaft oder nicht?
Egal. Wie dem auch sei. Meine zwei Helden beendeten dann doch erfolgreich ihren Waffengang gegen die Pfandflaschenrücknahme und fielen in den Verkaufsraum ein. Oder eben gegen meinen Einkaufswagen. Strafe muß sein. Das ist nunmal so. Dann schauten sie sich suchend um. Was können zwei als Fußballfans verkleidete Pappnasen schon in einer Kaufhalle suchen? Ihre Mutti? Ihre schwere Kindheit? Nein! Bier! Was sonst? Wo steht das Bier? Gewöhnlich bei den Getränken. Oder? Was wollten die dann beim Weichspüler? Weil dort die Flaschen bunter sind? Dabei stehen die 5l-Billigbierfässer genau gegenüber. Bei den Getränken. Aber die Beiden sind mit ihrer Aufgabe schlicht überfordert. Dabei sind auf den Preisschildern kleine Fußbälle und Deutschlandfahnen als Hilfestellung aufgedruckt. Wie auch auf jeden einzelnen Bierflaschen- oder Fassetikett. Was soll da sonst drin sein außer Bier? Kleine Fußbälle? Ist es denn zu fassen! Auf meiner nach unten offenen Beliebtheitsskala stürzt der Fußball als solcher und seine Fans sowieso schon seit Jahrzehnten ins Bodenlose. Es mag sein, daß ich etwas überspannt und gereizt bei diesen Thema reagiere, aber dafür kann ich persönlich nichts.
Ich habe ja selber mal professionell Fußball gespielt. In der 4. Klasse. Schulsportgemeinschaft Traktor Schönberg. Richtig. Der Name Traktor sagt alles. Dorf. Tiefstes Dorf. Hinter den 7 Tümpeln, hinter den 7 Silage-Silos, zwischen 7 Kuhställen und einer Schweinemastanlage hieß unser Freizeitvergnügen bebbeln, bolzen oder treffender holzen. Mit Fußball und Vergnügen hatte dies auch nicht viel zu tun. Zumindest nicht für mich. Mit Bauernkindern kann man Kühe austreiben, oder Scheunen in Brand setzen, aber kein Fußball spielen. Die sehen den Ball und dreschen wild drauflos. Das der Ball dabei im gegnerischen Tor landet, wurde zwar angestrebt, aber man gab sich auch mit Fenstern, Dachrinnen oder Zaunslücken zufrieden. Das machte einfach keinen Spaß. Aber was sollte ich sonst machen? Jeden Tag Kühe austreiben oder …? Es blieb nur Fußball und das bei jedem Wetter. Eine Turnhalle gabs nicht. So etwas hatten nur Städter. Der Schulsport fand im Saal des Dorfgasthofes statt und dort war schnelles Laufen und Ballspielen verboten. Wenn es nach unseren Sportlehrer gegangen wäre, auch das Geräteturnen. Das funktioniert mit Dorfkindern einfach nicht. Der ließ unsere Klasse antreten, um uns das Bockspringen näher zu bringen. Das Ergebnis war niederschmetternd. Drei zersplitterte Sprungbretter, zwei zusammengebrochene Böcke und ein baupolizeilich gesperrtes Parkett. Der Stufenbarren war schon zerstört und wenn ich das Wort Schwebebalken höre, bekomme ich heute noch einen Lachkrampf. Es war immer dasselbe. Unsere schwer adapösen Mädels wurden einzeln jeweils von zwei Jungen auf den Balken gehievt. Keine 10 Sekunden klatschten sie wieder runter. Also wurden sie wieder hochgeschubst. Klatsch! Schon lagen sie wieder unten. Das Spiel ging so lange, bis sie mit der Stirn auf den Balken schmetterten. Wenn eine Frau eine Narbe auf der Stirn hat, kommt sie höchstwahrscheinlich aus unserem Dorf.
Also blieb nur der Sportplatz, der eigentlich keiner war. Sportplätze hatten nur Städter oder große Gemeinden. Bei uns mußte, wie in jedem kleinen Dorf, ein Stück Wiese neben den Gasthof reichen. Gleich danach fingen die Felder der LPG an. Die kleinen Wiesen dienten den Traktoren als Wendeplatz, wenn sie die Äcker umpflügten oder die Jauche ausfuhren. Von unserem Sportplatz blieb dann nicht viel übrig. Aber deswegen fiel der Sportunterricht ja nicht aus. Umkleidekabinen oder gar Duschen gab es natürlich auch nicht. Umgezogen wurde sich im Klassenzimmer. Davor und danach. Vor der Jauche und nach der Jauche. Das Waschbecken vorn neben dem Lehrerpult mußte reichen. Zum Händewaschen. Aber das war alles nicht weiter schlimm, wenn auf dem Sport der Heimatkundeunterricht fiel. Schlamm und Gülle hautnah. Etwas anderes gabs ja bei uns auch nicht groß. Im Winter wurde der Heimatkunde- und der Sportunterricht zusammengelegt. Da wurde streng gewandert. Zu den schönsten Schweineställen im Kreis und seiner Umgebung.
In der 4. Klasse angekommen, winkte uns die Aufnahme in die Schulsportgemeinschaft, Sektion Fußball. Da es keine andere Sektion gab, blieb uns nichts weiter übrig, als da mitzumachen. Gebebbelt haben wir ja eh jeden Nachmittag und dort bekamen wir Trikots und einen Trainer. Dieser gehörte als Landmaschinen- und Traktorenschlosserlehrling dem Bildungshochadel in unserer Gemeinde an, und er war der Auslöser zu meinem, inzwischen tief verwurzelten, gestörten Verhältnis zu Lehrlingen in Allgemeinen, und Leuten, die denken mir etwas beibringen zu müssen, im Besonderen. Der Mann verfügte über das Einfühlungsvermögen eines kaputten Kachelofens und über das pädagogische Geschick eines in Panik geratenen Auerochsen auf der Flucht. So etwas wird heutzutage Sozialassistent, und wenn es dafür nicht reicht, Sozialpädagoge.
Der wollte uns allen Ernstes beibringen, wie man Fußball spielt. So mit Ausdauertraining, Gymnastik, Dribbelübungen und so weiter. Da war er bei den Bauernkindern an der völlig falschen Adresse. Die wollten nur bebbeln und Tore schießen, aber keinen Sport treiben. Das ging sowieso schief. Zum Beispiel beim Schlängellauf. Als Hindernisse dienten kleine weiße Stangen mit einem roten Fähnchen oben dran. Wir sollten lernen, wie man mit dem Ball den Gegner umspielt. Aber das wollten wir doch gar nicht. Wir wollten ihn umnieten. Sonst macht Fußball doch gar keinen Spaß. Also holzten wir die Stangen weg und machten ansonsten auch nicht das, was wir sollten. Da war der Heini schnell am Ende mit seinem Latein und brüllte erstmal nur herum. Das muß er in einem Jugendwerkhof gelernt haben, und als Bewährungsauflage die Order erhalten haben, uns zu trainieren. Anders kann ich mir nicht erklären, warum der jede Woche diesen Spießrutenlauf auf sich nahm.
Dann probierte er es mit angewandter Psychologie. Er versuchte uns einzureden, daß unsere Eltern ganz traurig wären, wenn wir nicht ordentlich trainieren und so rein gar nichts aus uns wird. Das zog natürlich überhaupt nicht. Meine Eltern hatten keine Zeit sich über meine Freizeitaktivitäten einen Kopf zu machen und nahmen daher an, daß ich diese sinnvoll verbringe. Die hatten keine Ahnung davon, daß ich nur Fußball spiele. Und was bitte sollte schon aus uns werden, wenn nicht rein gar nichts? Landmaschinen- und Traktorenschlosser? Dann mit 20 eine heiraten, die eine Narbe auf der Stirn hat und sich jeden Freitag Abend im Dorfkrug ins Koma saufen. Daran konnte auch ein ordentliches Fußballtraining nichts mehr ändern.
In seiner Not zog er dann die Daumenschrauben an und erzählte uns, daß die Partei- und Staatsführung sehr enttäuscht darüber wäre, wenn sie erfahren würde, wie wenig Disziplin wir beim Training an den sozialistischen Tag legen. Erst lagen wir vor Lachen geschlossen in der Jauche und dann entbrannte eine hitzige Diskussion darüber, was wir machen würden, wenn wir von Honecker eine Millionen Mark geschenkt bekämen.
Dorf. Tiefstes Dorf. Schulsportgemeinschaft Traktor Schönberg. Der Name Traktor sagt alles.
Wenigstens konnten wir uns darauf einigen, daß wir von den Millionen Alu-Chips uns zwei richtige Tore leisten würden. Richtige Profi-Tore mit einer Latte oben und einem Netz dahinter. So etwas hatten nur Städter und wir die blöden weißen Stangen mit den roten Fähnchen obendran. Die mußten als Torpfosten herhalten und waren der Grund für endlose Streitereien und dabei noch endloseren Suchen nach dem Ball. Egal, ob man der Meinung war ob der Ball nun »drin« war oder nicht: Ohne Netz war er weg. Irgendwo im Gestrüpp. Zwei Drittel jeden Trainings verbrachten wir damit, die Murmel zu suchen. Wir riefen ihn, lockten ihn, versprachen ihm alles mögliche – sogar, daß wir aufhören würden nach ihm zu treten – und gaben ihn schließlich Lehrer- oder Fußballtrainernamen.
Was konnte es Schöneres geben: Erst auf einer frisch gepflügten Wiese Fußball spielen, den Trainer verarschen und dann zerkratzt und zerschunden den Ball in einer Dornenhecke zusammenschreien.
Natürlich gab es etwas Schöneres. Die allsonnabendlichen Spiele gegen Schulsportgemeinschaften der Nachbargemeinen oder -städte. Sie waren schlicht die Härte an sich und auch der Grund, warum der Fußballsport in meinem Leben nicht mehr stattfindet.
Immer 13.00 Uhr trafen wir uns mit den Fahrrädern vor der Schule. In den frischgewaschenen Trikots und mit richtigen Fußballschuhen an den Füßen. Die Welt sollte sehen, was für Fußballhelden wir waren. Querfeldein radelten wir dann zu den feindlichen Sportstätten. Also zu den Traktorenwendeplätzen. Mit Fußballtretern sollte man nicht Fahrradfahren. Diese Erkenntnis ereilte uns jeden Sonnabend 14.00 Uhr und sie verließ unsere teflonbeschichteten Gehirnwindungen spätestens am Sonntag morgen. Unsere Knie, Hände, Kinn und Ellenbögen waren von den Stürzen schon blutig zerschrammt, so daß wir uns das Spiel eigentlich hätten ersparen können.
Aber nichtsdestotrotz warteten wir tapfer auf den Anpfiff. Was dann kam, kann ich nur mit schwerem Volkssport unter agrarsozialen Bedingungen definieren. Das fing mit dem Schiedsrichter an. Linienrichter gabs ja keine. Wozu auch? Es gab ja auch keine Linien. Der Schieri wurde von der jeweiligen LPG gestellt und derjenige, der gerade bei der Ernte oder im Stall für eine Stunde entbehrlich war. In Gummistiefeln war er auf der umgepflügten Wiese auch schneller als wir in unseren Hochleistungs-Sportschuhen.
Gepfiffen wurde auf zwei Fingern und alles andere geschätzt oder grob in Schrittlänge ausgemessen. Je nach Körpergröße des Bauern wurde das Spielfeld mit den weißen Stangen mal größer und mal kleiner abgesteckt. Die Tore hatten demnach auch nie die selbe Größe. Alles wurde operativ entschieden. Auch die Spieldauer. Je nach dem, wie der Bauer gerade Lust hatte, holzten wir eine halbe oder eben 4 Stunden. Um so länger wir spielten, um so höher verloren wir.
Es war eine einfache Bauernregel: Pro vollendete 5min Spieldauer konnten wir locker mit einem kassierten Tor rechnen. Bei null selbst erzielten Toren versteht sich. Ich weiß nicht so recht, woran es damals lag. Aber wir verloren immer. Immer und immer wieder. Ob 0:3 oder 0:51. Es war nur eine Frage der Spieldauer.
Vielleicht lag es wirklich daran, daß wir nie einen Torwart hatten. Diese Arschkarte wollte einfach keiner ziehen. Mehr als 7 oder 8 Spieler brachten wir sowieso nie aufs Feld. Da stand das Tor eben frei. Wie das gesamte Mittelfeld. Spielen wollten alle nur im Sturm. Nur ich nicht. Stürmen hat ja etwas mit Bewegung, wenn nicht gar mit Rennen zu tun. Das lag mir überhaupt nicht. Während die anderen sich vorn gegenseitig im Weg standen und umrannten, wählte ich den Job als einsamer Verteidiger. Mein Plan dabei war ganz einfach: Umhauen und Ball wegnehmen.
Beim Sumo-Ringen hätte ich keinen ernstzunehmenden Gegner im ganzen Bezirk gehabt. Nur leider spielten wir Fußball und das in Altersklassen gegeneinander. Somit waren die gegnerischen Spieler auch meistens schneller als ich. Bis auf mein letztes und noch heute legendäres Spiel. Das hat sogar Einzug in die Dorfchronik genommen. Es war der zweite Eintrag gleich nach der Bodenreform.
Es war ein Sonnabend und damit ein Scheißtag. Erst regnete es in Strömen und dann knallte die Hitze herunter. Dreimal hatte es mich vom Fahrrad in den Schlamm geworfen. Ich sah aus ... und mir war schlecht vor Durst. Unser Spiel fand in der entlegensten Gemeinde des Kreises statt. Dort, wo sich Spielfreude und Kampfgeist Gute Nacht sagen. Viermal haben wir uns verfahren und als wir endlich ankamen, hatten die eingeborenen Spieler nach langer Warterei schon ohne uns angefangen. Bei einem Spielstand von 0:15 in Abwesenheit betraten wir das Schlachtfeld. Die Jauche stand knöcheltief über der Wiese, weil sie noch nicht untergepflügt werden konnte. Der Traktor, der das bewerkstelligen sollte, stand mitsamt den Pflug, bis zu den Achsen eingesunken, mitten auf dem Spielfeld.
Das war alles kein Grund, um irgendwie nervös zu werden.
Aber dann entdeckte ich den Haufen mit leeren Pappbechern. Manchmal erbarmte sich der Wirt des Gasthofes der Jugend und spendete eine Runde Faßbrause für alle Beteiligten. In Pappbechern. In solchen wie sie dort rumlagen. Diese Oberschweine hatten sie alleine getrunken und uns nichts übrig gelassen. Das war es. Ich starb ja fast vor Durst.
Der gegnerische Sturm hatte keine Chance. Ich habe ihn gefällt oder besser hingerichtet. Da lagen sie, diese Fassbraußetrinker und stellten sich tot. Wie ein Tornado habe ich dieses Ungeziefer hinweggefegt. Den Ball gleich mit. Der war weg. Das Mittelfeld zögerte nur kurz und stellte sich der Gefahr. Also mir. Auch ohne Ball. Von da ab fehlt mir ein Stück Film. Ich weiß nur noch, daß ich wohl der einzigste Spieler in der Fußballgeschichte bin, der innerhalb von 5 Sekunden 10 rote Karten verordnet bekam.
Das war maßlos übertrieben. Damals war unsere Gangart eben etwas kerniger. Da gab es keinen Grund bei einem gebrochenen Nasenbein und gequetschter Rippen miesepeterig zu gucken, geschweige denn mit dem Spielen aufzuhören. Wir waren nicht so weichgespült, wie es die heutige Generation Nerd ist. Die sterben ja wie die Fliegen beim Urlaub auf dem Bauernhof.
Oder in der Kaufhalle an meinem Einkaufswagen, wenn es zum Nerd sein nicht reicht.
Egal, jedenfalls bekam ich dann von meinem Arzt den Judosport verschrieben. Bei den Städtern natürlich. Dort konnte mir nichts passieren. Sich beim Training von mir umhauen lassen wollte sich keiner und die Spartakiaden habe ich alle kampflos gewonnen. Perfekt.
Die drei Helden sind übrigens ohne Bier, dafür mit peinlich betretenen Gesichtern losgefahren. Das Bier wollten sie an der Kasse mit ihren Leergut-Bon bezahlen. Allerdings hatten sie am Automaten den falschen Knopf gedrückt. Die Kassiererin las ihnen pädagogisch wertvoll mit schriller Stimme den Zettel vor: Die Bedürftigen-Tafeln Deutschlands bedanken sich für ihre Spende.
Betrachten wir es als Investition in ihre Zukunft.
Dabei würde ich beiden eine frisch abgebrochene Lehre als Gas- und Wasserinstallateur zutrauen. Die dazugehörigen Dichtungsringe tragen sie noch im Ohrläppchen. In diese braucht der Meister nur mit dem Finger zu greifen, um ihre Köpfe an die Wand zu knallen. Wie bei dem Azubi, der bei mir eine Dusche einbauen sollte. Das ist ihm sogar gelungen, nur daß kein Wasser mangels Gefälle abfloß. Als Begründung für seine Missetat führte der Knallkopf an, daß dies in alten Gebäuden nunmal so wäre. Das Haus würde in sich arbeiten, da rüttelt sich das Gefälle von selbst ein. Der dazueilende Meister konnte meinen Finger nur noch mit Schmierseife aus dem Ohrring des Knallers befreien und hat die zertrümmerten Wandfliesen anstandslos ersetzt. Genau so pfuschten die beiden vor dem Automaten rum.
Was kann daran so schwer sein, eine Flasche in ein Loch zu schieben? Das Teil steht doch nicht erst seit gestern da? Da steht auch noch groß und breit dran: Mit dem Flaschenboden zu erst einlegen! Einlegen! Und nicht einwerfen! Wo ist der Flaschenboden? Unten! Wenn man die Flasche richtig herum hält! Was passiert, wenn man eine Flasche einwirft, auf der pfandfrei steht? Richtig! Sie kommt wieder heraus. Was passiert, wenn man gleich drei davon einwirft? Richtig! Störung! Also turnten sie zum zweiten Automaten. Dasselbe. Jede zweite Flasche spuckte die Mechanik wieder aus. Aber die zwei gaben nicht auf und verhedderten sich dabei noch in ihren dämlichen, als Mantel umgehängten, Dederon-Nationalflaggen. Das hatte was von Don Quichotte und Sancho Pansa im Kampf gegen Windmühlen oder einer Persiflage auf die drei Musketiere von Alexandre Dumas. Denn der Dritte im Bunde bewachte derweil ihren wild national-beflaggten Wagen. Das war so ein Schrauber-Azubi. Aber nicht so, wie man sie vom Autofernsehen her kennt. Dort schrauben sie alte Schrottkisten wieder flott. Der da pflegt den umgekehrten Weg zu nehmen. Der tunt so lange an einem Neuwagen, bis dieser reif für die Presse ist. Dabei kann man diesen Pfusch schon ab Werk käuflich erwerben. Ich kenne mich da nicht so aus, aber wenn ein Autokonzern dringend Staatshilfen braucht, um weiter produzieren zu können, kann es sich doch nur um solchen handeln. Diese Staatshilfe würde ich sogar begrüßen, schon um die Belegschaft vor dem eigenen Betriebsrat zu schützen, aber nicht in Form von einer Finanzspritze, sondern eher mit einer Sachspende. Die könnte von einer Jagdbomberstaffel der Bundeswehr über den Betriebsgeländen ausgeklinkt werden und den Rest besorgen dann Räumpanzer. Haben wir nun die Marktwirtschaft oder nicht?
Egal. Wie dem auch sei. Meine zwei Helden beendeten dann doch erfolgreich ihren Waffengang gegen die Pfandflaschenrücknahme und fielen in den Verkaufsraum ein. Oder eben gegen meinen Einkaufswagen. Strafe muß sein. Das ist nunmal so. Dann schauten sie sich suchend um. Was können zwei als Fußballfans verkleidete Pappnasen schon in einer Kaufhalle suchen? Ihre Mutti? Ihre schwere Kindheit? Nein! Bier! Was sonst? Wo steht das Bier? Gewöhnlich bei den Getränken. Oder? Was wollten die dann beim Weichspüler? Weil dort die Flaschen bunter sind? Dabei stehen die 5l-Billigbierfässer genau gegenüber. Bei den Getränken. Aber die Beiden sind mit ihrer Aufgabe schlicht überfordert. Dabei sind auf den Preisschildern kleine Fußbälle und Deutschlandfahnen als Hilfestellung aufgedruckt. Wie auch auf jeden einzelnen Bierflaschen- oder Fassetikett. Was soll da sonst drin sein außer Bier? Kleine Fußbälle? Ist es denn zu fassen! Auf meiner nach unten offenen Beliebtheitsskala stürzt der Fußball als solcher und seine Fans sowieso schon seit Jahrzehnten ins Bodenlose. Es mag sein, daß ich etwas überspannt und gereizt bei diesen Thema reagiere, aber dafür kann ich persönlich nichts.
Ich habe ja selber mal professionell Fußball gespielt. In der 4. Klasse. Schulsportgemeinschaft Traktor Schönberg. Richtig. Der Name Traktor sagt alles. Dorf. Tiefstes Dorf. Hinter den 7 Tümpeln, hinter den 7 Silage-Silos, zwischen 7 Kuhställen und einer Schweinemastanlage hieß unser Freizeitvergnügen bebbeln, bolzen oder treffender holzen. Mit Fußball und Vergnügen hatte dies auch nicht viel zu tun. Zumindest nicht für mich. Mit Bauernkindern kann man Kühe austreiben, oder Scheunen in Brand setzen, aber kein Fußball spielen. Die sehen den Ball und dreschen wild drauflos. Das der Ball dabei im gegnerischen Tor landet, wurde zwar angestrebt, aber man gab sich auch mit Fenstern, Dachrinnen oder Zaunslücken zufrieden. Das machte einfach keinen Spaß. Aber was sollte ich sonst machen? Jeden Tag Kühe austreiben oder …? Es blieb nur Fußball und das bei jedem Wetter. Eine Turnhalle gabs nicht. So etwas hatten nur Städter. Der Schulsport fand im Saal des Dorfgasthofes statt und dort war schnelles Laufen und Ballspielen verboten. Wenn es nach unseren Sportlehrer gegangen wäre, auch das Geräteturnen. Das funktioniert mit Dorfkindern einfach nicht. Der ließ unsere Klasse antreten, um uns das Bockspringen näher zu bringen. Das Ergebnis war niederschmetternd. Drei zersplitterte Sprungbretter, zwei zusammengebrochene Böcke und ein baupolizeilich gesperrtes Parkett. Der Stufenbarren war schon zerstört und wenn ich das Wort Schwebebalken höre, bekomme ich heute noch einen Lachkrampf. Es war immer dasselbe. Unsere schwer adapösen Mädels wurden einzeln jeweils von zwei Jungen auf den Balken gehievt. Keine 10 Sekunden klatschten sie wieder runter. Also wurden sie wieder hochgeschubst. Klatsch! Schon lagen sie wieder unten. Das Spiel ging so lange, bis sie mit der Stirn auf den Balken schmetterten. Wenn eine Frau eine Narbe auf der Stirn hat, kommt sie höchstwahrscheinlich aus unserem Dorf.
Also blieb nur der Sportplatz, der eigentlich keiner war. Sportplätze hatten nur Städter oder große Gemeinden. Bei uns mußte, wie in jedem kleinen Dorf, ein Stück Wiese neben den Gasthof reichen. Gleich danach fingen die Felder der LPG an. Die kleinen Wiesen dienten den Traktoren als Wendeplatz, wenn sie die Äcker umpflügten oder die Jauche ausfuhren. Von unserem Sportplatz blieb dann nicht viel übrig. Aber deswegen fiel der Sportunterricht ja nicht aus. Umkleidekabinen oder gar Duschen gab es natürlich auch nicht. Umgezogen wurde sich im Klassenzimmer. Davor und danach. Vor der Jauche und nach der Jauche. Das Waschbecken vorn neben dem Lehrerpult mußte reichen. Zum Händewaschen. Aber das war alles nicht weiter schlimm, wenn auf dem Sport der Heimatkundeunterricht fiel. Schlamm und Gülle hautnah. Etwas anderes gabs ja bei uns auch nicht groß. Im Winter wurde der Heimatkunde- und der Sportunterricht zusammengelegt. Da wurde streng gewandert. Zu den schönsten Schweineställen im Kreis und seiner Umgebung.
In der 4. Klasse angekommen, winkte uns die Aufnahme in die Schulsportgemeinschaft, Sektion Fußball. Da es keine andere Sektion gab, blieb uns nichts weiter übrig, als da mitzumachen. Gebebbelt haben wir ja eh jeden Nachmittag und dort bekamen wir Trikots und einen Trainer. Dieser gehörte als Landmaschinen- und Traktorenschlosserlehrling dem Bildungshochadel in unserer Gemeinde an, und er war der Auslöser zu meinem, inzwischen tief verwurzelten, gestörten Verhältnis zu Lehrlingen in Allgemeinen, und Leuten, die denken mir etwas beibringen zu müssen, im Besonderen. Der Mann verfügte über das Einfühlungsvermögen eines kaputten Kachelofens und über das pädagogische Geschick eines in Panik geratenen Auerochsen auf der Flucht. So etwas wird heutzutage Sozialassistent, und wenn es dafür nicht reicht, Sozialpädagoge.
Der wollte uns allen Ernstes beibringen, wie man Fußball spielt. So mit Ausdauertraining, Gymnastik, Dribbelübungen und so weiter. Da war er bei den Bauernkindern an der völlig falschen Adresse. Die wollten nur bebbeln und Tore schießen, aber keinen Sport treiben. Das ging sowieso schief. Zum Beispiel beim Schlängellauf. Als Hindernisse dienten kleine weiße Stangen mit einem roten Fähnchen oben dran. Wir sollten lernen, wie man mit dem Ball den Gegner umspielt. Aber das wollten wir doch gar nicht. Wir wollten ihn umnieten. Sonst macht Fußball doch gar keinen Spaß. Also holzten wir die Stangen weg und machten ansonsten auch nicht das, was wir sollten. Da war der Heini schnell am Ende mit seinem Latein und brüllte erstmal nur herum. Das muß er in einem Jugendwerkhof gelernt haben, und als Bewährungsauflage die Order erhalten haben, uns zu trainieren. Anders kann ich mir nicht erklären, warum der jede Woche diesen Spießrutenlauf auf sich nahm.
Dann probierte er es mit angewandter Psychologie. Er versuchte uns einzureden, daß unsere Eltern ganz traurig wären, wenn wir nicht ordentlich trainieren und so rein gar nichts aus uns wird. Das zog natürlich überhaupt nicht. Meine Eltern hatten keine Zeit sich über meine Freizeitaktivitäten einen Kopf zu machen und nahmen daher an, daß ich diese sinnvoll verbringe. Die hatten keine Ahnung davon, daß ich nur Fußball spiele. Und was bitte sollte schon aus uns werden, wenn nicht rein gar nichts? Landmaschinen- und Traktorenschlosser? Dann mit 20 eine heiraten, die eine Narbe auf der Stirn hat und sich jeden Freitag Abend im Dorfkrug ins Koma saufen. Daran konnte auch ein ordentliches Fußballtraining nichts mehr ändern.
In seiner Not zog er dann die Daumenschrauben an und erzählte uns, daß die Partei- und Staatsführung sehr enttäuscht darüber wäre, wenn sie erfahren würde, wie wenig Disziplin wir beim Training an den sozialistischen Tag legen. Erst lagen wir vor Lachen geschlossen in der Jauche und dann entbrannte eine hitzige Diskussion darüber, was wir machen würden, wenn wir von Honecker eine Millionen Mark geschenkt bekämen.
Dorf. Tiefstes Dorf. Schulsportgemeinschaft Traktor Schönberg. Der Name Traktor sagt alles.
Wenigstens konnten wir uns darauf einigen, daß wir von den Millionen Alu-Chips uns zwei richtige Tore leisten würden. Richtige Profi-Tore mit einer Latte oben und einem Netz dahinter. So etwas hatten nur Städter und wir die blöden weißen Stangen mit den roten Fähnchen obendran. Die mußten als Torpfosten herhalten und waren der Grund für endlose Streitereien und dabei noch endloseren Suchen nach dem Ball. Egal, ob man der Meinung war ob der Ball nun »drin« war oder nicht: Ohne Netz war er weg. Irgendwo im Gestrüpp. Zwei Drittel jeden Trainings verbrachten wir damit, die Murmel zu suchen. Wir riefen ihn, lockten ihn, versprachen ihm alles mögliche – sogar, daß wir aufhören würden nach ihm zu treten – und gaben ihn schließlich Lehrer- oder Fußballtrainernamen.
Was konnte es Schöneres geben: Erst auf einer frisch gepflügten Wiese Fußball spielen, den Trainer verarschen und dann zerkratzt und zerschunden den Ball in einer Dornenhecke zusammenschreien.
Natürlich gab es etwas Schöneres. Die allsonnabendlichen Spiele gegen Schulsportgemeinschaften der Nachbargemeinen oder -städte. Sie waren schlicht die Härte an sich und auch der Grund, warum der Fußballsport in meinem Leben nicht mehr stattfindet.
Immer 13.00 Uhr trafen wir uns mit den Fahrrädern vor der Schule. In den frischgewaschenen Trikots und mit richtigen Fußballschuhen an den Füßen. Die Welt sollte sehen, was für Fußballhelden wir waren. Querfeldein radelten wir dann zu den feindlichen Sportstätten. Also zu den Traktorenwendeplätzen. Mit Fußballtretern sollte man nicht Fahrradfahren. Diese Erkenntnis ereilte uns jeden Sonnabend 14.00 Uhr und sie verließ unsere teflonbeschichteten Gehirnwindungen spätestens am Sonntag morgen. Unsere Knie, Hände, Kinn und Ellenbögen waren von den Stürzen schon blutig zerschrammt, so daß wir uns das Spiel eigentlich hätten ersparen können.
Aber nichtsdestotrotz warteten wir tapfer auf den Anpfiff. Was dann kam, kann ich nur mit schwerem Volkssport unter agrarsozialen Bedingungen definieren. Das fing mit dem Schiedsrichter an. Linienrichter gabs ja keine. Wozu auch? Es gab ja auch keine Linien. Der Schieri wurde von der jeweiligen LPG gestellt und derjenige, der gerade bei der Ernte oder im Stall für eine Stunde entbehrlich war. In Gummistiefeln war er auf der umgepflügten Wiese auch schneller als wir in unseren Hochleistungs-Sportschuhen.
Gepfiffen wurde auf zwei Fingern und alles andere geschätzt oder grob in Schrittlänge ausgemessen. Je nach Körpergröße des Bauern wurde das Spielfeld mit den weißen Stangen mal größer und mal kleiner abgesteckt. Die Tore hatten demnach auch nie die selbe Größe. Alles wurde operativ entschieden. Auch die Spieldauer. Je nach dem, wie der Bauer gerade Lust hatte, holzten wir eine halbe oder eben 4 Stunden. Um so länger wir spielten, um so höher verloren wir.
Es war eine einfache Bauernregel: Pro vollendete 5min Spieldauer konnten wir locker mit einem kassierten Tor rechnen. Bei null selbst erzielten Toren versteht sich. Ich weiß nicht so recht, woran es damals lag. Aber wir verloren immer. Immer und immer wieder. Ob 0:3 oder 0:51. Es war nur eine Frage der Spieldauer.
Vielleicht lag es wirklich daran, daß wir nie einen Torwart hatten. Diese Arschkarte wollte einfach keiner ziehen. Mehr als 7 oder 8 Spieler brachten wir sowieso nie aufs Feld. Da stand das Tor eben frei. Wie das gesamte Mittelfeld. Spielen wollten alle nur im Sturm. Nur ich nicht. Stürmen hat ja etwas mit Bewegung, wenn nicht gar mit Rennen zu tun. Das lag mir überhaupt nicht. Während die anderen sich vorn gegenseitig im Weg standen und umrannten, wählte ich den Job als einsamer Verteidiger. Mein Plan dabei war ganz einfach: Umhauen und Ball wegnehmen.
Beim Sumo-Ringen hätte ich keinen ernstzunehmenden Gegner im ganzen Bezirk gehabt. Nur leider spielten wir Fußball und das in Altersklassen gegeneinander. Somit waren die gegnerischen Spieler auch meistens schneller als ich. Bis auf mein letztes und noch heute legendäres Spiel. Das hat sogar Einzug in die Dorfchronik genommen. Es war der zweite Eintrag gleich nach der Bodenreform.
Es war ein Sonnabend und damit ein Scheißtag. Erst regnete es in Strömen und dann knallte die Hitze herunter. Dreimal hatte es mich vom Fahrrad in den Schlamm geworfen. Ich sah aus ... und mir war schlecht vor Durst. Unser Spiel fand in der entlegensten Gemeinde des Kreises statt. Dort, wo sich Spielfreude und Kampfgeist Gute Nacht sagen. Viermal haben wir uns verfahren und als wir endlich ankamen, hatten die eingeborenen Spieler nach langer Warterei schon ohne uns angefangen. Bei einem Spielstand von 0:15 in Abwesenheit betraten wir das Schlachtfeld. Die Jauche stand knöcheltief über der Wiese, weil sie noch nicht untergepflügt werden konnte. Der Traktor, der das bewerkstelligen sollte, stand mitsamt den Pflug, bis zu den Achsen eingesunken, mitten auf dem Spielfeld.
Das war alles kein Grund, um irgendwie nervös zu werden.
Aber dann entdeckte ich den Haufen mit leeren Pappbechern. Manchmal erbarmte sich der Wirt des Gasthofes der Jugend und spendete eine Runde Faßbrause für alle Beteiligten. In Pappbechern. In solchen wie sie dort rumlagen. Diese Oberschweine hatten sie alleine getrunken und uns nichts übrig gelassen. Das war es. Ich starb ja fast vor Durst.
Der gegnerische Sturm hatte keine Chance. Ich habe ihn gefällt oder besser hingerichtet. Da lagen sie, diese Fassbraußetrinker und stellten sich tot. Wie ein Tornado habe ich dieses Ungeziefer hinweggefegt. Den Ball gleich mit. Der war weg. Das Mittelfeld zögerte nur kurz und stellte sich der Gefahr. Also mir. Auch ohne Ball. Von da ab fehlt mir ein Stück Film. Ich weiß nur noch, daß ich wohl der einzigste Spieler in der Fußballgeschichte bin, der innerhalb von 5 Sekunden 10 rote Karten verordnet bekam.
Das war maßlos übertrieben. Damals war unsere Gangart eben etwas kerniger. Da gab es keinen Grund bei einem gebrochenen Nasenbein und gequetschter Rippen miesepeterig zu gucken, geschweige denn mit dem Spielen aufzuhören. Wir waren nicht so weichgespült, wie es die heutige Generation Nerd ist. Die sterben ja wie die Fliegen beim Urlaub auf dem Bauernhof.
Oder in der Kaufhalle an meinem Einkaufswagen, wenn es zum Nerd sein nicht reicht.
Egal, jedenfalls bekam ich dann von meinem Arzt den Judosport verschrieben. Bei den Städtern natürlich. Dort konnte mir nichts passieren. Sich beim Training von mir umhauen lassen wollte sich keiner und die Spartakiaden habe ich alle kampflos gewonnen. Perfekt.
Die drei Helden sind übrigens ohne Bier, dafür mit peinlich betretenen Gesichtern losgefahren. Das Bier wollten sie an der Kasse mit ihren Leergut-Bon bezahlen. Allerdings hatten sie am Automaten den falschen Knopf gedrückt. Die Kassiererin las ihnen pädagogisch wertvoll mit schriller Stimme den Zettel vor: Die Bedürftigen-Tafeln Deutschlands bedanken sich für ihre Spende.
Betrachten wir es als Investition in ihre Zukunft.
Sonntag, 13. Juni 2010
Hausmitteilung – zur Kenntnisnahme
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